Charity kannte solche Hemmungen nicht. Sie zog ihre Waffe, zielte angesichts ihres letzten Zusammentreffens mit den schwarzen Riesen auf das schlitzförmige Helmvisier und drückte ab. Der Laserstrahl durchschlug das verspiegelte Glas und explodierte im Inneren des Helmes.
Noch während der leblose Körper nach hinten kippte, wirbelte Charity herum und zielte auf den zweiten Fremden.
Der Pilot des Transportschiffes reagierte so schnell, wie sie es befürchtet hatte. Noch während Charity herumfuhr, sprang er aus seinem Sitz und zog gleichzeitig seine Waffe. Als Charity ihre Drehung beendet hatte, blickte sie genau in die Mündung eines klobigen, aber äußerst gefährlich aussehenden Lasers.
Der Pilot schoß nicht. Alles spielte sich in Bruchteilen von Sekunden ab, doch Charity war klar, daß sie trotzdem viel zu langsam war. Der Fremde hätte jede Gelegenheit gehabt, seine Waffe abzufeuern und sie zu töten.
Er tat es nicht.
Das unglaubliche Geschehen von vorhin wiederholte sich. Der Fremde starrte sie einfach nur an. Charity konnte seinen Blick trotz des verspiegelten Visiers vor seinen Augen regelrecht spüren.
Charity erschoß ihn, bevor er seine Hemmungen überwinden konnte, welchen Grund dafür er auch immer haben mochte. Sein Helmvisier verwandelte sich in einen flammenspeienden Vulkan, als Charity einen Laserstrahl hineinjagte. Die Gestalt kippte leblos nach hinten und feuerte noch im Fallen ihre Waffe ab, aber der Strahl strich harmlos über Charity hinweg und ließ einen Teil der Deckenverkleidung schmelzen.
Sie war mit zwei, drei Schritten im Bug des Schiffes, zog den toten Piloten von seinem Sitz und ließ sich selbst hineinfallen. Ihr Blick irrte verzweifelt über das Instrumentenpult. Die Kontrollen waren fremdartig, aber eindeutig für Menschen gedacht. Hätte sie eine halbe Stunde Zeit gehabt, hätte sie vielleicht sogar lernen können, notdürftig damit zurande zu kommen.
Leider hatte sie keine halbe Stunde.
Sie warf einen hastigen Blick nach vorn und stellte fest, daß das Irrlichtern hinter dem Rumpf der EXCALIBUR noch immer anhielt. Hartmann lebte.
Aber wie lange noch?
Charitys Blick blieb an einem Hebel haften, der entfernte Ähnlichkeit mit einem antiquierten Joystick hatte. Sie griff danach und stellte zufrieden fest, daß sich das Schiff gehorsam in Bewegung setzte - bis das Shuttle heftig zu stampfen und zu schlingern begann. Auf dem Kontrollpult über ihr beschwerte sich ein gutes Dutzend orangerot flackender Lichter. Charity nahm das Tempo ein wenig zurück, und der Transporter beruhigte sich wieder.
Erleichtert atmete sie auf. Sie konnte nicht allzu schnell fliegen, aber sie konnte fliegen. Noch vor zwei Minuten war sie nicht sicher gewesen, ob sie die nächsten zwei Minuten überleben würde. Jetzt hatte sie wieder ein Schiff.
Behutsam schwenkte sie das Shuttle herum, zielte auf den oberen Rand der EXCALIBUR und beschleunigte bis dicht vor den Punkt, an dem das Schütteln wieder einsetzen würde. Jetzt brauchte sie nur noch eine Waffe.
Ratlos musterte sie die mit unverständlichen Schriftzeichen versehenen Instrumente vor sich. Das System, nach dem sie angeordnet waren, kam ihr vage vertraut vor, aber nicht bekannt genug, als daß sie irgendwelche Experimente gewagt hätte.
Doch jede Sekunde, die sie wartete, konnte Hartmanns Tod verursachen.
Die EXCALIBUR kam unerträglich langsam näher. Charity korrigierte den Kurs des Landungsschiffes, bis sie direkt auf das irrlichternde Lasergewitter hinter dem Sternenschiff zuhielt, und zählte mit zusammengebissenen Zähnen die Sekunden, bis sie das Schiff überflogen hatte.
Sie erschrak bis ins Mark, als sie Hartmanns Jäger sah.
Die Viper war ein Wrack. Einer ihrer Flügel war abgerissen, das hintere Drittel des Rumpfes hoffnungslos zerstört, und der Rest des Schiffes schien mehr aus glühenden Flecken und geschwärzten Laserspuren als irgend etwas anderem zu bestehen.
Das Rochenschiff umkreiste die Viper wie ein Geier seine Beute und gab immer wieder kurze, gezielte Feuerstöße ab, die grellweiße Explosionen und Funkenschauer aus dem Rumpf schlugen.
Hartmann war nur noch am Leben, weil er seine Viper genau vor das fremde Kommunikationsschiff gelenkt hatte, so daß der Rochen nicht seine gesamte Feuerkraft einsetzen konnte. Trotzdem konnte es nur noch Augenblicke dauern, bis der ungleiche Kampf zu Ende war.
Charity nahm für einen Moment ihre Geschwindigkeit zurück, visierte das Rochenschiff an und beschleunigte wieder. Der fremde Pilot stellte sein Feuer auf die wehrlose Viper ein und hielt seine Maschine an.
Wieder begann ein Licht auf dem Kontrollpult vor Charity zu flackern. Wahrscheinlich versuchte jemand, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Sie würde nicht darauf antworten, aber sie hatte dennoch eine Nachricht für den Piloten des Rochenschiffes.
Sie bezweifelte allerdings stark, daß sie ihm gefiel.
Drei- oder vierhundert Meter, bevor Charity das Rochenschiff erreichte, stieß sie den »Joystick« brutal nach vorn. Der Transporter machte einen regelrechten Satz und begann prompt wieder zu schlingen, und auch der Pilot des Rochenschiffes begriff endlich, daß irgend etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Doch seine Reaktion erfolgte zu spät. Das Shuttle bohrte sich mit voller Geschwindigkeit in die Seite seines Schiffes.
Thors Hammer traf das Universum und zerschlug es in Stücke.
Charity wurde aus dem Sitz gerissen und nach vorne geschleudert, während sich das Pult vor ihr zusammenfaltete, als bestünde es aus dünnem Stanniolpapier. Vor ihr waren nichts als Flammen, gleißendes Licht und wirbelnde Trümmer. Sie prallte gegen die Frontscheibe, die genau in diesem Moment zu einem Wasserfall glühender, rechteckiger Scherben zerfiel, wurde zurückgeschleudert und spürte noch im Sturz, wie die künstliche Schwerkraft des Shuttle erlosch. Mit furchtbarer Gewalt wurde sie gegen irgend etwas Weiches, Nachgiebiges geschleudert, das ihrem Sturz die allerschlimmste Wucht nahm, und verlor den Kontakt zum Boden.
Sich hilflos überschlagend, segelte sie durch die gesamte Kabine, prallte mit immer noch entsetzlicher Wucht gegen die Rückwand und verlor beinahe das Bewußtsein. Wogen fürchterlicher Schmerzen rasten durch ihren Körper, und jeder Atemzug wurde von einem tiefen, quälenden Stich begleitet. Wahrscheinlich hatte sie sich eine Rippe gebrochen. Sie kämpfte mit verzweifelter Kraft darum, bei Bewußtsein zu bleiben, blinzelte die roten Schleier vor ihren Augen fort und streckte die Arme nach irgendeinem Halt aus.
Rings um sie herum zerbrach das Schiff in Stücke. Die Pilotensessel und das Kommandopult waren nur noch ein Gewirr aus Trümmern und Schrott, und vor den herausgeborstenen Fenstern loderte noch immer grünes Feuer. Das ganze Schiff schien seine Form verloren zu haben und wirkte plötzlich asymmetrisch. Herausgerissene Sitzbänke und Trümmer segelten durch die Kabine. Aus zerborstenen Rohrleitungen quollen Flüssigkeit und Funken. Blaues Feuer züngelte nur eine Handbreit neben Charity aus dem Boden, und das gesamte Schiff erzitterte noch immer unter einer Folge rascher, schwerer Schläge.
Es würde auseinanderbrechen, erkannte Charity. Vielleicht explodieren.
Sie hatte endlich etwas gefunden, woran sie sich festhalten konnte, und hangelte sich Hand über Hand auf den Ausgang zu. Der Pilot hatte die Tür nicht mehr schließen können, bevor Charity ihn erschossen hatte. Wenn sie die Tür erreichte, hatte sie vielleicht ein Chance.
Charity arbeitete sich mit zusammengebissenen Zähnen weiter auf die Tür zu. Die Schmerzen in ihrer Brust wurden immer schlimmer. Jeder Atemzug war eine unerträgliche Qual, und ihre Muskeln versuchten den Dienst zu quittieren. Verzweifelt auf dem dünnen Grat der Bewußtlosigkeit entlang balancierend, arbeitete Charity sich weiter auf die Tür zu, erreichte sie mit letzter Kraft und katapultierte sich selbst aus dem Schiff hinaus.