»Ich will wissen, was los ist.«
»Bitte, Marty…«
»Hast du einen Freund, der sich hier irgendwo versteckt? Vielleicht einen Gefangenen, der ausgebrochen ist? Am Ende gibt es noch eine Belohnung für ihn, heh? Und du bist blöd genug, um ihn statt dessen zu besuchen. Los, erzähl schon, Charley.«
Charley zitterte. Marty kam näher, und er wich weiter zurück, aber das konnte nicht mehr lange so weitergehen. Und wenn er rannte, würde er es nie mit Marty Moquinos langen Beinen aufnehmen. Er mußte bluffen, einen anderen Ausweg gab es nicht.
»Es gibt nichts zu erzählen«, sagte Charley hartnäckig. »Ich weiß gar nicht, was du willst.«
Der andere machte zwei lange Sätze auf Charley zu. Ein sehniger Arm schoß heraus, und kräftige Finger mit schmutzigen Nägeln packten Charleys Oberarm. Marty Moquino schüttelte ihn. Er sah tückisch und böse aus. »Ich beobachte dich schon eine ganze Weile, mein Lieber, seit du neulich nachts über mich und Maria gefallen bist. Wenn es dunkel wird, nimmst du diese Flasche da und ein Paket mit Fressalien oder was, und verdrückst dich aus dem Dorf. Also hast du einen Freund hier draußen, stimmt’s? Den Vogel will ich mir ansehen. Diesmal führst du mich zu ihm, oder du wirst es bereuen!«
»Marty…«
»Los, vorwärts!«
»Laß mich…«
Charley riß sich los und rannte zehn oder fünfzehn Schritte, dann blieb er stehen. Marty Moquino lief ihm nach, aber Charley hatte den Laser aus dem Hemd gezogen und zielte damit auf Martys Brust, als ob es ein Revolver wäre.
»Was, zum Teufel, hast du da?« wollte Marty wissen.
»Das sind Todesstrahlen«, sagte Charley. Seine Stimme bebte so, daß er die Worte kaum herausbrachte. »Ein Druck, und es brennt ein Loch durch dich. Das ist mein Ernst.«
Marty lachte laut los. »Jetzt weiß ich, daß du spinnst! Mensch, du hast wirklich einen Knall.«
Aber er bewegte sich nicht. Charley hielt den Laser auf ihn gerichtet.
»Dreh dich um und geh nach Hause, Marty. Oder ich bring dich um. Ich tue es bestimmt.« Charleys Herz pochte wild. Er glaubte seinen eigenen Worten. Mit dem Laser konnte er es so gründlich tun, daß von Marty nichts übrigbleiben würde. Man würde ihn nie dafür verhaften.
Marty sagte spöttisch: »Steck das alberne Spielzeug ein, bevor ich es dir wegnehme.«
»Es ist kein Spielzeug. Willst du es sehen? Soll ich dir zum Beweis die linke Hand abbrennen?«
Marty setzte sich in Bewegung. Charley sah ihn zwei, drei Schritte näherkommen. Er ging zurück und richtete den Laser auf eine große Yuccapflanze. Ein greller Lichtstrahl schoß heraus, und die Yuccapflanze verdampfte. Marty Moquino sprang zurück und machte das Kreuzzeichen.
»Spielzeug, eh?« schrie Charley wild. »Spielzeug? Ich schneide dir die Beine ab! Ich schneide dich mittendurch!«
»Bist du verrückt…«
»Hau ab! Lauf!« Charley schaltete den Laser wieder ein und zielte zwei Schritte vor Marty Moquino auf die Erde. Der Strahl machte einen fußtiefen Krater und versengte Martys Stiefelspitzen. Marty wartete keine weitere Demonstration ab. Sein Gesicht wurde aschgrau, dann drehte er sich um und nahm seine Beine in die Hand. Charley hatte nie jemanden so schnell rennen sehen. Er raste in das Bachbett und drüben wieder hinauf und weiter. Charley schrie ihm Flüche und Schimpfworte nach, bis Marty in der Ferne verschwand.
Das Nachlassen der Spannung machte ihn schwach. Seine Knie zitterten so heftig, daß er sich in den Sand setzen mußte, bis der Schwächeanfall vorüber war. Er wußte, daß er nahe daran gewesen war, Marty Moquino zu töten. Wenn er ein bißchen ängstlicher oder wütender gewesen wäre, hätte er den Laserstrahl ein kleines Stück weitergeschwenkt und Marty verbrannt. Erst im letzten Augenblick hatte Charley sich beherrscht.
Er stand auf und steckte den Laser wieder weg. Während er heftig an seiner Unterlippe nagte und immer wieder in die Richtung blickte, in der Marty verschwunden war, hob er die Wasserflasche und das Paket mit den Tortillas auf und setzte seinen Weg fort. Er war nicht sicher, was nun geschehen würde, aber Mirtin mußte gewarnt werden. Marty Moquino hatte voll Angst das Weite gesucht, doch er konnte zurückkommen und herumschnüffeln. Für Mirtin war es hier nicht mehr sicher. Er mußte irgendwie in eine andere Höhle. Andernfalls würde Marty Moquino alles über ihn herausbringen und die Polizei rufen.
Charley schnaufte den Steilhang der Bachschlucht hoch und rannte in Mirtins Höhle.
Mirtin war nicht da.
Im ersten Augenblick glaubte Charley, er müsse in eine falsche Höhle geraten sein. Aber auf dieser Seite des Berges gab es nur eine so große Höhle, das wußte er. Und dann sah er im einfallenden Tageslicht die Rinne, die er mit dem Laser in den Höhlenboden geschnitten hatte, als er letztes Mal dagewesen war. Es war die richtige Höhle, aber Mirtin war fort, und mit ihm alle seine Sachen — sein Anzug, seine Werkzeuge, alles. Was war geschehen? Wo steckte er? Er konnte nicht aufgestanden und fortgegangen sein; seine Beine waren noch bewegungsunfähig. Charley rannte zum Höhleneingang und blickte sich um. Von Mirtin keine Spur.
Als er ratlos in die Höhle zurückkehrte, sah er den Zettel auf dem Höhlenboden liegen.
Es war ein Stück gelblichen Papiers, klein und viereckig, und es fühlte sich nicht wie Papier an, eher wie Plastikmaterial. Es war mit wackliger Druckschrift beschrieben, wie wenn der Schreiber ungeübt gewesen wäre. Der Text lautete:
Charley!
Meine Freunde haben mich endlich gefunden. Sie bringen mich fort, um mich gesundzupflegen. Es tut mir leid, daß ich dir nicht Lebewohl sagen konnte, aber ich wußte nicht, daß sie so bald kommen würden. Ich danke dir von ganzem Herzen für die vielen guten Dinge, die du hier für mich getan hast.
Was das betrifft, das du dir von mir geliehen hast: es gehört jetzt dir. Ich bin nicht böse, daß du es genommen hast. Behalte es. Studiere es. Lerne davon, was du lernen kannst. Nur zeige es niemals einer anderen Person. Wirst du mir das versprechen?
Halte die Augen immer offen, versuche die Welt zu verstehen und denke daran, daß ein Mann nicht immer elf Jahre alt ist. Eines Tages werden deine Leute zu den Sternen gehen. Ich stelle mir gern vor, daß du unter ihnen sein wirst, und daß wir uns dort draußen wiedersehen werden.
Charley las den Brief viele Male. Dann faltete er ihn sorgfältig und steckte ihn unter sein Hemd. Er bohrte seine bloßen Zehen in die lockere Erde.
Laut sagte er: »Ich bin froh, daß deine Leute dich gefunden haben. Mirtin. Ich bin froh, daß du wegen dem Laser nicht böse warst.«
Dann warf er sich mit dem Gesicht in den kühlen Sand.
Seit er ein kleiner Junge gewesen war, hatte er nicht mehr soviel geweint.
17.
»Zwei fremde Rassen beobachten uns«, sagte Tom Falkner kopfschüttelnd. »Nun, vielleicht ist es ganz logisch. Ich wundere mich über nichts mehr. Wer ist zuerst zu uns gekommen, ihr oder die Kranazoi?«
»Niemand weiß das genau«, antwortete Glair. »Jede Seite behauptet, ihre Kundschafter hätten die Erde zuerst entdeckt. Das liegt schon so lange zurück, daß niemand die Behauptungen nachprüfen kann. Ich bilde mir gern ein, wir seien die ersten gewesen und die Kranazoi bloß Eindringlinge. Aber vielleicht täte ich unserer Propaganda damit zuviel Ehre an. Wie dem auch sei, die meisten von uns haben eingesehen, daß solche Prioritätsansprüche höchst albern sind; seither sind viele tausend Jahre vergangen.«
»Also haben die Fliegenden Untertassen schon unsere steinzeitlichen Vorfahren beobachtet«, murmelte Falkner. »Das würde manche alte Geschichten erklären, zum Beispiel das Himmelsrad, das Ezechiel gesehen haben wollte. Aber warum haben wir die Beobachter erst in den letzten dreißig oder vierzig Jahren regelmäßig bemerkt?«