Zu seiner Überraschung befand er sich wieder auf dem Pferd. Jemand hatte ihm einen Mantel um die Schultern gelegt, aber er spürte den Wind noch immer. Die Welt schien weiß - der Himmel, der Boden, auch die Hütten rechts und links vom Weg.
«Wo ist der Hudenitz?», fragte er.
«Der Graf ist weg!», rief der Koch.
«Wir mussten weiter», sagte der Narr. «Wir hatten kein Geld mehr, der Wirt hat uns rausgeworfen. König oder nicht, hat er gesagt, bei mir wird bezahlt!»
«Ja», sagte der König, «aber wo ist der Hudenitz?»
Er versuchte nachzuzählen, wie groß seine Armee noch war. Da war der Narr, und da war der Koch, und da war er selbst, und da war noch der Narr, das waren vier, doch als er zur Sicherheit ein zweites Mal nachzählte, kam er nur auf zwei,
nämlich den Narren und den Koch. Weil das aber nicht stimmen konnte, zählte er erneut und kam auf drei, aber beim nächsten Mal waren es wieder vier: der König von Böhmen, der Koch, der Narr, er selbst. Und da gab er auf.
«Wir müssen absteigen», sagte der Koch.
Und tatsächlich, der Schnee war zu hoch, die Pferde kamen nicht mehr vorwärts.
«Aber er kann nicht gehen», hörte der König den Narren sagen, und zum ersten Mal klang seine Stimme nicht hämisch, sondern wie die eines gewöhnlichen Menschen.
«Aber wir müssen absteigen», sagte der Koch. «Du siehst doch. Es geht nicht weiter.»
«Ja», sagte der Narr. «Das sehe ich.»
Während der Koch die Zügel hielt, stieg der König, gestützt auf den Narren, ab. Er versank bis zu den Knien. Das Pferd schnaufte erleichtert, als es das Gewicht los war, warmer Atem stieg von seinen Nüstern auf. Der König tätschelte ihm das Maul. Das Tier sah ihn aus trüben Augen an.
«Wir können die Pferde doch nicht einfach stehenlassen», sagte der König.
«Keine Sorge», sagte der Narr. «Bevor sie erfroren sind, wird jemand sie essen.»
Der König hustete. Der Narr stützte ihn von links, der Koch von rechts, und sie stapften los.
«Wohin gehen wir?», fragte der König.
«Nach Hause», sagte der Koch.
«Ich weiß», sagte der König, «aber heute. Jetzt. In der Kälte.
Wohin gehen wir jetzt?»
«Einen halben Tagesmarsch westlich soll es ein Dorf geben, wo noch Menschen sind», sagte der Koch.
«Genau weiß es niemand», sagte der Narr.
«Ein halber Tagesmarsch ist ein ganzer Tagesmarsch», sagte der Koch. «Bei so viel Schnee.»
Der König hustete. Er stapfte hustend, er hustete stapfend, er stapfte und stapfte, und er hustete, und er wunderte sich darüber, dass es ihm in der Brust kaum noch weh tat.
«Ich glaube, ich werde gesund», sagte er.
«Sicher», sagte der Narr. «Das sieht man. Das werdet Ihr, Majestät.»
Der König spürte, dass er hingefallen wäre, hätten ihn die beiden nicht gestützt. Immer höher waren die Schneeverwehungen, immer schwerer fiel es ihm, die Augen im kalten Wind offen zu halten. «Wo ist denn der Hudenitz?», hörte er sich zum dritten Mal fragen. Sein Hals schmerzte. Überall Schneeflocken, und als er die Augen schloss, sah er sie immer noch: glimmende, tanzende, wirbelnde Punkte. Er seufzte, die Beine knickten ihm ein, keiner hielt ihn, der weiche Schnee nahm ihn auf.
«Können ihn nicht liegen lassen», hörte er jemanden über sich sagen.
«Was sollen wir tun?»
Hände griffen nach ihm und zogen ihn nach oben, eine Hand strich ihm beinahe zärtlich über den Kopf, und das erinnerte ihn an seine liebste Kinderfrau, die ihn aufgezogen hatte,
damals in Heidelberg, als er nur ein Prinz und kein König und alles noch gut gewesen war. Seine Füße stapften im Schnee, und als er kurz die Augen öffnete, sah er neben sich die Konturen geborstener Dächer, leere Fenster, einen zerstörten Brunnenaufbau, aber Menschen waren nicht zu sehen.
«Wir können in keines hinein», hörte er. «Die Dächer sind kaputt, außerdem sind da Wölfe.»
«Aber hier draußen erfrieren wir», sagte der König.
«Wir zwei erfrieren nicht», sagte der Narr.
Der König sah sich um. Und wirklich, der Koch war nicht mehr zu sehen, er war allein mit Tyll.
«Er hat einen anderen Weg versucht», sagte der Narr. «Kann man ihm nicht übelnehmen. Jeder sorgt für sich im Sturm.»
«Warum erfrieren wir nicht?», fragte der König.
«Du glühst zu sehr. Dein Fieber ist zu stark. Die Kälte kann dir nichts, du stirbst noch vorher.»
«An was denn?», fragte der König.
«An der Pest.»
Der König schwieg einen Moment. «Ich habe die Pest?», fragte er dann.
«Armer Kerl», sagte der Narr. «Armer Winterkönig, ja, die hast du. Schon seit Tagen. Hast die Beulen nicht bemerkt an deinem Hals? Merkst es nicht beim Einatmen?»
Der König atmete ein. Die Luft war eisig. Er hustete. «Wenn es die Pest ist», sagte er, «dann wirst du dich ja anstecken.»
«Dafür ist es zu kalt.»
«Kann ich mich jetzt hinlegen?»
«Du bist ein König», sagte der Narr. «Du kannst tun, was du willst, wann du willst und wo.»
«Dann hilf mir! Ich lege mich hin.»
«Eure Majestät», sagte der Narr und stützte ihn im Nacken und half ihm auf den Boden.
Noch nie hatte der König so weich gelegen. Die Schneeverwehungen schienen schwach zu glimmen, der Himmel dunkelte schon, aber die Flocken waren immer noch ein helles Flirren. Er fragte sich, ob wohl die armen Pferde noch lebten. Dann dachte er an Liz. «Kannst du ihr eine Botschaft bringen?»
«Natürlich, Eure Majestät.»
Es passte ihm nicht, dass der Narr ihn so respektvoll ansprach, es gehörte sich nicht, denn dafür hatte man ja einen Hofnarren: damit einem der Verstand nicht einschlief bei all der Huldigung. Ein Narr musste frech sein! Er räusperte sich, um ihn zurechtzuweisen, aber dann musste er schon wieder husten, und das Sprechen fiel ihm zu schwer.
Da war doch noch etwas gewesen? Ach ja, die Botschaft an Liz. Sie hatte immer das Theater geliebt, er hatte das nie begriffen. Leute standen auf der Bühne und taten, als wären sie jemand anderer. Er musste lächeln. Ein König ohne Land im Sturm, allein mit seinem Narren - so etwas würde es nie in einem Stück geben, es war zu albern. Er versuchte, sich aufzusetzen, doch seine Hände sanken ein, er sackte wieder zurück. Was hatte er noch tun wollen? Ach so, die Nachricht an Liz.
«Die Königin», sagte er.
«Ja», sagte der Narr.
«Wirst du es ihr sagen?»
«Das werde ich.»
Der König wartete, aber der Narr machte noch immer keine Miene, ihn zu verspotten. Dabei war das doch seine Aufgabe! Ärgerlich schloss er die Augen. Zu seiner Überraschung änderte das gar nichts: Er sah den Narren immer noch, und er sah auch den Schnee. Er spürte Papier in seinen Händen, offenbar hatte es ihm der Narr zwischen die Finger geschoben, und er spürte etwas Festes, das war wohl ein Stück Kohle. Wir sehen uns wieder vor Gott, wollte er schreiben, ich hab nur dich geliebt im Leben, aber dann kam ihm alles durcheinander, und er war sich nicht mehr sicher, ob er das schon geschrieben hatte oder erst hatte schreiben wollen, und er wusste auch nicht mehr recht, an wen die Botschaft gehen sollte, darum schrieb er mit zittriger Hand: Gustav Adolf ist bald tot, das weiß ich jetzt, aber ich sterbe noch vorher. Doch das war ja gar nicht die Botschaft, darum ging es überhaupt nicht, deshalb schrieb er noch dazu: Pass gut auf den Esel auf, ich schenke ihn dir, aber nein, das hatte er nicht Liz sagen wollen, sondern dem Narren, und der Narr war hier, er konnte es ihm selbst sagen, während die Botschaft doch für Liz war. Also setzte er von neuem an und wollte schreiben, doch es war zu spät, es ging nicht mehr. Seine Hand erschlaffte.