Charity griff automatisch nach dem Auslöser der Railgun und zog die Hand wieder zurück, ohne die Bewegung zu Ende zu führen. Die drei Gegner waren sich zu nahe. Sie lief Gefahr, Skudder oder Hartmann zu treffen, wenn sie jetzt feuerte. Außerdem wäre es pure Munitionsverschwendung. Die Schutzschirme des Rochenschiffes mußten jeden Moment zusammenbrechen, vor allem, wenn sie das Feuer ihrer Laser dem der beiden anderen Jäger hinzufügte.
Charity lenkte die Viper in einer langgestreckten Kurve herum, um in eine günstigere Schußposition zu gelangen, reduzierte drastisch ihre Geschwindigkeit und visierte das Rochenschiff an. Im gleichen Moment entdeckte sie einen klobigen, langgestreckten Umriß, der über der stählernen Skyline der EXCALIBUR erschien und Kurs auf die kämpfenden Jäger nahm. Es war einer der Truppentransporter, die sie beobachtet hatten.
Charity schob den Beschleunigungshebel mit einem Ruck nach vorn, richtete ihre Laser auf den neu aufgetauchten Feind aus und wartete auf die Zielerfassung des Computers. So nahe bei der EXCALIBUR und den beiden anderen Jägern wagte sie es nicht, nach Licht zu feuern. Ein einziger Fehlschuß konnte verheerende Folgen haben.
Einen Sekundenbruchteil, bevor die Zielerfassung aufleuchtete, schüttelte sich das Landungsschiff, und praktisch im gleichen Moment flog Skudders Schiff wie von einer unsichtbaren Faust getroffen davon. Eine der Tragflächen brach sofort ab. Das Kanzeldach zersplitterte, und das Lodern der Triebwerke erlosch übergangslos.
Charity schlug die flache Hand mit einem Schrei auf den Feuerknopf. Das Landungsschiff glühte unter dem Einschlag der Laserbahnen auf. Einen Sekundenbruchteil später hämmerte die Raketensalve in die Schutzschirme und riß sie in einer Folge greller Explosionen auseinander. Die nächste Lasersalve traf den verglühten Rumpf des Landungsschiffes und verwandelte das Metall in flüssig davonspritzendes Magma. Der Transporter bäumte sich auf, kippte zur Seite und zerbrach in zwei Teile, als Charity eine weitere Lasersalve in den nunmehr ungeschützten Rumpf jagte.
Mit fliegenden Fingern riß sie die Viper herum und jagte auf Hartmann und das Rochenschiff zu. Gleichzeitig versuchte sie beinahe verzweifelt, Skudder zu entdecken. Seine Viper torkelte wrackgeschossen und führerlos durchs All. Charity betete, daß er noch am Leben war. Aber sie hatte keine Zeit, ihm zu Hilfe zu eilen. Das Eingreifen des Transportschiffes nahm all ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Und es gab noch zwei weitere Landungsschiffe, die sich als gar nicht so harmlos erwiesen hatten, wie sie bisher glaubten.
Sie mußte den Kampf entscheiden. Jetzt.
Charity warf alle Bedenken über Bord, visierte das Rochenschiff an und feuerte. Die Viper schüttelte sich, als die Railgun ihr Geschoß ausspie, und im gleichen Sekundenbruchteil war die vordere Hälfte des Rochenschiffes verschwunden. Die andere schien sich in Zeitlupe auseinanderzufalten und in ein halbes Dutzend großer und Millionen winziger Bruchstücke zu zerbrechen. Hartmanns Laser feuerten noch einen kurzen Moment weiter und erloschen dann.
Charity verschwendete keinen Augenblick mehr auf das zerstörte Rochenschiff, sondern überließ es Hartmann, sich um mögliche weitere Gegner zu kümmern und ihr den Rücken zu decken. Die Viper ächzte, als wollte sie auseinanderbrechen, als Charity sie in eine enge Kehre zwang und gleichzeitig in Skudders Richtung beschleunigte.
Die riesenhafte Flanke der EXCALIBUR raste auf sie zu, kam immer näher, bedrohlicher näher, und glitt dann zur Seite, als Charity den Raumjäger in kaum hundert Metern Entfernung an ihr vorbeiprügelte. Skudders Schiff trudelte antriebslos vor ihr durchs All. Selbst über die große Entfernung hinweg konnte Charity sehen, daß es nur noch ein Wrack war.
Charity bremste die Viper ebenso brutal ab, wie sie gerade erst beschleunigt hatte, und wurde zur Abwechslung gegen das Armaturenbrett geschleudert, statt in den Sitz gepreßt zu werden. Trotzdem jagte sie mit viel zu hoher Geschwindigkeit an Skudders Schiff vorbei. Fluchend kämpfte sie mit der Steuerung, versuchte den Raumjäger noch weiter abzubremsen und gleichzeitig zu wenden und geriet für einen Moment ins Trudeln.
Der Bildschirm vor ihr erwachte zum Leben. Hartmanns Gesicht blickte sie besorgt aus der dreidimensionalen Abbildung heraus an.
»Ist alles in Ordnung mit dir?« fragte er.
»Mit mir schon«, antwortete Charity. Sie bekam die Viper endlich wieder unter Kontrolle, verringerte ihre Geschwindigkeit auf Null und suchte nach Skudders Schiff. Sie entdeckte es vier- oder fünfhundert Meter entfernt.
»Kümmere dich um ihn«, sagte Hartmann knapp. »Ich decke euch.«
Hartmanns Schiff entfernte sich wieder, und Charity versuchte erneut, das trudelnde Wrack vor ihr einzuholen. Diesmal ging sie sehr viel behutsamer zu Werk. Sie war eine ausgezeichnete Pilotin, und die Viper erwies sich als äußerst präzise zu manövrierendes Schiff, das auf jede noch so winzige Steuerbewegung reagierte. Trotzdem mußte sie am Schluß den Computer zu Hilfe nehmen, um ihren Kurs dem ziellosen Trudeln des Wracks anzupassen.
Ihr Herz begann immer stärker zu klopfen. Sie zitterte am ganzen Leib, und ihre Handflächen und ihre Stirn waren feucht vor Schweiß. Skudders Viper schwebte jetzt genau über ihr. Charity näherte sich dem Schiff von der Unterseite, so daß sie die Pilotenkanzel nicht sehen konnte, doch allein die Zerstörungen, die sie auf den ersten Blick gewahrte, waren entsetzlich. Der schiffslange Lauf der Railgun war verbogen und zu einem Drittel aus seiner Verankerung gerissen. Einer der Flügel fehlte vollkommen; der andere sowie der Rest des Rumpfes wiesen zahllose Risse, Dellen und andere Beschädigungen auf.
Abgerissene Kabel, zerborstene Rohrleitungen und bis zur Unkenntlichkeit verbogene Maschinenteile ragten aus den zahllosen unterschiedlich großen Löchern, die im Rumpf der Maschine gähnten.
Die Viper sah aus, als wäre sie stundenlang mit schweren Vorschlaghämmern bearbeitet worden. Kein lebendes Wesen, das sich darin befunden hatte, konnte diese Verheerung überlebt haben.
Aber Skudder durfte nicht tot sein. Ganz egal, was auch passierte - Skudder durfte einfach nicht tot sein! Sie kannten sich zu lange. Sie hatten gemeinsam zu viel durchgemacht, als daß er jetzt durch einen so dummen, überflüssigen Akt willkürlicher Gewalt ums Leben gekommen sein durfte!
Skudder war viel mehr als nur Charitys bester Freund und Lebensgefährte. Ohne ihn hätte sie den Kampf gegen die Moroni möglicherweise nie durchgestanden, ja, vielleicht noch nicht einmal begonnen. Sein Anteil an der Befreiung der Erde war mindestens ebenso groß wie ihr eigener, und sei es nur, weil Skudder es gewesen war, der ihr in Augenblicken der Verzweiflung und Mutlosigkeit immer wieder neue Kraft gegeben hatte. Das Schicksal konnte einfach nicht so ungerecht sein, ihn jetzt mit einer fast beiläufigen Geste zu vernichten.
Und wenn doch?
Charity manövrierte den Jäger mit kleinen, vorsichtigen Stößen aus den Korrekturdüsen um das Wrack der anderen Maschine herum. Sie fragte sich, was sie tun würde, sollte Skudder tatsächlich tot sein. Ob sie die Kraft haben würde, weiter zu leben?
Sie wußte es nicht.
Und sie brauchte die Frage auch nicht zu beantworten. Skudder war nicht tot.
Die Oberseite der Viper bot einen fast noch schlimmeren Anblick als ihre Unterseite. Das Metall war zerhämmert und zerborsten, und wo einst das Cockpit gewesen war, gähnte ein schwarzes Loch mit unregelmäßig ausgefransten Rändern. Wie Skudder aus diesem Wrack herausgekommen war, sollte Charity auf ewig ein Rätsel bleiben. Aber er war herausgekommen. Und er war offensichtlich sogar bester Laune, denn er hockte im Schneidersitz auf der verbliebenen Tragfläche des Jägers, grinste Charity breit an und winkte mit der rechten Hand, deren Daumen er in einer uralten Geste nach oben gereckt hatte.
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