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Fidelma folgte seinem Blick über das Tal und war bemüht, etwas Genaueres auszumachen. »Was kannst du erkennen?«

»Etwa fünfundzwanzig Reiter sind hinter uns her. Keine Bange, es droht keine unmittelbare Gefahr.«

Auch Bruder Eolann äugte angestrengt in die Ferne. »Wie weit entfernt sind sie?«

»Oh, bis die es hierher nach oben geschafft haben, vergeht etliche Zeit«, beruhigte ihn Suidur.

Jetzt sah auch Fidelma ganz hinten im Tal eine Reihe kleiner Punkte, einer hinter dem anderen, wie Ameisen in steter Vorwärtsbewegung.

»Du hast gute Augen, Suidur«, meinte sie. »Als Reiter hätte ich die nicht erkannt. Ist es Grasulf?«

»Niemand anders ist so schnell zu Pferde wie er. Du wirst sie nicht im Einzelnen erkennen können, aber ich fürchte, ich irre mich nicht. Wir sollten genügend Abstand zwischen ihnen und uns wahren.«

Gemeinsam mit seinen Männern überprüfte er, ob sie aufbruchbereit waren. Fidelma und Bruder Eolann warfen sich abermals ihre Mantelsäcke über und schwangen sich auf die Pferde. Ihr Platz war wie zuvor jeweils hinter den Reitern. Im gemächlichen Schritt zogen sie los und folgten einem Pfad, der steil und im Zickzack durch die Berge führte.

»Keine Bange«, rief ihnen Suidur zu. »Wenn wir erst mal ein gutes Stück in Radoalds Gebiet vorgedrungen sind, dürfte es auch ein Grasulf aufgeben und kehrtmachen.«

Obwohl sie stetig enorme Steigungen bewältigten, überquerten sie die Berge nicht auf höchster Höhe, sondern bahnten sich einen Weg unterhalb der Gipfel. Oft genug war der Weg derart schmal, dass sie nur hintereinander reiten konnten, und es kam auch vor, dass es so steil bergan ging, dass sie absitzen und die Pferde führen mussten. Es war selbst für Fidelma ein ungeheures Erlebnis. Die Situation ließ kaum ein Gespräch zu. Ohne Pause ritten sie den ganzen heißen Nachmittag durch, und Fidelma konnte nicht umhin, ab und an einen besorgten Blick nach hinten zu werfen. Aber sie waren in so vielen Windungen durch die Bergwelt geritten, dass es gar keine Möglichkeit gab, irgendwelche Verfolger zu sichten. Nur ein einziges Mal hielten sie an, um die Pferde zu tränken und sich selbst etwas zu erfrischen. Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie ein kleines bewaldetes Tal, das geradezu unnatürlich zwischen die Berge gequetscht war. Bei genauerem Hinsehen erwies es sich jedoch als ein natürliches und geschütztes Fleckchen Erde, das mit überhängenden Sträuchern und Büschen Zuflucht bot.

»Hier machen wir eine letzte Rast«, erklärte Suidur. »Morgen beginnen wir den Abstieg ins Trebbia-Tal.«

»Ist es vernünftig, hier zu verweilen?«, fragte Bruder Eolann nervös.

»Trotz aller heidnischen Glaubensvorstellungen hat Grasulf keine Flügel wie seine Raben«, erwiderte Suidur mit einem schelmischen Lächeln. »Ich bin sicher, er hat die Verfolgung längst aufgegeben.«

Nicht lange, und ein Lagerfeuer brannte, und Essen wurde verteilt. In Decken gehüllt, saßen sie beieinander. So bequem wie die Hirtenhütte war die Zufluchtsstätte hier nicht, auch gab es keine sprudelnde Quelle zum Baden. Doch aus einer Stelle sickerte Wasser, es reichte zum Trinken und um sich Gesicht und Hände zu waschen.

Fidelma hatte kein Verlangen nach Unterhaltung und war im Nu eingeschlafen.

Als sie ein Flüstern vernahm, hielt sie es zunächst für einen Traum. Ohne die Augen zu öffnen oder sich zu bewegen, zwang sie sich, das Geschehen um sie herum zu sortieren. Zu ihrem Erstaunen wisperten die Stimmen auf Latein, eine erkannte sie als die von Suidur, die andere vermochte sie nicht einzuordnen.

»… steter Tropfen höhlt den Stein«, hörte sie Suidur sagen. »Grimoald handelt zu ungestüm und trifft überstürzte Entscheidungen. Er hätte warten sollen.«

»Jetzt ist der Magister hellhörig geworden, und wir werden es nie finden.«

»Noch ist nicht aller Tage Abend, mein Seigneur. Grasulf wird nichts unternehmen, ehe er nicht das Gold in Händen hat, so viel ist sicher. Meine Männer und ich waren auf seiner Festung und machten zum Schein ein Gegenangebot. Noch hat ihm niemand etwas gezahlt.«

»Und was ist mit der Fremden und dem scriptor? Inwieweit haben die mit der Sache zu tun?«

»Die sind völlig ahnungslos. Man musste sie einfach retten. Schade, wenn ich länger geblieben wäre, hätte ich mehr herausbekommen, aber du kennst ja Grasulf. Von Moral hält er wenig, er hätte das Mädchen missbraucht oder sie an Sklavenhändler verkauft. Man musste sie vor Vars bewahren.«

»Und du bist sicher, dass er Freifrau Gunora nicht auf seiner Festung gefangen hält?«

»Wenn es so abgelaufen ist, wie der Junge berichtet hat, dann ist Freifrau Gunora tot.«

Fidelma überlief es kalt bei dem, was sie hörte.

»Wenn Perctarit mit seinen Hauptkräften vor Mailand steht, wird sein Gewährsmann rasch handeln müssen«, sagte die fremde Stimme. »Hat man Grasulf erst mal für seine Dienste bezahlt, wird er gegen Radoald losziehen, und sobald Radoald geschlagen ist, sind die Wege nach Genua frei. Während Perctarit die gesamte Ebene am Padus besetzt hält, können seine fränkischen Verbündeten per Schiff in Genua landen und mit Nachschub und Truppenverstärkung zu ihm gelangen.«

»Stimmt. Wenn irgendetwas geschehen soll, muss es in den nächsten ein, zwei Tagen geschehen. Dem Geheimnis, wo das Gold liegt oder wer sein Überbringer ist, sind wir kein Stück näher gekommen. Vielleicht lagen wir mit dem Magister völlig schief.«

»Finde ich dich in den Bergen?«

»Ich suche erst meinen Sohn auf, um ihn über die neueste Lage ins Bild zu setzen.«

Fidelma hörte, wie sich Schritte entfernten, und schlug die Augen auf, aber von ihrem Lager aus konnte sie nichts sehen. Nebenan raschelte etwas. Sie schloss die Lider. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander, doch der Schlaf überwältigte sie.

Der Tagesanbruch konnte schöner nicht sein. Die leuchtenden Farben der aufgehenden Sonne standen am Firmament und hüllten die Bergspitzen in einen märchenhaften Glanz. Die Luft war klar und rein. Als Fidelma sich frisch machen wollte, zogen sich die Männer diskret zurück, und als sie zurückkam, war das Essen bereitet.

»Wir haben eine lange Strecke vor uns, bis wir die Trebbia erreichen, obwohl sie direkt unter uns fließt«, begrüßte sie Suidur. »Es ist ein steiler Abstieg diesseits der Berge, aber immer noch besser als ein steiler Aufstieg.«

»Und keinerlei Anzeichen, dass Grasulf uns folgt?«

»Nicht die geringsten. Ich habe doch gesagt, er hat längst aufgegeben.«

»Hoffentlich hast du recht.«

»Bist du immer noch besorgt?«

»Der Seigneur von Vars hat mir gegenüber geäußert, übertriebene Vorsicht könne nicht schaden. Und es wäre doch wirklich töricht, wollte man nicht Vorsicht walten lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass Grasulf davon ausgeht, wir würden in jedem Fall nach Bobium streben. Warum sollte er da nicht die Berge nördlich von hier überqueren und irgendwo zwischen Radoalds Festung und Bobium auf der Lauer liegen?«

»Selbst im strategischen Denken bist du geübt, edle Dame.«

»Die Tochter eines Königs in Hibernia wird in vielen Dingen unterwiesen, sie könnte ihr Volk sogar in einem Krieg anführen.«

Suidur nickte, als überraschte ihn das wenig. »Selbst wenn er von dort, wo wir ihn und seine Männer gesichtet haben, umgekehrt ist und eine andere Route eingeschlagen hat, müsste er eine beträchtliche Strecke durch die Berge zurücklegen, um schließlich unseren Weg zu kreuzen. Ich schwöre, es gibt keinen Grund zur Sorge. Du bist bei uns sicher.«

Schon bald begannen sie den Abstieg, und er erwies sich in der Tat steiler als der hinter ihnen liegende Aufstieg. Tief unter ihnen konnten sie das blaue Band des Flusses sehen, den sie für die Trebbia hielt und der sich durch das von Felsen umgebene Tal schlängelte. Ab und an sahen sie Gehöfte und auch angepflanzte Baumgruppen. Wie sie erfuhr, waren das Olivenbäume; wieder andere Kulturen erkannte sie als Weinhänge. Es verlangte sie danach, all die neuen Eindrücke – Ausblicke, Geräusche und Gerüche – in sich aufzunehmen, aber ihre Gedanken kreisten um das mysteriöse Geschehen, das das Tal, die Abtei und die Menschen bedrängte.