Gleichzeitig begann ihr Ortungsalarm noch lauter zu schrillen.
Charity fluchte, beschleunigte noch mehr und riß die Viper in einer engen Kurve herum. Irgend etwas streifte die Maschine flüchtig. Trotzdem wurde sie brutal aus dem Kurs geworfen, drehte sich für einen Moment trudelnd um drei oder noch mehr Achsen zugleich und kam gerade noch rechtzeitig wieder in eine stabile Lage, bevor Charitys Magen aus ihrem Kehlkopf herauskriechen konnte.
Als sie wieder klar denken konnte, sah sie, daß Hartmann und Skudder sich gemeinsam auf das Rochenschiff gestürzt hatten und es mit Säulen und Salven aus ihren Lasergeschützen eindeckten. Die Maschine trudelte, doch selbst die acht vereinten Laserstrahlen vermochten seinen Schutzschild nicht zu durchdringen. Aber sie schienen es dem Piloten auch unmöglich zu machen, sich zu wehren oder nennenswert zu manövrieren.
Das Energiefeld umgab den Rochen wie eine zweite, leuchtende Haut. Ströme reiner Energie glitten über die Flanken des Rochenschiffes, ohne sie wirklich zu berühren. Aber die Maschine schwankte immer stärker, und Charity glaubte bereits ein unrhythmisches Flackern in der Struktur des Schildes wahrzunehmen. Sie war zuversichtlich, daß Skudder und Hartmann den Rochen erledigen würden.
Wo aber war das zweite Raumschiff?
Wie als Antwort auf diese Frage erbebte die Viper unter einem berstenden Schlag. Ein Dutzend Alarmsirenen heulten und flackerten gleichzeitig auf. Glas zerbrach klirrend, und Charity sah, wie sich die als unzerstörbar geltende Kanzel über ihrem Kopf in ein milchiges Spinnennetz verwandelte, während die Viper herumgerissen wurde und erneut wild zu taumeln und zu trudeln begann. Der vermißte Rochen tanzte zweimal an Charity vorüber, bis sie das Schiff wieder halbwegs unter Kontrolle hatte.
Sie beschleunigte blindlings. Die Viper schoß mit solcher Gewalt nach vorn, daß sie durch den Anpreßdruck keine Luft mehr bekam und für einen Moment nichts als farbige Punkte und Feuerräder sah. Noch eine Winzigkeit mehr, und sie lief Gefahr, das Bewußtsein zu verlieren.
Ein Laserstrahl traf die Viper, hinterließ eine schwarze Brandspur auf ihrem Rumpf und zerschmolz die Bugantennen zu glühendem Schrott. Doch es gab noch eine andere, viel größere Gefahr, wie Charity nur zu gut wußte. Statt das Tempo zurückzunehmen, ließ sie die Viper deshalb in willkürlichen Sprüngen hin und her hüpfen. Der Laserstrahl verlor sein Ziel und erlosch.
Charity flog einen Salto, riß die Viper in einer engen Kehre herum und feuerte zwei Raketen auf das Rochenschiff ab. Eines der Geschosse verfehlte sein Ziel, das andere explodierte direkt über dem sonderbaren Rumpfaufbau und riß ihn ab. Glühende Trümmerstücke und brennendes Gas eruptierten aus dem Loch, aber die Beschädigung schien die Funktionstüchtigkeit der Maschine nicht ernsthaft zu beeinträchtigen. Der Pilot feuerte auf der Stelle zurück. Zwei armdicke Laserstrahlen trafen die Viper und ließen das Metall des Rumpfes wie unter Schmerzen aufschreien.
Irgend etwas explodierte. Beißender Qualm erfüllte die Kanzel. Charity war für eine halbe Sekunde blind, ehe die Ventilatoren ansprangen und den Rauch absaugten.
Als sie wieder sehen konnte, schwebte das Rochenschiff kaum hundert Meter vor ihr im All. Aus dem Loch auf seiner Oberseite drang noch immer brennendes Gas, doch die Beschädigung war nicht gefährlich. Offensichtlich aber hielt der Pilot Charitys Viper für kampfunfähig, jedenfalls betrachtete er sie als nicht mehr gefährlich genug, um ihr Schaden zufügen zu können. Charity vermutete, daß der Pilot nun in aller Seelenruhe Ziel nahm, um der angeschlagenen Viper den Todesstoß zu versetzen. Ihre Finger näherten sich dem Taktik-Computer und zogen sich wieder zurück. Der Pilot des Rochenschiffes würde es merken, wenn er von ihrem Zielradar erfaßt wurde, und augenblicklich feuern.
Charity wartete, bis der Rochen sich direkt vor dem stumpfen Bug der Viper befand, dann feuerte sie ihre Hauptwaffe ab.
Die Railgun entlud sich mit einem dumpfen, rauschenden Wusch, das sich in rasendem Tempo vom Heck bis zum Bug fortsetzte und von einer heftigen Erschütterung gefolgt wurde, die die gesamte Viper ergriff. Im ersten Moment wartete Charity vergeblich auf irgendeine Wirkung.
Dann zerbarst das Rochenschiff.
Es explodierte nicht etwa, oder brach auseinander, sondern zerplatzte wie ein Modell aus hauchdünnem Glas, das von einem Vorschlaghammer getroffen worden war. Die kinetische Energie, die das faustgroße Urangeschoß in das Schiff pumpte, war so gewaltig, daß es schneller auseinander gesprengt wurde, als die Munition und der Treibstoff explodieren konnten.
Charity kannte zwar die theoretische Wirkung der Railgun, doch die Praxis überstieg in diesem Fall jede Vorstellung.
Theoretisch bedeutete die Entwicklung der Railgun einen gewaltigen Rückschritt in der Waffentechnologie, denn statt gebündelter Hochenergiestrahlen oder selbstlenkenden Raketen verschoß die Kanone massive Urankerngeschosse, vom Prinzip her kaum anders als die gußeisernen Kanonen, mit denen sich die Panzerschiffe auf den Meeren einer vergangenen Epoche der Erde bekämpft hatten. Praktisch aber war die Wirkung der Railgun verheerender als alles, was Charity bis zu diesem Augenblick gesehen hatte, denn diese Kanone verschoß ihre Projektile nicht mit Hilfe eines Sprengsatzes, sondern beschleunigte sie mittels rasend schnell wechselnder, ineinandergreifender Magnetfelder. Die faustgroße, dreißig Pfund schwere Urankugel wurde im Heck des Schiffes beschleunigt und erreichte bis zum Verlassen des Laufes unter dem Bug eine Geschwindigkeit von mehr als vierzigtausend Kilometer in der Sekunde. Was immer den Weg eines dieser Geschosse kreuzte, wurde augenblicklich zerstört, mit ungeheurer Wucht, wobei es ganz egal war, woraus das Ziel bestand und wie es sich zu schützen versuchte.
Doch Charity hatte bislang angenommen, daß das Geschoß einfach ein Loch in das gegnerische Schiff stanzen würde, woraufhin es auseinanderbrach, explodierte oder auch nur hilflos davonzutrudeln begann. Die Wirkung aber, die sie soeben beobachtet hatte, war ungleich spektakulärer gewesen. Das Urankerngeschoß mußte einen Großteil seiner Bewegungsenergie schlagartig auf sein Ziel übertragen haben.
Charity starrte die auseinandertreibenden Trümmerteile zwei, drei Sekunden lang fassungslos an.
Trümmerstücke prasselten wie Hagel gegen den Rumpf und die Kanzel der Viper. Das Geräusch erinnerte Charity daran, daß es noch nicht vorbei war. Sie riß sich aus ihren Gedanken, beschleunigte, lenkte den Jäger in einer engen Kurve um die Überreste des Rochenschiffes herum und suchte nach Skudder und Hartmann. Überrascht stellte sie fest, wie weit sie sich während des kurzen Kampfes vom Schauplatz des zweiten Gefechts entfernt hatte. Sie konnte weder die beiden Vipern noch ihren Gegner sehen, registrierte aber ein weit entferntes, hektisches Flackern und Blitzen; das optische Echo der Laserstrahlen, die Skudder und Hartmann noch immer auf ihren Gegner schleuderten.
Charity korrigierte den Kurs der Viper, beschleunigte stark und versuchte gleichzeitig, Funkkontakt zu Hartmann oder Skudder aufzunehmen.
Keiner der beiden meldete sich. Wahrscheinlich hatten sie alle Hände voll damit zu tun, ihren Gegner im Zaum zu halten. Aber das Funkgerät blieb vollkommen tot. Charity hörte nicht einmal ein statisches Rauschen. Irgend etwas an dieser Erkenntnis war bedeutsam, das wußte Charity, aber sie hatte keine Zeit, den Gedanken weiter zu verfolgen.
Der Schauplatz des Kampfes war wieder in Sichtweite gekommen. Die beiden Vipern feuerten noch immer aus nächster Nähe auf das Rochenschiff, das mittlerweile in einem grellen, unheimlichen Licht loderte und flammende Eruptionen in alle Richtungen schleuderte. Die überlasteten Schutzschirme versuchten, die überschüssige Energie abzugeben, doch Skudder und Hartmann jagten Hitze und hochenergetisches, zerstörerisches Licht schneller in die Schirme hinein, als diese absorbieren oder zurückschleudern konnten.