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Eine Ewigkeit. Hätte sie die Triebwerke ein paar Minuten länger benutzen können, so wäre diese Frist auf weniger als die Hälfte zusammengeschrumpft. Aber es erschien Charity jetzt schon fast wie ein Wunder, daß das Leuchtfeuer, das sie für vier Minuten auf so ziemlich allen Wellenlängen veranstaltet hatten, nicht bemerkt worden war.

»Wir werden sie nicht genau treffen«, sagte Hartmann. »Aber ich hoffe, wir kommen nahe genug heran, daß wir das restliche Stück mit den Anzügen schaffen können.« Er blickte Charity und Skudder nacheinander an. »Hat einer von euch schon einmal eine Viper geflogen?«

Zumindest in Charitys Fall war die Frage überflüssig; Hartmann wußte, daß sie diese Maschinen nicht kannte. Nach einem Augenblick schüttelte aber auch Skudder den Kopf.

»Es ist nicht allzu schwer«, fuhr Hartmann fort. »Die Jäger fliegen sich fast von allein. Es gibt einen Neurohelm für den Piloten, aber ich würde euch nicht raten, ihn zu benutzen. Es braucht einige Übung, um damit umzugehen. Achtet auf die Seriennummern. Nur die Jäger mit den ungeraden Endnummern sind vollgetankt und bewaffnet. Der Rest ist erst vergangene Woche auf die EXCALIBUR verlegt worden. Ich weiß nicht, ob sie schon startbereit sind.«

»Wie viele Piloten sind an Bord der EXCALIBUR?« fragte Skudder.

»Drei«, antwortete Hartmann. »Uns mitgerechnet, falls wir ankommen.«

»Oh«, sagte Skudder.

»Wir haben keine Zeit, uns um die EXCALIBUR zu kümmern«, sagte Hartmann. »Ganz egal, was dort vor sich geht. Laßt euch auf keinen Fall auf irgend etwas ein. Ganz gleich, was ihr auch seht.«

Skudder wollte etwas sagen, doch Charity warf ihm einen raschen, beschwörenden Blick zu, und der Indianer beließ es bei einem Nicken. Hartmann gab Anordnungen, die nicht nötig waren. Sie wußten so gut wie er, worauf es ankam. Wahrscheinlich redete er nur, um überhaupt etwas zu sagen. Charity konnte sich gut vorstellen, daß er das Schweigen einfach nicht mehr ertrug.

Unerträglich langsam nur wuchs der Leuchtpunkt vor den Fenstern heran. Das Shuttle bewegte sich mit mehr als fünftausend Stundenkilometern, und trotzdem hatte Charity für lange Zeit das Gefühl, gar nicht von der Stelle zu kommen. Endlich aber begann aus dem Lichtfleck ein verschwommener, langgestreckter Umriß zu werden.

Hartmann hatte perfekt gezielt. Charity verlängerte den Kurs des Shuttle in Gedanken und stellte fest, daß sie die EXCALIBUR nur um wenige Meilen verfehlen würden; angesichts der gewaltigen Entfernung, die sie zurückgelegt hatten, eine wahre Meisterleistung. Vielleicht aber trotzdem nicht meisterlich genug. Entfernungen waren vor allem im Weltraum etwas höchst Relatives. Knapp vorbei nach kosmischen Maßstäben konnte immer noch unendlich weit nach menschlichen sein. Aber sie konnten es nicht riskieren, die Triebwerke noch einmal einzuschalten.

Als sie näher kamen, zerfiel der Umriß des im Bau befindlichen Sternenschiffes in ein großes und mehrere kleine Objekte. Charity stellte überrascht fest, was für enorme Fortschritte der Bau der EXCALIBUR gemacht hatte, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Bei ihrem letzten Besuch vor knapp vier Monaten war das Schiff kaum mehr als ein achthundert Meter langes Stahlskelett gewesen, das wie eine bizarre Fortsetzung des Raumdocks eine halbe Meile tief in die Leere des Alls hineinragte. Jetzt waren gut zwei Drittel der Rumpfpanzerung angebracht, und die EXCALIBUR erinnerte mehr denn je an einen riesigen, teilweise skelettierten Wal.

Hinter den meisten Bullaugen herrschte noch immer das Vakuum des Weltalls, und das hintere Drittel, das später die gewaltigen Triebwerke und Generatoren aufnehmen würde, bestand im Moment aus nicht viel mehr als einem stählernen Skelett, zwischen dem ein halbes Dutzend Decks heranwuchsen.

Über und neben der EXCALIBUR schwebte ein halbes Dutzend weiterer, viel kleinerer Umrisse. Charity identifizierte drei von ihnen als die gleiche Art rochenförmiger Schiffe, die Skytown angegriffen hatten. Bei den anderen handelte es sich um die ebenfalls schon vertrauten, walzenförmiger Transporter.

Charity hielt vergebens nach irgendwelchen Beschädigungen an der EXCALIBUR Ausschau. Das Schiff war offensichtlich nicht beschossen worden. Wozu auch? Die Waffensysteme der EXCALIBUR waren noch nicht einsatzfähig.

Hartmann verschwand für einen Moment in der Passagierkabine und kam mit drei flachen, mit Trageriemen versehenen Tornistern zurück, die sie sich gegenseitig anlegten. Keiner von ihnen wußte, ob die Leistung der Geräte ausreichen würde, ihre Geschwindigkeit ausreichend zu reduzieren. Die Vorstellung, mit mehr als tausend Stundenkilometern gegen den Rumpf der EXCALIBUR zu rasen und nichts als einen häßlichen Fleck darauf zu hinterlassen, gefiel Charity nicht sonderlich.

»Wir werden leuchten wie die Weihnachtsbäume, wenn wir die Dinger einschalten«, sagte Skudder mißmutig. »Glaubt einer von euch wirklich, daß sie uns nicht bemerken?«

»Nur, wenn sie zufällig in unsere Richtung sehen«, antwortete Hartmann. »Außerdem habe ich noch eine kleine Überraschung für unsere Freunde vorbereitet.« Er deutete zur Schleuse. »Setzt die Helme auf. Gleich wird es ein bißchen zugig.«

Charity hatte keine Ahnung, was Hartmann vorhaben mochte, aber sie vertraute auf seine Erfahrung. Skudder und sie stülpten ihre Helme über. Hartmann hantierte noch einige Augenblicke lang am Kommandopult, dann drehte er sich ebenfalls herum und schloß seinen Anzug. Kaum hatte er es getan, hörte Charity, wie die Sauerstoffpumpen ansprangen. Sie konnten die Schleusentüren nicht öffnen, solange im Inneren des Schiffes noch Überdruck herrschte, ohne sofort ins All hinauskatapultiert zu werden. Nach etwas mehr als einer Minute herrschte im Inneren des Shuttle dasselbe Vakuum wie im umgebenden Weltraum. Die Schleusentüren glitten lautlos auf, und Hartmann trat ohne zu zögern an ihnen vorbei, hielt sich für einen Moment am Türrahmen fest, um in die richtige Position zu gelangen, und stieß sich dann mit aller Kraft ab. Skudder folgte ihm, und Charity bildete den Abschluß.

Es war nicht das erste Mal, daß Charity sich im freien Raum aufhielt. Trotzdem drohte sie für einen Moment in Panik zu geraten. Die ungeheure Weite des Weltalls schien sie verschlingen zu wollen. Sie hatte das Gefühl, im Bruchteil einer Sekunde zu einem Nichts reduziert zu werden, das sich im nächsten Augenblick einfach auflösen mußte. Und sie erschrak überdies bis ins Mark, als sie sah, wie nahe sie der EXCALIBUR mittlerweile gekommen waren, und wie rasend schnell sie sich weiter näherten.

Aus den Augenwinkeln sah Charity, wie Hartmann heftig in ihre Richtung zu gestikulieren begann, und schaltete rasch ihren Tornister ein. Das Gerät erwachte mit heftigen Vibrationen zum Leben und begann, Charitys Geschwindigkeit aufzuzehren. Da Hartmann und Skudder im gleichen Moment ebenfalls bremsten, spürte Charity im Grunde nichts davon. Aber das Shuttle, das seine ursprüngliche Geschwindigkeit beibehielt, schien jäh schneller zu werden und entfernte sich immer rascher.

Einen Moment später konnte Charity sehen, wie die Triebwerke der Raumfähre aufleuchteten, und das Schiff beschleunigte tatsächlich. Jetzt begriff sie auch, was Hartmann gerade gemeint hatte.

Sein improvisiertes Ablenkungsmanöver funktionierte tatsächlich. Während das Shuttle schneller und schneller der EXCALIBUR entgegenraste, löste sich eines der Rochenschiffe von seiner Position und nahm Kurs auf die näherkommende Raumfähre.

Charity beobachtete gebannt, was weiter geschah.

Das Shuttle beschleunigte ununterbrochen weiter und begann plötzlich Haken zu schlagen. Offensichtlich hatte Hartmann den Computer so programmiert, daß er das Schiff auf einen Zufallskurs lenkte. Gleichzeitig begannen die starken Suchscheinwerfer am Bug des Shuttle in rascher Folge aufzublitzen und wieder zu erlöschen. Für den Piloten des Rochenschiffes mußte es so aussehen, als versuche das Shuttle ein Ausweichmanöver zu fliegen und gleichzeitig das Feuer zu eröffnen. Die Täuschung würde keinem genaueren Hinsehen Stand halten. Ausweichmanöver bestehen im allgemeinen nicht aus einem willkürlichen Hin- und Herspringen, und selbst der stärkste Scheinwerfer gibt nur eine wenig effektive Waffe ab.