Hartmanns Viper hing wie ein grausilberner Riesenvogel mit reglos ausgebreiteten Schwingen über ihr, während Charity mit unendlicher Geduld an die schwierige Aufgabe ging, Geschwindigkeit und Kurs ihres Schiffes weiter dem unberechenbar dahintrudelnden Wrack anzupassen; ein Vorhaben, das selbst mit Hilfe des hochgezüchteten Navigationscomputers fast undurchführbar schien. Skudder hatte schon zweimal versucht, sich auf dem Schiffswrack aufzurichten und nach Charitys Viper zu greifen, und es war beide Male mißlungen, weil Charity den Raumjäger im allerletzten Moment in die Höhe gerissen und den Abstand wieder vergrößert hatte.
Sie konnte nicht das allergeringste Risiko eingehen. Die beiden Schiffe hingen nun scheinbar reglos nebeneinander im All; in Wahrheit bewegten sie sich noch immer mit einer Geschwindigkeit von mehreren hundert Stundenkilometern dahin. Die winzigste Unaufmerksamkeit konnte dazu führen, daß Skudders Anzug zerriß oder daß er wie eine Kanonenkugel ins All hinausgeschleudert wurde.
»Charity!« mahnte Hartmanns Stimme in ihren Kopfhörern. Charity nickte, antwortete aber nicht, sondern konzentrierte sich ganz darauf, Position und relative Geschwindigkeit der Viper weiter zu stabilisieren. Sie wagte es nicht einmal, auf die Uhr zu schauen, wußte aber auch so, daß ihr nur noch wenige Minuten blieben. So schnell, wie sie sich von der EXCALIBUR entfernten, konnte es nicht mehr lange dauern, bis ihnen das riesige Sternenschiff keine Deckung mehr bot. Und da waren noch immer mindestens zwei der fremden Schiffe, wenn nicht mehr.
Sie konnten nicht riskieren, angegriffen zu werden und Skudder möglicherweise doch noch zu verlieren. Selbst mit den hochempfindlichen Ortungsgeräten an Bord der Vipern war es eine nahezu unlösbare Aufgabe, einen einzelnen Menschen in der Weite des Weltraumes aufzuspüren. Sie waren nicht einmal besonders weit von der Erde entfernt, aber selbst dieser winzige Bereich zwischen der Erdatmosphäre und der EXCALIBUR war unvorstellbar groß. Wenn sie eine reelle Chance haben wollten, Skudder zu retten, mußte es schnell geschehen.
Hartmann meldete sich über Funk, doch seine Stimme ging in immer lauter werdenden Störgeräuschen unter. Sein Gesicht auf dem Bildschirm war nur noch zweidimensional und wurde von farbigen, verzerrten Streifen überlagert. Das Gerät begann schon wieder zu spinnen. Aber Charity wußte auch so, was er ihr sagen wollte. Sie entfernten sich immer weiter von der EXCALIBUR. Ihre letzte Chance.
Sie stabilisierte die Viper noch einmal um eine Winzigkeit, ließ den Jäger unendlich behutsam tiefer sinken und nickte Skudder zu. Er richtete sich auf, hob die Arme und wartete, bis die Flügelspitze in Reichweite war. Charity hielt instinktiv den Atem an, als Skudder nach der Maschine griff und sich daran festklammerte.
Das waghalsige Manöver gelang. Skudder zog sich mit einer kraftvollen Bewegung auf die Tragfläche hinauf, ließ sich - vollkommen überflüssig - auf Hände und Knie herabsinken und kroch auf das Cockpit zu. Charity ließ die gesprungene Kanzel aufgleiten und blickte ihm entgegen. Skudders Lippen bewegten sich. Er sagte irgend etwas, doch Charity hörte keinen Laut. Der Funk hatte endgültig den Geist aufgegeben.
Und sie hatten ein weiteres Problem. Die Viper war ein reiner Ein-Mann-Jäger. In Charitys Kabine war gar kein Platz für einen zweiten Passagier. Sie wartete, bis Skudder heran war und sich am Cockpitrand festgeklammert hatte, dann wendete sie die Maschine und steuerte behutsam wieder auf die EXCALIBUR zu. Charity war kein bißchen überrascht, als der Funk nach wenigen Augenblicken wieder zum Leben erwachte.
»Das wurde ja auch Zeit«, maulte Skudder, grinste sie aber gleichzeitig durch den Helm hindurch breit an. »Ich dachte schon, du schaffst es nie.«
»Immerhin habe ich meine Maschine nicht zu Schrott geflogen«, antwortete Charity. Dann wurde sie übergangslos ernst. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Ich bin nicht verletzt, wenn du das meinst«, sagte er. »Aber ich fühle mich, als hätte eine ganze Elefantenherde das Steptanzen auf mir geübt. Was, zum Teufel, war das für eine Waffe?«
»Das werden wir schneller herausfinden, als uns lieb ist, wenn wir nicht bald von hier verschwinden«, meldete sich Hartmann zu Wort. Seine Viper war der Charitys gefolgt. Die Funkverbindung funktionierte einwandfrei. »Unsere Freunde haben garantiert Verstärkung angefordert. Ist mit Skudder alles in Ordnung?«
»Kein Problem«, antwortete Skudder. »Aber ich brauche eine neue Maschine. Wir müssen noch einmal zurück.«
»Du glaubst doch nicht, daß sie noch einmal darauf hereinfallen«, sagte Hartmann.
»Hast du eine bessere Idee?«
»Nein«, gestand Hartmann. »Ich schlage vor, ihr beide bleibt hier und versucht irgendwie, die Erde zu erreichen. Auf irgendeiner Frequenz muß dieser verdammte Funk doch noch funktionieren. Sie können sie nicht alle blockiert haben.«
»Und du?« fragte Charity, von einer unguten Vorahnung erfüllt.
»Ich kümmere mich um Skytown.«
»Allein?« Charity lachte humorlos. »Du allein gegen drei von diesen Rochenschiffen? Sie schießen dich in Stücke, bevor du auch nur Hallo sagen kannst.«
»Ich passe schon auf mich auf«, widersprach Hartmann. »Verdammt, Charity, ich muß zurück! Net und die Kinder sind vermutlich noch dort.«
Wahrscheinlich hat er damit recht, dachte Charity betrübt. Wenn die Angreifer auf Skytown ebenso vorgegangen waren wie auf der EXCALIBUR und die gesamte Moron-Technik lahmgelegt hatten, dann funktionierte neben vielen anderen Dingen auch der Jet nicht mehr, mit dem Charity gekommen war.
Net und die anderen saßen fest.
Trotzdem sagte Charity mit Bestimmtheit: »Kommt gar nicht in Frage. Du hilfst ihnen nicht, indem du dich umbringen läßt.«
»Wenn ich hierbleibe und mich mit diesen Monstern rumschlage, kann ich ihnen noch viel weniger helfen«, antwortete Hartmann.
»Vielleicht doch«, antwortete Charity. »Ich möchte etwas ausprobieren... flieg ein paar Meilen von uns weg und versuche, Funkkontakt mit uns aufzunehmen.«
Hartmann setzte an, Charity zu widersprechen, beließ es dann aber bei einem Achselzucken und tat, was sie von ihm verlangt hatte. Seine Viper wendete und entfernte sich rasch. Schon nach ein paar Augenblicken begann sich sein Gesicht auf dem Monitor zu verzerren und erlosch dann ganz. Hartmann flog eine Schleife und kam zurück. Der Bildschirm erwachte wieder zum Leben, als sein Raumjäger neben den Charitys glitt.
»Das wollte ich wissen«, sagte sie. »Was immer unseren Funk stört, befindet sich auf der anderen Seite des Schiffes. Die EXCALIBUR schirmt uns ab. Deshalb können wir miteinander reden, so lange wir ihr nahe sind.«
»Und?« fragte Hartmann.
»Wahrscheinlich befindet sich der Störsender in einem der beiden anderen Schiffe«, sagte Skudder. »Wenn wir sie zerstören -«
»Können wir Hilfe herbeirufen«, vollendete Charity. »Das geht auf jeden Fall schneller, als zur Erde zurückzufliegen.«
Ganz davon abgesehen, fügte sie in Gedanken hinzu, daß unsere Feinde kaum tatenlos zusehen werden, wie wir verschwinden, um mit der Kavallerie zurückzukommen.
»Also, worauf warten wir noch?« fragte Skudder. »Schnappen wir uns die Kerle.«
»Mit dir als blindem Passagier?« Charity schüttelte den Kopf. »Wir haben da vorher noch ein kleines Problemchen zu lösen, meinst du nicht auch?«
»Ich würde sagen, es sind ungefähr zwanzig Probleme«, sagte Hartmann. »Seht mal nach links...«
Im ersten Moment begriff Charity nicht, was Hartmann überhaupt meinte, aber dann sah sie es: Auf dem Rumpf der EXCALIBUR war eine Anzahl winziger, dunkler Gestalten erschienen. Einige von ihnen schleppten irgend etwas mit sich, das Charity nicht genau erkennen konnte. Aber es war nicht schwer zu erraten, um was es sich handelte.
»Sind die verrückt geworden?« keuchte Skudder.
Wie zur Antwort blitzte es zwischen den ameisengroßen Gestalten auf dem Rumpf der EXCALIBUR grell auf. Blaues Elmsfeuer tanzte über den Bug von Hartmanns Viper und erlosch dann wieder. Sie waren zu weit entfernt, als daß die Waffen der Männer dort unten ihnen wirklich Schaden zufügen konnten. Aber die Warnung war deutlich genug. Noch einmal würden sie nicht unbemerkt an Bord des Schiffes kommen. Ein weiterer Energiestrahl streifte Hartmanns Schiff und verpuffte wirkungslos. Hartmann fluchte, riß seine Maschine auf der Stelle herum und feuerte mit dem Laser zurück. Charity sah, wie unter den Fremden vier grellweiße Lichtpunkte aufflammten und zwei, drei schwarzgekleidete Gestalten verschlangen. Die übrigen wichen hastig auseinander, um kein gemeinsames Ziel zu bieten, machten aber keine Anstalten, sich vollends zurückzuziehen.