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Nichts lieben die Leute so sehr wie das, über nichts anderes lachen sie so gerne, aber du musst es gut treffen, denn machst du es falsch, bist du armselig. Um jemanden nachzumachen, du Idiot, du dummes Kind, du verstockter, unbegabter Stein, musst du ihm nicht bloß ähnlich werden, sondern du musst ihm ähnlicher sein, als er sich selbst ist, denn er kann es sich leisten, irgendwie zu sein, aber du musst ganz und gar er werden, und wenn du das nicht kannst, dann gib auf, lass es, geh zurück zu Papas Mühle und verschwende nicht Pirmins Zeit!

Es geht ums Hinsehen, begreifst du? Das ist das Wichtigste: Schau hin! Versteh die Leute. So schwer ist das nicht. Sie sind nicht kompliziert. Sie wollen nichts Ausgefallenes, nur will jeder das, was er will, auf etwas andere Weise. Und verstehst du einmal, auf welche Weise einer etwas will, dann musst du nur wollen wie er, und dein Körper wird folgen, dann ändert die Stimme sich von selbst, dann blicken auch deine Augen richtig.

Natürlich musst du üben. Das muss man immer. Üben und üben und üben. So, wie du den Tanz auf dem Seil üben musst oder das Gehen auf Händen, oder wie du noch lange üben musst, bevor du es schaffen wirst, sechs Bälle auf einmal in der Luft zu halten: Immer und immer musst du üben, und zwar mit einem Lehrer, der dir nichts durchgehen lässt, denn sich selbst lässt man immer viel durchgehen, mit sich selbst ist man nicht streng, sodass es am Lehrer ist, dich zu treten und zu schlagen und dich auszulachen und dir zu sagen, dass du ein Wicht bist, der es nie können wird.

Und schon hat der Junge vor lauter Nachdenken darüber, wie man Leute nachmacht, fast seinen Hunger vergessen. Die Stegers stellt er sich vor und den Schmied und den Priester und die alte Hanna Krell, von der er ja nicht gewusst hat, dass sie eine Hexe ist, aber jetzt, wo er es weiß, ergibt so manches neuen Sinn. Einen nach dem anderen beschwört er sie herbei und stellt sich vor, wie jeder sich hält und spricht; er beugt die Schultern, zieht die Brust ein, bewegt lautlos die Lippen: Hilf mir mit dem Hammer, Junge, schlag den Nagel ein, und seine Hand zittert leicht, da er sie hebt, das macht das Rheuma.

Pirmin bleibt stehen und befiehlt ihnen, trockene Äste zu sammeln. Sie wissen, dass das aussichtslos ist: Nach drei Tagen Regen ist die Nässe in alles gekrochen, da ist nichts verschont geblieben, da gibt es nichts Trockenes mehr. Aber weil sie nicht wollen, dass Pirmin wütend wird, bücken sie sich und kriechen hierhin und dorthin und fassen in die Büsche und tun, als wären sie auf der Suche.

«Wie geht es denn aus?», flüstert der Junge. «Kommen sie ins Schlaraffenland?»

«Nein», flüstert sie. «Sie finden ein Schloss, in dem ein böser König regiert, den töten sie, und das Mädchen wird Königin.»

«Heiratet sie den Däumling?»

Nele lacht.

«Warum nicht?», fragt der Junge. Er ist selbst überrascht, dass er das wissen will, aber am Schluss eines Märchens muss geheiratet werden, sonst ist es nicht zu Ende, sonst liegen die Dinge falsch.

«Wie soll sie denn den Däumling heiraten?»

«Warum nicht!»

«Er ist ein Däumling.»

«Wenn er zaubern kann, macht er sich groß.»

«Na schön, dann verzaubert er sich und wird zu einem Prinzen, und sie heiraten, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute. Gut?»

«Besser.»

Aber als Pirmin die feuchten Äste sieht, die sie ihm bringen, beginnt er zu schreien, zu schlagen und zu zwicken. Seine Hände sind schnell und stark, und gerade wenn man meint, einer von ihnen durch einen Satz entkommen zu sein, hat einen die andere schon erfasst.

«Ratten», schreit er, «Beutelratten, dumme, nichtsnutzige Dreckschnecken, zu nichts seid ihr nutze, kein Wunder, dass die Eltern euch weggejagt haben!»

«Stimmt nicht», sagt Nele. «Weggerannt sind wir.»

«Jaja», ruft Pirmin, «und seinen Vater hat der Henker verbrannt, ich weiß es, ich hab es oft gehört!»

«Gehängt», sagt der Junge. «Nicht verbrannt.»

«Hast du's gesehen?»

Der Junge schweigt.

«Eben streben!» Pirmin lacht. «Eben geben heben, nichts weißt du, dich beißt du! Wen man als Hexer hängt, den verbrennt man danach als Toten, so geht das, so wird es gemacht. Also ist er verbrannt worden, und gehängt hat man ihn noch dazu.»

Pirmin geht in die Hocke, fingert brummend am Holz herum, reibt Stöcke aneinander und spricht dabei leise vor sich hin - ein paar Sprüche erkennt der Junge, brenn, Feuer, Gotts Feuer, Engel, trag's herab, zünd mein Hölzlein, bring mein Flämmlein, brenne diesen Stab; es ist eine alte Formel, die auch Claus verwendet hat. Und wirklich dauert es nicht lange, bis der Junge das vertraute Aroma von brennendem Holz riecht. Er öffnet die Augen und klatscht in die Hände. Grinsend deutet Pirmin eine Verbeugung an. Er bläht die Backen und bläst Luft ins Feuer. Der Widerschein der Glut spielt auf seinem Gesicht. Hinter ihm tanzt sein Schatten, riesenhaft vergrößert, auf den Baumstämmen.

«Und jetzt spielt mir was vor!»

«Wir sind müde», sagt Nele.

«Wenn ihr essen wollt, spielt. So ist das jetzt. So bleibt das, bis ihr krepiert. Ihr gehört zum fahrenden Volk, keiner schützt euch, und wenn es regnet, habt ihr kein Dach. Kein Zuhause.

Keine Freunde außer anderen wie euch, die euch nicht sehr mögen werden, weil das Essen knapp ist. Dafür seid ihr frei. Müsst keinem gehorchen. Nur schnell genug weglaufen müsst ihr, wenn es brenzlig wird. Und wenn ihr Hunger habt, müsst ihr spielen.»

«Gibst du uns Essen?»

«Nein, Schwein, grein, nein, nein!» Pirmin schüttelt lachend den Kopf, dann lässt er sich hinter dem Feuer nieder. «Nichts mehr, kein Bröcklein, kein Stöcklein, und seid nicht zu laut, denn es gibt Söldner im Wald. Um die Zeit sind sie sehr betrunken, und wütend werden sie auch sein, weil die Bauern bei Nürnberg sich zusammengerottet haben. Wenn die uns finden, geht es uns schlecht.»

Die beiden zögern einen Moment, denn sie sind wirklich sehr müde. Aber deshalb sind sie schließlich hier, deshalb sind sie mit Pirmin gegangen - um etwas vorzuspielen, um Kunststücke zu lernen.

Zunächst führt der Junge seinen Seiltanz auf. Er spannt das Seil nicht sehr hoch, obgleich er inzwischen nicht mehr herunterfällt - aber man weiß nie, was Pirmin tun wird, er könnte plötzlich etwas nach ihm werfen oder am Seil rütteln. Der Junge macht ein paar vorsichtige Schritte, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie straff das Seil hängt, das er in der Dämmerung kaum noch sehen kann, dann gewinnt er Sicherheit und geht schneller, dann läuft er auf der Stelle. Er springt, dreht sich in der Luft, kommt auf und läuft rückwärts bis ans Ende. Er läuft wieder zurück, beugt sich vor, läuft

plötzlich auf den Händen, erreicht wieder das andere Ende, überschlägt sich, kommt auf den Füßen zu stehen, rudert nur kurz mit den Armen, findet sein Gleichgewicht und verbeugt sich. Er springt zu Boden.

Nele klatscht wild in die Hände.

Pirmin spuckt aus. «Das am Schluss war hässlich.»

Der Junge bückt sich, hebt einen Stein auf, wirft ihn hoch, fängt ihn wieder, ohne hinzusehen, und wirft ihn wieder hoch. Während der Stein in der Luft ist, hebt er einen zweiten auf und wirft ihn, fängt den ersten, wirft ihn, hebt blitzartig einen dritten auf, fängt den zweiten, wirft ihn wieder, wirft ihm den dritten nach, fängt und wirft den ersten und geht in die Knie, um einen vierten Stein zu nehmen. Schließlich hat er fünf, die um seinen Kopf wirbeln, ein Auf und Ab im Abendlicht. Nele hat den Atem angehalten. Pirmin rührt sich nicht und starrt, seine Augen sind schmale Schlitze.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Steine nicht gleich geformt sind und nicht gleich schwer. Daher muss die Hand sich an jeden anpassen, muss jedes Mal etwas anders greifen. Bei den schweren muss der Arm etwas mehr nachgeben, bei den leichten kraftvoller werfen, sodass sie alle gleich schnell fliegen und auf gleicher Bahn. Das geht nur, wenn man viel geübt hat. Es geht aber auch nur, wenn man vergisst, dass man es selbst ist, der die Steine wirft. Man muss ihnen gewissermaßen nur dabei zusehen, wie sie fliegen. Sobald man zu sehr beteiligt ist, kommt alles durcheinander, und wenn man dabei denkt, gerät man aus dem Rhythmus, und schon