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«Was ist ein Katzenklavier?», fragte Olearius.

«Also habt Ihr es nicht gelesen?»

«Mein Gedächtnis. Ich bin nicht mehr der Jüngste. Seit unserer strapaziösen Reise gehorcht es mir nicht immer.»

«Weiß Gott», sagte Fleming. «Erinnerst du dich noch, wie es war, als uns in Riga die Wölfe umzingelt haben?»

«Ein Klavier, das Töne durch Tierpeinigung erzeugt», sagte Kircher. «Man schlägt einen Ton an, und statt einer Saite wird einem kleinen Tier, ich schlage Katzen vor, es würde aber auch mit Wühlmäusen funktionieren, Hunde wären zu groß, Grillen zu klein, ein gut dosierter Schmerz zugefügt, sodass das Tier ein Geräusch von sich gibt. Lässt man die Taste los, hört auch der Schmerz auf, das Tier verstummt. Ordnet man die Tiere nach ihrer Stimmhöhe, so lässt sich auf diese Art die ungewöhnlichste Musik erzeugen.»

Eine kleine Weile war es still. Olearius sah in Kirchers Gesicht, Fleming kaute an seiner Unterlippe.

«Warum schreibt Ihr Eure Gedichte denn auf Deutsch?»,

fragte Kircher schließlich.

«Ich weiß, das klingt wunderlich», sagte Fleming, der auf diese Frage gewartet hatte. «Aber es lässt sich machen! Unsere Sprache wird gerade erst geboren. Hier sitzen wir, drei Männer aus dem gleichen Land, und sprechen Latein. Warum? Jetzt mag das Deutsche noch ungelenk sein, ein kochendes Gebräu, ein Geschöpf im Werden, aber eines Tages ist es erwachsen.»

«Noch einmal zu dem Drachen», sagte Olearius, um das Thema zu wechseln. Er hatte es oft erlebt: Wenn Fleming einmal von seinem Steckenpferd anfing, kam lange kein anderer zu Wort. Und schließlich endete es stets damit, dass Fleming mit rotem Gesicht Gedichte vortrug. Sie waren gar nicht schlecht, seine Gedichte, sie hatten Melodie und Kraft. Aber wer wollte schon ohne Vorwarnung Gedichte hören, und dann noch auf Deutsch?

«Noch ist unsere Sprache eine Wirrnis aus Dialekten», sagte Fleming. «Weiß man im Satz nicht weiter, greift man sich das passende Wort aus dem Lateinischen oder Italienischen oder sogar Französischen, und die Sätze biegt man irgendwie nach lateinischer Manier zurecht. Aber das wird sich ändern! Man muss eine Sprache nähren und pflegen, man muss ihr helfen, auf dass sie gedeiht! Und ihr helfen, das heißt: dichten.» Flemings Wangen hatten sich gerötet, sein Schnurrbart sträubte sich leicht, seine Augen blickten starr. «Wer einen Satz auf Deutsch anfängt, soll sich zwingen, ihn auf Deutsch zu Ende zu führen!»

«Ist es nicht gegen Gottes Willen, Tieren Schmerz zuzufügen?», fragte Olearius.

«Warum?» Kircher runzelte die Stirn. «Es gibt keinen Unterschied zwischen Gottes Tieren und Gottes Dingen. Tiere sind fein gefügte Maschinen, die aus noch feiner gefügten Maschinen bestehen. Ob ich einer Wassersäule einen Ton entlocke oder einem Kätzchen, wo wäre der Unterschied? Sie wollen doch nicht behaupten, dass Tiere unsterbliche Seelen haben, was wäre denn das für ein Gewimmel im Paradies. Man könnte sich nicht umdrehen, ohne auf einen Wurm zu treten!»

«Ich war in Leipzig Chorknabe», sagte Fleming. «Jeden Morgen um fünf standen wir in der Thomaskirche und mussten singen. Jede Stimme sollte ihrem eigenen melodischen Punctus folgen, und wer falsch sang, bekam die Rute. Es war schwer, aber eines Morgens, ich weiß es noch, habe ich zum ersten Mal verstanden, was Musik ist. Und als ich später die Kunst des Kontrapunkts gelernt habe, habe ich verstanden, was Sprache ist. Und wie man in ihr dichtet - nämlich indem man sie walten lässt. Gehen und sehen, Schmerz und Menschenherz. Der deutsche Reim: eine Frage und eine Antwort. Pein, Sein und Schein. Reim ist kein Zufall der Laute. Es gibt ihn dort, wo Gedanken zusammenpassen.»

«Es ist gut, dass Ihr Euch mit Musik auskennt», sagte Kircher. «Ich habe Noten für Melodien dabei, mit denen sich Drachenblut kühlen und Drachensinn beruhigen lässt. Könnt Ihr das Horn spielen?»

«Nicht gut.»

«Geige?

«Leidlich. Woher habt Ihr diese Melodien?»

«Ich habe sie nach den Maßgaben strengster Wissenschaft komponiert. Macht Euch keine Sorgen, Ihr braucht dem Drachen nichts vorzufiedeln, wir werden dafür Musiker finden. Es wäre schon aus Standesgründen nicht schicklich, wenn unsereiner die Instrumente spielte.»

Olearius schloss die Augen. Für einen Moment sah er im Geiste eine Echse aus dem Feld aufsteigen, den Kopf turmhoch vor dem Himmeclass="underline" So also könntest du enden, dachte er, nach all den Gefahren, die du überlebt hast.

«Euer Eifer in Ehren, junger Mann», sagte Kircher. «Aber das Deutsche hat keine Zukunft. Erstens, weil es eine hässliche Sprache ist, dickflüssig und unsauber, ein Idiom für ungelernte Leute, die nicht baden. Zweitens, es gibt für so ein langwieriges Wachsen und Werden gar keine Zeit mehr. In sechsundsiebzig Jahren endet das eiserne Zeitalter, Feuer kommt über die Welt, und unser Herr kehrt in Glorie zurück. Man braucht kein großer Sternenkenner zu sein, um das vorauszusehen. Simple Mathematik genügt.»

«Um was für einen Drachen handelt es sich eigentlich?», fragte Olearius.

«Vermutlich um einen sehr alten Tatzelwurm. Meine Expertise in der Drakontologie reicht nicht an die meines verstorbenen Mentors Tesimond heran, aber auf einer Tagesreise nach Hamburg haben mir mehrfach eingedrehte Fliegenwölkchen den nötigen Hinweis gegeben. Wart Ihr je in

Hamburg? Es ist erstaunlich, die Stadt ist gar nicht zerstört worden.»

«Wolken?», fragte Fleming. «Wie verursacht der Drache denn -»

«Nicht Verursachung, Analogie! Wie oben, so unten. Die Wolke ähnelt einer Fliege, darum der Name Fliegenwölkchen, der Tatzelwurm ähnelt einem Regenwurm, darum der Name Tatzelwurm. Wurm und Fliege sind Insekten! Seht Ihr?»

Olearius stützte den Kopf in die Hände. Ihm war etwas unwohl. In Russland hatte er Tausende Stunden in Kutschen verbracht, aber das war nun schon eine Weile her, und er war nicht mehr jung. Natürlich konnte es auch mit Kircher zu tun haben, der ihm auf eine Weise, die er zu erklären nicht vermocht hätte, schwer erträglich geworden war.

«Und wenn der Drache ruhiggestellt ist?», fragte Fleming. «Wenn wir ihn gefunden und gefangen haben, was dann?»

«Wir zapfen ihm Blut ab. So viel, wie unsere Lederschläuche fassen. Das bringe ich nach Rom und verarbeite es mit meinen Assistenten zum Heilmittel gegen den Schwarzen Tod, welches dann an den Papst und den Kaiser und die katholischen Fürsten ...» Er zögerte. «... sowie vielleicht an jene Protestanten, die es verdienen, verabreicht wird. An wen genau, das wird auszuhandeln sein. Vielleicht können wir so den Krieg beenden. Das hätte schon seine Richtigkeit, wenn ausgerechnet ich es wäre, mit Gottes Hilfe, der diesem Schlachten ein Ende setzte. Sie beide werde ich gebührend in meinem Buch erwähnen. Genau genommen habe ich das

schon.»

«Ihr habt uns schon erwähnt?»

«Um Zeit zu sparen, habe ich das Kapitel bereits in Rom verfasst. Guglielmo, habt Ihr es hier?»

Der Sekretär bückte sich und kramte ächzend unter seiner Sitzbank.

«Was die Musiker angeht», sagte Olearius. «Mein Vorschlag wäre, dass wir den Wanderzirkus in der Holsteinischen Heide aufsuchen. Von ihm wird viel gesprochen, die Leute kommen von weit her, ihn zu sehen. Dort wird es wohl Musiker geben.»

Der Sekretär richtete sich mit gerötetem Gesicht auf und brachte einen Stoß Papier zum Vorschein. Er blätterte einen Moment darin, schnäuzte sich in ein nicht mehr sauberes Taschentuch, mit dem er sich danach die Glatze abwischte, bat leise um Entschuldigung und begann vorzulesen. Sein Latein hatte eine stark italienische Melodie, und er schlug auf eine etwas gezierte Weise mit der Feder den Takt. «Sodann machte ich mich in Begleitung verdienter deutscher Gelehrter auf die Suche. Die Umstände waren ungünstig, die Witterung rau, der Krieg hatte sich aus der Region zurückgezogen, sandte aber immer noch diese und jene Sturmböe der Widrigkeit, sodass man auf Marodeure ebenso gefasst zu sein hatte wie auf Räuberbanden und verkommene Tiere. Ich ließ es mich jedoch nicht verdrießen, empfahl meine Seele dem Allmächtigen, der diesen seinen demütigen Diener noch stets beschützt hatte, und fand in Kürze den Drachen, welcher sich durch kundige Maßnahmen besänftigen und besiegen ließ. Sein warmes Blut diente mir als Basis für so manche Unternehmung, die ich andernorts in diesem Werk schildere, und die furchtbarste Seuche, die lange die Christenheit in Sorge gehalten hatte, ließ sich endlich von den großen, mächtigen und verdienten Leuten abwenden, sodass sie künftig nur noch das einfache Volk peinigen mag. Und wenn ich einst -»