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«Geht nicht anders», sagte Contarini auf Deutsch. «Sie müssen beide recht haben. Der eine steht seinem Vater, dem Kanzler, nahe und will weiter Krieg führen, den anderen hat die Königin geschickt, damit er Frieden schließt.»

«Was sagt Ihr?», fragte Oxenstierna.

«Ich habe ein deutsches Sprichwort zitiert.»

«Böhmen ist nicht Teil des Reichs», sagte Oxenstierna. «Wir können Prag nicht in die Verhandlungen einbeziehen. Darüber müssten wir zuvor verhandeln. Man muss immer erst aushandeln, worüber man eigentlich verhandeln wird, bevor man verhandelt.»

«Andererseits», sagte Salvius, «hat Ihre Majestät, die Königin -»

«Ihre Majestät ist unerfahren, und mein Vater ist ihr Vormund. Und er meint, dass -»

«War.»

«Wie?»

«Die Königin ist volljährig.»

«Gerade erst geworden. Mein Vater, der Kanzler, ist Europas erfahrenster Staatenlenker. Seit unser großer Gustav Adolf in Lützen sein Leben ausgehaucht hat -»

«Seither haben wir kaum mehr gewonnen. Ohne die Hilfe der Franzosen wären wir verloren gewesen.»

«Wollt Ihr sagen -»

«Wer wäre ich, die Verdienste des Herrn Reichskanzlers Hochgräflicher Exzellenz Eures Vaters zu schmälern, ich bin aber der Meinung -»

«Aber vielleicht zählt Eure Meinung nicht so viel, Herr Doktor Salvius, vielleicht ist die Meinung des zweiten Botschafters nicht -»

«Des Verhandlungsführers.»

«Ernannt von der Königin. Deren Vormund aber ist mein Vater!»

«War. Euer Vater war ihr Vormund!»

«Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass der Vorschlag Ihrer Majestät es wert ist, bedacht zu werden», sagte Contarini. «Wir müssen nicht sagen, dass wir ihm folgen, wir müssen nicht einmal versprechen, den Vorschlag zu bedenken, aber wir können uns doch alle darauf einigen, dass der Vorschlag es wert sein könnte, von uns bedacht zu werden.»

«Das reicht nicht», sagte Liz. «Sobald Prag erobert ist, muss

eine offizielle Forderung an Graf Lamberg ergehen, meinem Sohn den böhmischen Thron zurückzugeben. Dann wird ihm mein Sohn sofort in einem Geheimabkommen zusagen, dass er darauf verzichtet, soweit er wiederum mit Schweden und Frankreich ein Geheimabkommen über die achte Kurwürde schließt. Das muss schnell gehen.»

«Nichts geht schnell», sagte Contarini. «Ich bin seit Beginn der Verhandlungen hier. Ich dachte, dass ich keinen Monat in dieser grässlichen Regenprovinz aushalte. Inzwischen sind fünf Jahre vergangen.»

«Ich weiß, wie es ist, wenn man beim Warten alt wird», sagte Liz. «Und ich warte nicht länger. Wenn Schweden nicht die böhmische Krone fordert, damit mein Sohn dann im Austausch gegen die Kurwürde auf sie verzichten kann, werden wir auf die Kurwürde verzichten. Dann habt Ihr nichts mehr in der Hand, um eine achte Kurwürde zu bekommen. Es wäre das Ende unserer Dynastie, aber ich würde einfach zurück nach England gehen. Ich wäre gern wieder daheim. Ich würde gern wieder ins Theater gehen.»

«Ich wäre auch gern daheim in Venedig», sagte Contarini. «Ich möchte noch Doge werden.»

«Eure Majestät erlauben mir nachzufragen», sagte Salvius. «Damit ich verstehe. Ihr kommt hierher, um etwas zu verlangen, das wir von selbst nie betrieben hätten. Und Eure Drohung ist: Wenn wir nicht tun, was Ihr wollt, dann zieht Ihr Eure Forderung zurück? Wie soll man solch ein Manöver nennen?»

Liz lächelte ihr geheimnisvollstes Lächeln. Nun tat es ihr wirklich leid, dass kein Bühnenrand vor ihr war und nicht das Halbdunkel eines Zuschauerraums mit gebannt lauschendem Publikum. Sie räusperte sich, und obwohl sie ihre Antwort schon wusste, tat sie wegen des größeren Effektes auf die Zuschauer, die nicht da waren, als müsste sie nachdenken.

«Ich schlage vor», sagte sie schließlich, «Ihr nennt es Politik.»

Am nächsten Tag, dem letzten ihres Aufenthalts in Osnabrück, verließ Liz am frühen Nachmittag ihr Herbergszimmer, um sich auf den Empfang des Bischofs zu begeben. Keiner hatte sie eingeladen, aber sie hatte gehört, dass alle, die etwas zählten, dort sein würden. Morgen um diese Zeit würde sie schon auf dem Rückweg sein, durch verheerte Landschaften, zu ihrem kleinen Haus bei Den Haag.

Sie konnte es nicht in die Länge ziehen. Sie musste abreisen, nicht bloß des Geldmangels wegen, sondern auch, weil sie die Regeln eines guten Dramas kannte: Eine abgesetzte Königin, die plötzlich auftauchte und wieder verschwand, so etwas machte Eindruck. Eine abgesetzte Königin aber, die auftauchte und blieb, bis man sich an sie gewöhnte und anfing, über sie Witze zu machen, das ging nicht. Das hatte sie in Holland gelernt, wo man sie und Friedrich einst so freundlich willkommen geheißen hatte und wo inzwischen die Mitglieder der Generalstände immer gerade verhindert waren, wenn sie um ein Treffen bat.

Dieser Empfang würde ihr letzter Auftritt sein. Sie hatte ihre Vorschläge gemacht, hatte gesagt, was sie zu sagen hatte. Mehr konnte sie für ihren Sohn nicht tun.

Leider kam er nach ihrem Bruder und war ein rechter Klotz. Beide sahen ihrem Großvater ähnlich, aber sie hatten nichts von dessen lauernder Klugheit; sie waren raumgreifende, wichtigtuerische Männer mit tiefen Stimmen und breiten Schultern und ausholenden Bewegungen, die für ihr Leben gern jagen gingen. Ihr Bruder drüben in der Heimat würde seinen Krieg gegen das Parlament wohl verlieren, und ihr Sohn, falls er wirklich Kurfürst werden sollte, würde kaum als großer Herrscher in die Geschichte eingehen. Dreißig Jahre alt war er schon, also nicht mehr jung, und zurzeit trieb er sich irgendwo in England herum, wahrscheinlich jagte er gerade, während sie für ihn in Westfalen verhandelte. Seine seltenen Briefe an sie waren kurz und von einer Kühle, nicht weit entfernt von Feindseligkeit.

Und wie immer, wenn sie an ihn dachte, formte sich das Bild des anderen in ihr: ihres schönen Sohnes, ihres klugen und strahlenden Erstgeborenen, der die freundliche Seele seines Vaters gehabt hatte und ihren Verstand - ihr Stolz, ihre Freude und Hoffnung. Wenn sein Bild in ihr aufstieg, trug es verschiedene Gesichter, alle zur gleichen Zeit: Sie sah ihn, wie er mit drei Monaten gewesen war, mit zwölf Jahren, mit vierzehn. Und da fühlte sie jenes andere Bild herandringen, das jeder Gedanke an ihn mit sich brachte und dessentwegen sie sich bemühte, so wenig an ihn zu denken wie möglich: das kenternde Boot, der schwarze Schlund des Flusses. Sie wusste, wie es sich anfühlte, beim Schwimmen aus Versehen Wasser zu schlucken, aber ertrinken? Sie konnte es sich nicht vorstellen.

Osnabrück war winzig, und sie hätte von der Herberge aus zu Fuß gehen können. Doch die Straßen waren sogar für deutsche Verhältnisse schmutzig, und außerdem: Wie hätte das

ausgesehen?

Also ließ sie sich wieder in die Kutsche heben, lehnte sich zurück und sah die schmalen Giebelhäuser vorbeiruckeln. Die Zofe saß schweigend neben ihr, sie war es gewohnt, von Liz ignoriert zu werden, niemals sprach sie sie an; sich wie ein Möbelstück zu verhalten war das Einzige, was eine Zofe wirklich können musste. Kalt war es, und feiner Nieselregen fiel, dennoch ließ sich die Sonne als bleicher Fleck hinter den Wolken ausmachen. Der Regen reinigte die Luft vom Geruch der Gassen. Kinder liefen vorbei, sie sah eine Gruppe Stadtsoldaten auf Pferden, dann einen Eselskarren mit Mehlsäcken. Schon schwenkten sie auf den Hauptplatz ein. Dort drüben war die Residenz des kaiserlichen Botschafters, in der sie vorgestern gewesen war; in der Mitte des Platzes stand ein mannshoher Block mit Löchern für Kopf und Arme. Letzten Monat erst, so hatte ihr die Herbergswirtin erzählt, hatte hier eine Hexe gestanden. Der Richter war milde gewesen, man hatte ihr das Leben geschenkt und sie nach zehn Tagen am Pranger aus der Stadt gejagt.

Der Dom war klobig und deutsch, ein verunglücktes Ungetüm, der eine Turm dicker als der andere. Seitlich daran gebaut war ein längliches Haus mit wuchtigen Simsen und einem spitzen Dach. Mehrere Kutschen verstellten den Platz, sodass Liz nicht vorfahren konnte. Ihr Kutscher musste in einiger Entfernung halten und sie zum Eingangsportal tragen. Er roch schlecht, und der Regen machte ihren Pelzmantel nass, aber immerhin ließ er sie nicht fallen.