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»Zeit und Mittel verbieten eine Reise zu ihm«, sagte sie. »Verzeih, Magister Ado. Ich habe gefühlsmäßig reagiert, ohne die Dinge zu durchdenken.«

Schwester Gisa füllte die Becher auf. »Du sagtest vorhin, du glaubst nicht, dass es nur Straßenräuber waren, die den Magister überfallen wollten.«

»Wie kommst du darauf?«, fragte nun auch der Magister.

»Zuallererst durch dein Verhalten«, sagte Fidelma. »Du hast gezögert, die Angreifer zu beschreiben. Dann die Art und Weise, wie besorgt dich Bruder Faro empfing, auch die Worte, die ihr wechseltet. Und als wir ins Haus traten, wartete er eine Weile und vergewisserte sich, ob uns auch niemand beobachtet hätte. All das deutet darauf hin, dass es sich nicht um einen zufälligen Raubüberfall handelte. Dabei habe ich noch kein Wort zu Aussehen und Verhalten der Angreifer gesagt.«

Magister Ado gab sich amüsiert. »Dir scheint wirklich nichts zu entgehen, Fidelma von Cashel.«

»Und doch fehlt es an einer Erklärung für das Geschehene.«

Es herrschte einen Moment Stille, bevor Magister Ado ihrem Drängen nachgab.

»Du sagst, du hättest dich nur eingemischt, weil du sahst, dass ich, ein Mönch, Gefahr lief, überfallen zu werden. Du hast mich wirklich erst auf der Straße und nicht schon zuvor gesehen?«

»Ich bin hier fremd. Woher sollte ich dich kennen?«

»Wie viel weißt du über dieses Land, Schwester? Über das Land der Langobarden?«

»Sehr wenig«, gab sie zu, begriff aber nicht, worauf er hinauswollte.

»Ist dir bekannt, dass es ein großer Lehrer aus deinem Land namens Columbanus war, der unsere Abtei Bobium gegründet hat?«

»Colm Bán?« Sie übertrug den Namen automatisch in die irische Form. »Ich habe von ihm und seinen Werken gehört. Aber ich dachte immer, sein missionarisches Wirken lag hauptsächlich bei den Franken im Norden. Und meines Wissens ist er bereits vor vielen Jahren gestorben.«

»Er starb tatsächlich vor vielen Jahren, denn schon vor über fünfzig Jahren kam er über die großen Berge und begründete unsere Abtei. Ich trat als junger Mann dort ein, um mich in der reich bestückten Bibliothek, die er uns hinterließ, meinen Studien zu widmen.«

»Magister Ado ist bei uns ein hochgerühmter Gelehrter«, fügte Bruder Faro stolz hinzu. »Er hat die große Vita Cummiani geschrieben.«

»Lass das ›groß‹ weg, mein Sohn«, tadelte ihn der Alte. »Ich war jung damals. Eine großartige Leistung war das nicht. Ist dir Cummianus ein Begriff, Schwester?«

»Ich weiß nur, dass Cuimmíne bei uns ein gängiger Name ist.«

»Der Mann, den ich meine, war ein Bischof aus deinem Land und kam als älterer Mann nach Bobium, wo er viele Jahre bei uns lebte. Er war ein wahrhaft frommer Mensch und hätte einen besseren Autor als mich verdient, sein Leben und Wirken zu beschreiben.«

»Mein Magister ist allzu bescheiden«, versicherte der junge Mönch. »Er hat mehrere Schriften verfasst und ist im ganzen Land der Langobarden als großer Gelehrter geachtet.«

»Aber das erklärt noch immer nicht, weshalb man dich zusammenschlagen wollte«, stellte Fidelma fest.

»Das ist richtig«, pflichtete ihr der Alte bei. »Wie umfassend ist deine Bildung, Fidelma aus Hibernia?«

»Das kommt darauf an, wie man es sieht.«

»Wie soll ich das verstehen?«, fragte er überrascht.

»Es kommt darauf an, um welches Wissensgebiet es sich handelt. Heißt es nicht, ein jeder weiß nur von den Dingen nichts, die er noch zu lernen hat?«

Magister Ado lachte. »Ich merke, du nimmst es mit den Formulierungen sehr genau.«

»Das hat man mich als Anwältin gelehrt.«

»Also gut. Es gibt, wie soll ich sagen, Unstimmigkeiten unter den Menschen hier. Interne Streitigkeiten, Gerede von Bürgerkrieg und Intrigen. Und das nicht nur im öffentlichen Umgang miteinander, sondern auch unter den Glaubensbrüdern und -schwestern.«

»Und wie erklärt sich der Überfall auf dich?«

»Bobium hat immer über all diesen Streitigkeiten gestanden, erkennt die Autorität des Heiligen Vaters in Rom an und steht zu dem Glaubensbekenntnis, wie es in Nicäa formuliert wurde. Doch manch einer ist der Auffassung, eine solche Haltung kann nur mit dem Tod geahndet werden.«

Fidelma war entsetzt. »Das kann ich nicht nachvollziehen.«

»Wir, die wir uns zu dem Glauben bekennen, wie er auf dem Ersten Konzil zu Nicäa verkündet wurde, haben uns zusammengeschlossen, um uns in diesem Land besser zu schützen.«

»Zu schützen? Gegen wen?«

Magister Ado zögerte mit einer Antwort. »Die Mehrheit der Menschen hier hält es entweder mit den alten Göttern ihrer Vorfahren oder glaubt an die Lehre des Arius.« Er senkte die Stimme. »Das Vorgehen ihrer Anführer ist von mutwilliger Zerstörung und Aufruhr gekennzeichnet, und ihre kriegerischen Banden schänden das Land.«

Fidelma versuchte, sich an das wenige, was sie über Arius wusste, zu erinnern. Er war auf dem Ersten Konzil zu Nicäa zum Ketzer erklärt worden, aber die Gründe dafür hätte sie nicht nennen können.

»Ich wäre dir dankbar, wenn du mir etwas auf die Sprünge helfen könntest, Magister Ado«, sagte sie schließlich.

»Arius stammte aus Alexandria, wo er vor dreihundert Jahren das Christentum verbreitete. Während wir an dem Gedanken der Heiligen Dreifaltigkeit festhalten, vertrat er die Auffassung, dass es nur einen wahren Gott gäbe. Während Gottvater außerhalb der Welt existiere, gelte das nicht für den Sohn Gottes, geboren als Jesus, erschaffen durch den Willen Gottes und folglich ihm nicht ebenbürtig. Er behauptete sogar, Christus habe es nicht immer gegeben.«

»Bei uns gilt doch aber die Lehre von der Dreieinigkeit, die Wesenseinheit von Gottvater, Sohn und Heiligem Geist.«

»So ist es«, stimmte ihr Magister Ado ernst zu. »Arius und seine Anhänger aber erklären, es gäbe nur einen Gott, den Schöpfer der Welt, und das schon jenseits aller Zeitvorstellung. Gottvater habe den Sohn erschaffen, der dem Vater untergeordnet ist, der Sohn wiederum habe den Heiligen Geist erschaffen, der in ähnlicher Weise dem Sohn untergeordnet ist.«

Fidelma konnte sich einer gewissen Logik des Gedankengangs, der ihr neu war, nicht entziehen und beschloss im Stillen, sich zukünftig mit diesen Lehren näher zu befassen.

»Ich verstehe einfach nicht, warum derartige Unterschiede in Glaubensauffassungen zu Blutvergießen führen sollen«, sagte sie.

»Es ist bereits geschehen«, stellte Bruder Faro fest und schüttelte traurig den Kopf. »Vor kurzem hat ein Edelmann Bobium aufgesucht, ein Anhänger des Arius. Als einer unserer Brüder sich weigerte, seine Auffassungen zu bejahen, war er so erbost, dass er sein Schwert zog und ihn niederstach.«

Schwester Gisa fühlte sich zu einer Ergänzung bemüßigt. »Du musst schon entschuldigen, Schwester Fidelma, als Bruder Faro sagte, Bruder Ruadán läge mit Schüttelfrost danieder, wollte er dich nicht weiter beunruhigen. In Wahrheit ist er ans Bett gefesselt, weil ihn Arianer zusammengeschlagen haben. Es geschah einen Tag, bevor wir von dort nach Genua aufbrachen.«

Fidelma erschrak, und Magister Ado schalt Bruder Faro: »Warum hast du mir das verschwiegen?«

»Es ist so, wie Schwester Gisa gesagt hat, es geschah erst einen Tag vor unserer Abreise. Ich hätte es dir früher erzählt, aber die Sorge um deine wohlbehaltene Ankunft hat mich alles andere vergessen lassen.«

»Und was im Einzelnen ist passiert?«

»Bruder Ruadán wurde früh morgens vor den Toren der Abtei gefunden. An sein blutbeflecktes Gewand hatte man einen Streifen Papyrus geheftet, auf dem das Wort ›Ketzer‹ gekritzelt war.«

Fidelma war fassungslos. »Er ist verletzt und liegt zu Bett? Wie schlimm steht es um ihn?«

Schwester Gisa presste die Lippen zusammen. »Es sieht nicht gut aus, Schwester. Unser Arzt hat uns nicht viel Hoffnung gemacht. Du weißt ja, er ist hochbetagt, und viel Widerstandskraft hat er nicht.«