»Was machen Sie da?«
Kathryn stand auf der Schwelle, und ihr Gesicht war erschrocken und zornig.
»Mein Bein«, sagte Vorneen kläglich. »Ich wollte — ausprobieren.«
Sie eilte zu ihm. Er stand hilflos drei Meter vom Bett entfernt, unfähig, vorwärts oder rückwärts zu gehen, und vermochte sich nur mit Mühe aufrecht zu halten. Dann fühlte er ihre Arme um sich. Sie hielt ihn fest und brachte es irgendwie fertig, ihn so lange zu stützen, bis sie zusammen vier oder fünf Schritte zum Bett zurück gewankt und quer darüber gefallen waren.
Er war nackt, und sie trug nur ein hauchdünnes Nachthemd. Sie landeten keuchend vor Anstrengung, Kathryn auf ihm, und mehr durch Zufall als durch eine beabsichtigte Bewegung berührten sich ihre Lippen. Plötzlich, wie wenn irgendeine stromführende Leitung zwischen ihren Leibern angeschlossen worden wäre, fühlte er das Feuer in ihr und wußte, daß sie sein war.
Danach weinte sie und küßte seine kühle Haut. »Es ist ein so seltsames Gefühl, Vorneen, als ob ich einen Fluß überquert hätte und in einem fremden Land wäre, einem Land, wo ich noch nie war. Ich weiß nicht, wo es liegt, und ich weiß nicht mal, wo ich bin.«
»Gefällt es dir dort, wo du jetzt bist, wo immer es sein mag?«
»Ich — ich glaube schon.«
»Warum sich dann Sorgen machen? Du kannst dir die Landkarte ein anderes Mal vornehmen.«
Sie lachte, dann umarmte sie ihn stürmisch.
»Fühlst du dich immer noch schwindlig?« fragte sie.
»Aus anderen Gründen, jetzt.«
»Und dein Bein? Hast du es nicht wieder verletzt, als du darauf standest?«
»Nein.«
»Auch nicht, während wir…«
»Dabei schon gar nicht.«
Sie blieb eng an ihn geschmiegt. Er fühlte sich entspannter als zu irgendeiner Zeit, seit es an Bord gefährlich geworden war.
Von da an schlief Kathryn jede Nacht bei ihm. Bei Tag half sie ihm gehen zu lernen. Allmählich gewöhnten seine Muskeln sich an die Bewegung, und er begann sicherer zu werden. Sein Bein war noch lahm, aber das mußte sich bald bessern. Kathryn hatte ihm einen alten Bademantel ihres Mannes gegeben, offenbar um gewissen Anstandsformen Genüge zu tun. Kathryn selbst schien sich hingegen nicht mehr an Tabus irgendwelcher Art gebunden zu fühlen. Er sah sie von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht mehr aufblühen.
Sie sprach viel davon, wie sehr sie ihn liebe. Vorneen pflegte solche Bekenntnisse gleichmütig hinzunehmen, als einen Teil des Spiels. Aber dann entdeckte er eines Tages, daß er selbst eine Brücke überschritten hatte, ohne davon zu wissen. Was bisher eine Art Sport gewesen war, hatte sich in eine emotionale Bindung verwandelt. Er erkannte dies am deutlichsten, wenn er daran dachte, daß er jederzeit von seinen eigenen Leuten gefunden werden und zu ihnen zurückkehren könnte. Er wollte die Trennung von Kathryn nicht. Er wünschte bei ihr zu bleiben. Der Gedanke an einen Abschied erfüllte ihn mit Schrecken. Das konnte nur bedeuten, daß er sich in die Frau verliebt hatte.
Verliebt? In eine Erdbewohnerin?
Die Vorschriften enthielten kein ausdrückliches Verbot von sexuellen Beziehungen zwischen den Beobachtern und den Beobachteten, weil die Schöpfer der Vorschriften niemals mit der Möglichkeit solcher Beziehungen gerechnet hatten. Vorneen bezog einen kleinen Trost aus dem Wissen, daß sein Tun nicht illegal war, wenigstens nicht dem Buchstaben nach. Die Sache war eben ganz und gar undenkbar. Er fühlte sich angesichts der Ereignisse hilflos. Schon bald, so vermutete er, würde er die Erde verlassen. Was würde dann aus Kathryn? Und aus ihm?
15.
Das Rettungskommando bestand aus sechs Dirnaern, die in zwei Dreiergruppen aufgeteilt waren. Sie überschritten die Grenze nach New Mexico einen Tag nach der Explosion und begannen den Staat nach den drei möglichen Überlebenden abzusuchen. Diese Aufgabe wäre nicht weiter schwierig gewesen, hätten sie Sendesignale als Orientierung gehabt.
Aber sie hatten nur ihre Mutmaßungen und ein extrem verzerrtes Signal. Die elektronischen Rechenanlagen waren bei ihren Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu dem Ergebnis gekommen, daß alle drei Dirnaer ungefähr im Zentrum des Staates gelandet waren: einer in der Umgebung von Albuquerque, einer näher bei Santa Fé, und einer westlich einer gedachten Verbindungslinie zwischen diesen beiden Städten. Aber es waren nur Wahrscheinlichkeitsrechnungen, deren Ungenauigkeitsfaktor viele Meilen betragen konnte. Das war kaum ermutigend.
Die von Furnil geleitete Gruppe war der anderen gegenüber im Vorteil. Sie kam aus dem Norden in das Suchgebiet und wurde von dem schwachen Piepsen des beschädigten Taschensenders geführt, was ihr wenigstens einen ungefähren Anhaltspunkt lieferte. Das Signal war über ein gutes Stück der Bandbreite verschmiert und kaum anzupeilen, aber es sagte den Suchern, daß einer der drei Dirnaer südlich von Santa Fé irgendwo in der Nähe des Rio Grande zu suchen war, und daß er noch lebte — denn der Sender mußte nach jedem Signal von neuem aktiviert werden.
Die Dirnaer wählten ein Motel in den südlichen Außenbezirken von Santa Fé als Stützpunkt. Von dort unternahmen sie Ausflüge in die weitere Umgebung, wo sie ihre Peilgeräte aufstellten und den Ausgangspunkt des Signals durch eine Reihe von Messungen mit jeweils wechselndem Standort zu ermitteln hofften.
Ihre erste Berechnung ergab, daß der vermißte Beobachter in der Nachbarschaft eines Dorfes namens Cochiti Pueblo sein mußte, aber das erwies sich als nicht zutreffend. Wenn der Dirnaer dort gelandet war, hätten die ortsansässigen Indianer ihn längst finden müssen, denn das Terrain war übersichtlich und weithin bestelltes Ackerland. Eine neue Reihe von Peilungen verlegte den Aufenthaltsort des Gesuchten auf die andere Seite des Rio Grande zu den Ruinen des Pecos Pueblo. Eine Erkundungsfahrt mit nachfolgender Durchsuchung der Ruinen und ihrer Umgebung blieb ohne Ergebnis, und weitere Peilungen zeigten, daß alles falsch gewesen war. Das Signal kam vom Westufer des Flusses.
Sie suchten weiter.
Die andere Gruppe, von Albuquerque aus nordwärts vordringend, besaß überhaupt keinen Anhaltspunkt, abgesehen von dem Hinweis des Rechners, daß sie in diesem Gebiet suchen sollten. Ihre Instrumente fingen kein Signal auf. Sie mußten andere Methoden ersinnen, vorsichtige Fragen stellen, Polizeiberichte studieren, militärische Aktivitäten beobachten und geschickt formulierte Anzeigen in die Zeitungen setzen. Alle Bemühungen blieben ergebnislos.
Diese Gruppe wurde von einem Dirnaer namens Sartak geleitet, der einen robusten, äußerst männlich wirkenden Körper zu seiner Verkleidung gewählt hatte. Seine Begleiter waren zwei Dirnaerinnen, die eine etwas älter als er, die andere eine junge in ihrer ersten Stelle als Beobachter. Ihre Namen waren Thuw und Leenar. Leenar wirkte unbefangen und unschuldig, und das machte sie als Fragestellerin nützlich. Sartak schickte sie zum Kontaktkult nach Albuquerque, um zu sehen, ob sich dort etwas in Erfahrung bringen ließe. Obwohl er die religiös verbrämte Hohlköpfigkeit der Kontaktkult-Anhänger verachtete, sah er doch die vage Möglichkeit, daß irgendein verschreckter Bürger, der einen verletzten galaktischen Fremden entdeckt hatte, seinen Fund beim Kontaktkult statt bei den Militärbehörden melden würde. Sartak konnte es sich nicht leisten, eine Chance zu verpassen.
Mehrere Stunden später kam ein Anruf von Leenar. Sie war aufgeregt.
»Ich komme gerade vom Kontaktkult«, sagte sie atemlos. »Die Leute dort wissen überhaupt nichts. Aber ich habe einen Kranazoi entdeckt, einen Spion!«