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Rollway aus der Nähe war um nichts attraktiver als Rollway aus der Ferne — ein fader, schwerfälliger, dunkler Klumpen von Mann, untersetzt, mittleren Alters und humorlos. Seine Freundschaft mit dem charismatischen Loder ließ sich wohl nur als eine zwischen Besitzer und Trainer erklären, dachte ich.

«Das ist Thomas Rollway«, sagte Nicholas Loder zu mir und holte die versäumte Vorstellung seines Begleiters mit einiger Verspätung nach.»Einer meiner Besitzer. Er ist sehr am Kauf von >Edelstein< interessiert.«

Rollway sah nicht so aus, als ob ihn irgend etwas interessiere.

«Ich würde Ihnen gern einen Drink anbieten«, sagte ich,»aber leider hat der Einbrecher alle Flaschen zerbrochen.«

Nicholas Loder blickte flüchtig auf die Glasscherben hinab, die auf dem Teppich lagen. In den Flaschen waren keine Diamanten gewesen. Reine Verschwendung von Trinkbarem.

«Vielleicht dürfen wir uns aber setzen?«sagte er.

«Gewiß doch.«

Er ließ sich in Grevilles Sessel nieder, und Rollway hockte sich auf die Lehne des anderen, so daß für mich nur der harte Stuhl mit gerader Lehne übrigblieb. Ich setzte mich auf seine vorderste Kante, wollte, daß sie sich beeilten, und legte die zweite Krücke beiseite.

Ich sah zu Loder hinüber — groß, hellhaarig und braunäugig, sehr befähigt und nicht mehr wütend auf mich, wie er das jüngst noch gewesen war. Ich dachte fast schon mit Schuldgefühlen an die Kokaintests, die hinter seinem Rücken durchgeführt wurden, war doch sein Verhalten mir gegenüber jetzt wieder das alte und normaler, als es seit Grevilles Tod je gewesen war. Wenn er sich von Anfang an so verhalten hätte, dann hätte ich keinerlei Veranlassung gesehen, die bewußten Tests durchführen zu lassen.

«Also >Edelstein<«, sagte er.»Was wollen Sie für ihn haben?«

Ich hatte in den Büchern von Saxony Franklin gesehen, was er als Einjähriger gekostet hatte, was aber natürlich nur von geringer Bedeutung für den Wert war, den er jetzt, zwei Jahre später, hatte. Er hatte ein Rennen gewonnen. Er war kein heller Stern. Ich verdoppelte die damalige Kaufsumme und nannte das als Preis.

Nicholas Loder lachte ironisch auf.»Also, mein lieber Derek! Die Hälfte.«

«Die Hälfte ist das, was er Greville mal gekostet hat«, sagte ich.

Seine Augen verengten sich kurz, weiteten sich dann unschuldig.»Wir haben also unsere Hausaufgaben gemacht!«Er lächelte sogar.»Ich habe Rollo ein solides Pferd zu einem soliden Preis versprochen. Wir wissen doch alle, daß >Edelstein< kein Weltmeister ist, aber noch ein paar Rennen in sich hat. Sein Einkaufspreis wäre fair. Mehr als fair.«

Ich dachte, daß er wahrscheinlich recht damit hatte, aber Saxony Franklin brauchte jeden Penny.

«Kommen Sie mir den halben Weg entgegen«, sagte ich,»und er gehört Ihnen.«

Nicholas sah in Erwartung einer Entscheidung mit gehobenen Augenbrauen zu seinem Freund hin.»Rollo?«

Rollos Aufmerksamkeit schien weit mehr von der Krük-ke gefesselt zu sein, von der ich mich früher am Abend getrennt und die ich an die Wand gelehnt hatte, als von der zur Debatte stehenden Frage.

«Das ist >Edelstein< wohl wert«, sagte Nicholas Loder nachdenklich zu ihm, und ich registrierte belustigt, wie sehr er sich mühte, soviel für mich herauszuschlagen wie möglich, denn das vergrößerte ja schließlich auch seine Provision. Der Handel mit dem Feind, dachte ich. Der Bau von Brücken zu beiderseitigem Nutzen.

«Ich will >Edelstein< zu überhaupt keinem Preis haben«, sagte Rollo, und das waren die ersten Worte seit seiner Ankunft. Seine Stimme war rauh und eigentümlich ausdruckslos, ohne jede Modulation. Ohne jedes Gefühl, dachte ich.

Nicholas Loder protestierte.»Aber deshalb wolltest du doch herkommen! Das war doch deine Idee, dieser Besuch.«

Thomas Rollway erhob sich wie geistesabwesend, ergriff die beiseite gestellte Krücke, drehte sie herum und hielt sie nun an dem Ende, das normalerweise unten war. Dann beugte er, als sei ihm dieser Gedanke erst just in diesem Augenblick gekommen, die Knie und ließ die Krücke mit einer mähenden Bewegung etwa zehn Zentimeter über den Teppich sausen.

Das kam so unerwartet, daß ich der Krücke nicht schnell genug ausweichen konnte. Das Griffstück krachte gegen meinen Knöchel, und Rollway folgte ihm wie ein Stier, trat, schlug, brachte mich aus dem Gleichgewicht, warf mich nieder.

Ich war eher verblüfft als erschrocken — und dann wütend. Das alles schien so ohne Sinn und Verstand, so grundlos, unprovoziert und jenseits aller Verhältnismäßigkeit. Über Rollways Schulter hinweg sah ich zu Nicholas Loder, der seinerseits völlig konsterniert mich anstarrte, Mund und Augen weit aufgerissen.

Als ich mich hochrappeln wollte, griff Rollway in sein Jackett und zog eine Handfeuerwaffe hervor, fast zwanzig Zentimeter lang, den verdickten Umriß eines Schalldämpfers an der entscheidenden Seite.

«Halten Sie Ruhe«, sagte er und richtete den Lauf auf meine Brust.

Eine Pistole… Simms… ich fing dunkel zu begreifen und ziemlich tief zu verzweifeln an.

Nicholas Loder schob sich aus seinem Sessel hoch.»Was machst du denn da?«Seine Stimme war schrill vor Unruhe, vor ansteigender Panik.

«Setz dich wieder hin, Nick«, sagte sein Freund.»Steh nicht auf. «Und die heisere Schwere seiner gefühllosen Stimme war so, daß Nicholas Loder ihr nachgab, überwältigt dreinblickte und einfach nicht glauben konnte, was sich da abspielte.

«Aber du wolltest doch herkommen, um sein Pferd zu kaufen«, sagte er schwach.

«Ich bin hergekommen, um ihn zu töten.«

Rollway sagte das leidenschaftslos, ganz so, als sei es nichts. Aber er hatte es schon einmal versucht.

Loders Bestürzung wurde so groß wie die meine.

Rollway machte eine Bewegung mit der Pistole und zeigte auf mein Fußgelenk. Ich zog sofort das Bein an, versuchte aufzustehen, und er richtete das spuckende Ende seiner Waffe schnell wieder auf mein Herz.

«Bewegen Sie sich nicht«, wiederholte er. Seine Augen blickten kalt auf mich herab, wie ich da halb auf dem Boden saß und halb lag, auf den Ellbogen gestützt und keine Waffe in Reichweite, nicht einmal die Krücke, die ich noch benutzt hatte. Dann trat er — wie schon bei seiner ersten Attacke ohne jede Vorwarnung — kräftig auf meinen Knöchel und drehte zur Verstärkung der Wirkung seinen Absatz darauf, als trete er eine Zigarette aus. Dann ließ er seinen Fuß dort stehen, wo er stand, und belastete ihn mit seinem nicht unerheblichen Gewicht.

Ich überhäufte ihn mit Flüchen, konnte mich nicht mehr rühren und dachte idiotischerweise, als ich das Innere des Gelenkes nachgeben spürte, daß es jetzt wohl sehr viel länger dauern würde, bis ich wieder fit wäre — was meine Gedanken kurzzeitig von der Kugel ablenkte, die ich in jedem Falle weit weniger spüren würde.

«Aber warum?« fragte Nicholas Loder wimmernd.»Warum tust du das?«

Gute Frage.

Rollway beantwortete sie auch.

«Die einzig erfolgreichen Morde«, sagte er,»sind die, für die es anscheinend kein Motiv gibt.«

Es klang wie etwas, das er bei einem Lehrgang gelernt hatte. Etwas Surrealistisches. Monströses.

Nicholas Loder, der zu meiner Rechten starr in Grevilles Sessel saß, sagte mit dem Versuch eines unbehaglichen Lachens:»Du machst doch bloß Spaß, Rollo, oder? Das soll doch so was wie ein Jux sein, hm?«

Rollo aber scherzte nicht. Rollo stand entschlossen auf meinem Knöchel, stand zwischen mir und der Tür und sagte, an mich gewandt:»Sie haben beim Rennen in York was aufgehoben, was mir gehört. Als ich merkte, daß es mir fehlte, ging ich zurück, um danach zu suchen. Einer von den Offiziellen sagte mir dann, daß Sie’s eingesteckt hätten. Ich will’s wiederhaben.«

Ich sagte nichts.

Fluch dem Offiziellen, dachte ich. So hilfsbereit. So todbringend. Ich hatte nicht mal bemerkt, daß mich einer beobachtet hatte.