»Es sei denn, sie wissen, daß wir aus Sicherheitsgründen einen Teil des Energievorsprungs auf herkömmliche Systeme umgestellt haben«, fügte Charity hinzu. »Sieh es endlich ein, Hartmann. Wir wissen zwar nichts über sie, sie dafür aber anscheinend alles über uns.« Sie deutete aus dem Fenster. »Ich gehe jede Wette ein, daß die anderen Jets genauso tot sind.«
»Dann eben zurück zu Plan A«, knurrte Hartmann.
Er war zu sehr Soldat, um sich seine Enttäuschung anmerken zu lassen. Dabei waren die Konsequenzen dessen, was sie gerade entdeckt hatten, noch gar nicht abzusehen. Mit Ausnahme einiger weniger Schiffe basierte die gesamte Verteidigung der Erde auf der von den Moroni zurückgelassenen Technologie.
In dem Moment, als sie das Schiff verließen, trat eine hochgewachsene Gestalt durch die Tür, durch die auch die Gefährten den Hangar betreten hatten, und eröffnete ohne Vorwarnung das Feuer.
Charity entging dem grellgrünen Laserblitz nur durch einen puren Zufall. Ihre Magnetstiefel fanden auf dem Metall des Jet keinen richtigen Halt, so daß sie mehr aus dem Schiff schwebte als ging. Im gleichen Moment jedoch, in dem ihre Schuhsohlen wieder über dem Stahl des Hangarbodens schwebten, wurde sie mit einem unsanften Ruck einen halben Meter in die Tiefe gezerrt, und der Laserstrahl, der nach ihrem Kopf gezielt worden war, spritzte als harmloses Licht am Metall des Jet über ihr auseinander.
Instinktiv ließ sie sich zu Seite abrollen, schoß zurück und registrierte aus den Augenwinkeln einen zweiten Lichtblitz, der über sie hinweg nach dem Angreifer stach. Weder Charitys noch Skudders Schuß trafen, doch der schwarzgekleidete Riese mußte sich hastig zurückziehen, so daß Charity Gelegenheit bekam, rasch hinter einer der Landungsstützen des Schiffes in Deckung zu gehen.
Skudder stieß sich über ihr ab und segelte gute fünfzehn Meter weit durch das Vakuum, bis seine Magnetstiefel ihn wieder nach unten zogen. Hartmann warf sich auf der Rampe des Jet auf den Bauch und zielte mit beiden Händen. Als der Angreifer nun wieder unter der Tür erschien, konnten sie ihn zu dritt ins Kreuzfeuer nehmen.
Trotzdem trafen sie nicht.
Charity sah den Angreifer jetzt genauer. Er war von humanoider Gestalt und weit über zwei Meter groß, bewegte sich dabei aber mit einer Schnelligkeit, die Charity fast unglaublich erschien. Seine Ausrüstung schien die Schwerelosigkeit sehr viel besser zu kompensieren als die Charitys und der beiden Männer, denn das riesenhafte Wesen rannte hakenschlagend und immer schneller in den Hangar hinein. Der Fremde trug einen einteiligen mattschwarzen Anzug, auf dessen Rücken sich ein klobiger Tornister befand. Sein Kopf war unter einem wuchtigen Helm verborgen, ebenfalls schwarz bis auf ein schmales, verspiegeltes Visier, das kaum größer war als eine Sonnenbrille.
Skudder, Hartmann und Charity schossen, was ihre Laser hergaben. Rechts, links, vor und hinter dem rennenden Riesen explodierten bunte Lichtkaskaden auf dem Boden, doch es war beinahe so, als würde der Fremde auf magische Weise spüren, wo der jeweils nächste Einschlag erfolgte. Noch ein paar Schritte, und er würde die erste Viper erreichen und sich dahinter in Deckung werfen.
Skudder traf ihn, als er noch zwei Schritte von dem Raumjäger entfernt war. Sein Laserstrahl schlug in den Rücken des schwarzen Riesen, durchbohrte den Tornister, die schwarze Montur darunter und entlud seine Energie in den Körper, den sie verbarg. Die Gestalt taumelte, schien für einen unglaublichen Moment trotz allem noch auf den Füßen zu bleiben und verlor dann plötzlich den Halt. Skudders Schuß hatte nicht nur den Angreifer getötet, sondern auch ein wichtiges Teil in seinem Anzug zerstört.
Plötzlich im Griff der Schwerelosigkeit, begann die hünenhafte Gestalt allmählich in die Höhe zu steigen und sich gleichzeitig zu drehen. Aus dem Riß in seinem Anzug strömte Luft, die im Vakuum sofort zu Eis gefror und eine schimmernde, schnell vergängliche Wolke rings um die treibende Gestalt bildete, durchsetzt mit Myriaden winziger, dunkelroter Tröpfchen. Blut, das aus der Wunde quoll und ebenfalls sofort gefror.
Charity richtete sich vorsichtig hinter ihrer Deckung auf und schaute sich um, doch es erfolgte kein weiterer Angriff. Der Fremde war allein gewesen. Über ihr stand auch Hartmann wieder auf, und fünfzehn Meter entfernt erschien Skudder hinter dem Jet, hinter den er sich in Deckung geworfen hatte.
»Das war knapp«, sagte Hartmann. »Aber jetzt nichts wie weg. Ich bin sicher, daß gleich noch mehr von ihnen hier auftauchen.«
Charity wandte sich sofort um und eilte auf eine der Vipern zu, und auch Hartmann steuerte den nächsten Raumjäger an. Skudder hingegen näherte sich mit weit ausgreifenden Schritten dem Riesen.
»Skudder, verdammt, was tust du?« fragte Charity. Nicht, daß sie die Antwort nicht kannte.
»Eine Moment«, antwortete Skudder. »Ich will wissen, womit wir es zu tun haben.«
Charity war zwar alles andere als begeistert, aber mindestens genau so neugierig wie Skudder. Außerdem mochte sich jede noch so kleine Information, die sie bekamen, als äußerst wichtig erweisen. Sie erreichte die Viper, die sie anhand der Seriennummer als eine der einsatzbereiten Maschinen identifiziert hatte, kletterte aber noch nicht in das Cockpit, sondern schaute zu Skudder zurück.
Der Indianer hatte den Toten mittlerweile erreicht. Der reglose Körper drehte sich nun nicht mehr um sich selbst, war aber weiter in die Höhe gestiegen, so daß Skudder sich auf die Zehenspitzen stellen mußte, um ihn zu erreichen.
Im gleichen Moment, in dem er die Hand des vermeintlich Toten berührte, schlossen sich dessen Finger um Skudders Handgelenk. Skudder als Anker benutzend, riß sich der schwarze Gigant mit einem einzigen Ruck in die Tiefe und holte gleichzeitig mit dem anderen Arm aus, um Skudder die Waffe aus der Hand zu schlagen.
Das alles geschah in Bruchteilen von Sekunden. Der Fremde bewegte sich mit einer Schnelligkeit, wie Charity sie bisher nur bei einem einzigen lebenden Wesen gesehen hatte.
Charity schrie auf und hob ihre Waffe, wagte es aber nicht, zu schießen, da die Gefahr bestand, Skudder zu treffen. Dieser Nachteil währte jedoch nur noch eine einzige Sekunde, denn kaum hatte der Riese den Boden berührt, packte er Skudder mit beiden Händen, riß ihn in die Höhe und schleuderte ihn wie eine Stoffpuppe durch die Halle. Gleichzeitig wirbelte er herum und versuchte, die Waffe zu greifen, die er Skudder aus der Hand geschlagen hatte.
Charity und Hartmann schossen gleichzeitig. Hartmanns Laserstrahl verfehlte sein Ziel, aber Charity traf den Riesen in den Oberschenkel. Der Strahl durchbohrte das Bein des Wesens und spritzte an der Wand hinter ihm auseinander. Wieder quollen Luft und gefrorenes Blut aus der Wunde.
Der Fremde taumelte zurück. Charity konnte sehen, daß sich das Material seines Anzuges praktisch sofort zusammenzog, um die Beschädigung zu verschließen, und der Angreifer selbst tat Charity diesmal nicht mehr den Gefallen zu stürzen, sondern humpelte ungeschickt, aber sehr schnell, weiter auf Skudders Waffe zu, die ein paar Meter neben ihm träge dahinglitt.
Charity schoß wieder, dann Hartmann. Beide Schüsse trafen.
Diesmal taumelte der Fremde stärker, fiel aber immer noch nicht, und Charity ergriff ihre Waffe mit beiden Händen, zielte eine Sekunde und jagte den nächsten Laserblitz genau in das verspiegelte Helmvisier des Riesen.
Das spiegelnde Material reflektierte einen Großteil der Energie, doch Charity hatte ihre Waffe auf maximale Kraft eingestellt. Eine halbe Sekunde lang leuchtete das Visier grell auf, dann explodierte es in einer Wolke aus glühenden Glassplittern, gefrorener Luft und roten Tropfen. Der Angreifer wurde nach hinten geworfen, verlor abermals den Boden unter den Füßen und begann sich langsam in der Schwerelosigkeit zu überschlagen. Diesmal versiegte der Strom aus seinem beschädigten Anzug nicht wieder. Charity war sicher, daß er tot war.