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Etwas unsanft setzte er sie ab; sie stützte sich auf ihren Gehstock, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. In solchen Momenten spürte sie ihr Alter. Sie schlug die Fellkapuze zurück und dachte: Mein letzter Auftritt. Eine prickelnde Aufregung erfüllte sie, wie seit Jahren nicht. Der Kutscher ging zurück, um die Zofe zu holen, aber Liz wartete nicht, sondern trat alleine ein.

Schon in der Eingangshalle hörte sie die Musik. Sie blieb stehen und horchte.

«Seine Kaiserliche Majestät hat uns die besten Streicher des Hofes geschickt.»

Lamberg trug einen Umhang in dunklem Purpur. Um den Hals hatte er die Kette des Ordens vom Goldenen Vlies. Neben ihm stand Wolkenstein. Die beiden nahmen die Hüte ab und verneigten sich. Liz nickte Wolkenstein zu, der lächelte sie an.

«Eure Hoheit reisen morgen ab», sagte Lamberg.

Es irritierte sie, dass es nicht wie eine Frage klang, sondern wie ein Befehl.

«Wie immer ist der Herr Graf gut informiert.»

«Nie so gut, wie ich gern wäre. Aber ich verspreche Eurer Hoheit, dass Ihr Musik wie diese nicht leicht anderswo hören werdet. Wien möchte dem Kongress seine Gunst bezeigen.»

«Weil Wien auf dem Schlachtfeld verliert?»

Er tat, als hätte er die Frage nicht gehört. «Und so hat der Hof seine besten Musici geschickt und Schauspieler von Rang und seinen besten Gaukler. Eure Hoheit waren bei den Schweden?»

«Er weiß wirklich alles.»

«Und jetzt weiß Eure Hoheit auch, dass die Schweden zerstritten sind.»

Draußen wurden Posaunen geblasen, Lakaien rissen die Tür auf, ein vor Edelsteinen blitzender Mann kam herein, an seinem Arm eine Frau mit langer Schleppe und einem Diadem. Im Vorbeigehen warf der Mann Lamberg einen nicht unfreundlichen Blick zu, der neigte den Kopf so wenig, dass es nicht ganz ein Nicken war.

«Frankreich?», fragte Liz.

Lamberg nickte.

«Hat Er unseren Vorschlag nach Wien gesandt?»

Lamberg antwortete nicht. Es war nicht zu erkennen, ob er ihre Frage gehört hatte.

«Oder ist das nicht nötig? Hat Er Vollmacht, allein zu entscheiden?»

«Ein Entschluss des Kaisers ist immer ein Entschluss des Kaisers und niemandes sonst. Und jetzt muss ich meinen Abschied von Eurer Hoheit nehmen. Selbst unter dem Schutz des falschen Namens schickt es sich nicht, dass Euer ergebener Diener weiterhin mit Eurer Hoheit parliert.»

«Weil wir unter Reichsacht stehen, oder weil die Frau Gemahlin eifersüchtig wird?»

Lamberg lachte leise auf. «Wenn Eure Hoheit gestatten, wird Graf Wolkenstein Euch in den Saal geleiten.»

«Darf er das denn?»

«Er ist eine freie Seele vor Gott. Er darf alles, was sich ziemt.»

Wolkenstein winkelte den Arm an, Liz legte ihre Hand auf seinen Handrücken, gemessenen Schrittes gingen sie hinein.

«Sind alle Botschafter hier?», fragte sie.

«Alle. Nur darf nicht jeder jeden grüßen und schon gar nicht jeder mit jedem reden. Alles ist streng geregelt.»

«Darf Er mit mir reden, Wolkenstein?»

«Absolut nicht. Aber ich darf mit Euch gehen. Und davon werde ich meinen Enkeln erzählen. Und schreiben werde ich darüber. Die Königin von Böhmen, werde ich schreiben, die legendäre Elisabeth, die ...»

«Winterkönigin?»

«Fair phoenix bride wollte ich sagen.»

«Er kann Englisch?»

«Ein wenig.»

«Er hat John Donne gelesen?»

«Nicht viel. Aber immerhin noch den schönen Gesang, in dem er Eurer Königlichen Hoheit Vater auffordert, dem König von Böhmen endlich beizustehen. No man is an island

Sie sah auf. Der Empfangssaal hatte die stümperhaften Deckenfresken, die man in deutschen Landen häufig sah - üblicherweise das Werk eines zweitklassigen italienischen Künstlers, der es in Florenz nie zu etwas gebracht hätte. Ein Sims trug Statuen ernst blickender Heiliger. Zwei hielten Lanzen, zwei hielten Kreuze, einer hatte die Hände zu Fäusten geballt, einer hielt eine Krone. Unter dem Sims waren Fackeln angebracht, und in vier großen Deckenlustern brannten

Dutzende Kerzen, vervielfacht von Spiegeln. An der hinteren Wand standen sechs Musiker: vier Geiger, ein Harfenspieler und einer, der ein fremdartiges Horn hielt, wie Liz es noch nie gesehen hatte.

Sie lauschten. Selbst in Whitehall hatte sie nicht dergleichen gehört. Eine Geige ließ eine Melodie aus der Tiefe aufsteigen, eine andere Geige griff sie auf, gab der Melodie Deutlichkeit und Kraft und reichte sie an die dritte weiter, während die vierte Geige sie mit einer zweiten, leichteren Melodie umspielte. Unversehens vereinigten sich beide Melodien, flossen ineinander und wurden von der Harfe aufgegriffen, die nun in den Mittelpunkt trat, während die Geigen wie in leisem Gespräch bereits eine neue Melodie gefunden hatten; und just in diesem Moment gab die Harfe ihnen die andere Melodie zurück, und die beiden fügten sich zusammen, und über ihnen erhob sich der Freudenruf einer dritten Melodie, stählern und pulsierend, die Stimme des Horns.

Dann war es still. Das Stück war kurz gewesen, aber es fühlte sich an, als hätte es viel länger gedauert, als hätte es seine eigene Zeit in sich getragen. Ein paar Zuhörer klatschten zögernd. Andere standen still und schienen in sich hineinzuhorchen.

«Auf dem Weg hierher haben sie uns jeden Abend vorgespielt», sagte Wolkenstein. «Der Lange dort heißt Hans Kuchner, er kommt aus dem Dorf Hagenbrunn, er war in keiner Schule und kann kaum sprechen, aber der Herr hat ihn gesegnet.»

«Eure Majestät!»

Ein Paar war an sie herangetreten: ein Herr mit kantigem Gesicht und großem Kiefer, an seinem Arm eine Dame, die aussah, als ob sie frieren würde.

Mit Bedauern sah Liz, dass Wolkenstein, dem offenbar verboten war, die Anwesenheit dieses Mannes auch nur zur Kenntnis zu nehmen, einen Schritt zurück trat, die Hände auf dem Rücken faltete und sich abwandte. Der Mann verbeugte sich, die Frau machte einen höfischen Knicks.

«Wesenbeck», sagte er, wobei er das Knacken am Schluss seines Namens so hart aussprach, dass es klang wie eine kleine Explosion. «Zweiter Gesandter des Kurfürsten von Brandenburg. Zu Eurer Majestät Diensten.»

«Wie schön», sagte Liz.

«Eine achte Kurwürde zu verlangen. Respekt!»

«Wir haben nichts verlangt. Ich bin eine schwache Frau. Frauen verhandeln nicht und verlangen nichts. Mein Sohn wiederum hat zurzeit keinen Titel, der ihm erlauben würde, etwas zu verlangen. Wir können nicht fordern. Wir können nur verzichten. Das habe ich in Bescheidenheit angeboten. Niemand sonst kann auf Böhmens Krone verzichten, nur wir können das, und wir tun es im Austausch gegen die Kurwürde. Die Krone für uns verlangen, das müssen die protestantischen Reichsstände.»

«Also wir.»

Liz lächelte.

«Und wenn wir das nicht tun, etwa weil wir nicht wollen,

dass die bayerischen Wittelsbacher ihre Kurwürde behalten -»

«Das wäre ein Fehler, denn sie werden sie ja doch behalten, und in diesem Fall würden wir auf die pfälzische Kurwürde verzichten. Deutlich und vor aller Welt. Dann habt Ihr nichts mehr zu fordern.»

Der Gesandte nickte nachdenklich.

Und mit einem Mal kam ihr ein Gedanke, den sie noch nicht zu denken gewagt hatte. Es würde gelingen! Als sie die Idee gehabt hatte, eine Kutsche zu mieten, nach Osnabrück zu fahren und sich in die Verhandlungen einzumischen, war ihr das zunächst wie ein völlig absurder Einfall vorgekommen. Fast ein Jahr hatte sie gebraucht, um Zutrauen zu sich selbst zu fassen, und ein weiteres Jahr, um es wirklich in die Wege zu leiten. Im Grunde aber hatte sie die ganze Zeit erwartet, dass man sie auslachen würde.