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»Absichtlich gelegt?« Der Verwalter gab sich erschrocken.

»Ich muss dich als Verwalter davon in Kenntnis setzen, dass wir Hawisas Leichnam hergebracht und am Gottesacker abgelegt haben. Wir meinen, es wäre angemessen, die alte Frau neben ihrem Sohn zu bestatten.«

»Dann wäre es doch das Beste, den Leichnam über Nacht in der Kapelle aufzubahren.«

»Wir haben beschlossen, die Tote vor der Nekropole zu lassen«, erklärte Schwester Fidelma. »Ich fürchte, der Verwesungsgeruch würde den Brüdern sehr unangenehm sein, wenn wir sie in die Abtei schafften.«

Bruder Wulfila wusste nicht recht, was er davon halten sollte. »Aber der Leichnam muss doch ausgesegnet werden vor dem Begräbnis. Er gehört zum Trauergottesdienst in die Kapelle …«

»Ich meine, die Aussegnung kann auch am offenen Grab geschehen«, bemerkte Wulfoald trocken. »Tod unter solchen Umständen riecht eben nicht lieblich.«

Der Verwalter stutzte zunächst, begriff dann aber. »Natürlich, ja natürlich«, murmelte er und schaute dabei ängstlich um sich, als suche er jemand.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte Fidelma. »Du bist doch mit den Gedanken ganz woanders.«

»Tut mir leid. Ich muss mich noch um eine Sache kümmern«, gab er ihr zur Antwort und eilte davon.

Der Krieger warf Fidelma einen Blick zu, zuckte die Achseln und sprach Bruder Hnikar an, der gerade vorbeikam.

»Ist Abt Servillius in seiner Amtsstube?«

Der Apotheker blieb stehen. »Er ist zurück, darf aber von niemandem gestört werden.«

»Darf nicht gestört werden?«, fragte Wulfoald verwundert.

»Abt Servillius ist vor kurzem zurückgekehrt. Er schien sehr erschöpft und hat sich sofort in seine Räume begeben. Ich habe ihn noch nie so aufgewühlt gesehen. Er hat dem Verwalter ausdrücklich aufgetragen, dass er bis zum Läuten zur Abendmahlzeit nicht gestört zu werden wünscht.«

»Und Schwester Gisa … Wo ist sie?«, fragte Fidelma, die sich erinnerte, dass beide am Abend zuvor zusammen fortgeritten waren.

»Abt Servillius sagt, Schwester Gisa ist bei Aistulf geblieben. Merkwürdig ist das schon.«

Wulfoald lächelte aufmunternd. »Ich bin sicher, der Abt wird es uns erklären, wenn er sich ausgeruht hat und wieder ansprechbar ist. Sicher ist er übermüdet, nachdem er die ganze Nacht unterwegs war. Wenn Schwester Gisa bei Aistulf ist, dann ist ihr bestimmt nichts zugestoßen. Inzwischen sollten wir wenigstens Bruder Eolann aufsuchen.«

Fidelma war sofort einverstanden. »Hat er sich von seinem … äh … Sturz erholt?«, fragte sie den Heilkundigen.

»Ja, doch. Er fühlt sich ganz wohl, sagt auch, es tut ihm nichts mehr weh, natürlich ist noch die Abschürfung da und die Beule am Kopf. Er wollte vorhin gerade ins scriptorium

Fidelma ging auf dem Weg zur Bibliothek voran, erst durch den kleineren Innenhof, dann die Turmtreppe hoch. Der Raum, in dem man Bruder Eolann meist antraf, war leer und wirkte düster. Jedes Mal, wenn sie dort gewesen war, hatte eine Lampe oder ein Talglicht gebrannt. Das fehlte jetzt. Ratlos blickte sie Wulfoald an und öffnete die Tür zur Schreibwerkstatt. Hier verbreiteten Lampen strahlende Helle, etwa ein Dutzend Brüder saßen an ihren Pulten, stützten das Handgelenk mit ihrem Malstock und kopierten mit dem Gänsekiel Texte auf Pergament aus Ziegen-oder Schafshäuten. Das Kratzen der Federkiele war unüberhörbar, während die Schreiber sich mit größter Sorgfalt ihren Aufgaben widmeten.

Einer schaute zu den beiden in der Tür Stehenden auf. Er erhob sich von seinem Schemel und kam ihnen entgegen. »Ich suche den scriptor«, sagte Fidelma zu ihm.

»Wir haben ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, Schwester«, erklärte ihr der Mönch. »Wir dachten schon, er hat die Abtei erneut verlassen.«

»Was heißt erneut verlassen?«

»Er war doch fast vier Nächte mit dir fort, Schwester«, erinnerte er sie arglos.

Die Bemerkung traf Fidelma. »Er war aber heute früh hier und hatte einen … einen Unfall. War gestürzt. Und keiner von euch hat ihn heute gesehen?«

»Doch … irgendwann heute hat er vorbeigeschaut«, meinte einer der Kopisten.

»Vielleicht ist er beim Ehrwürdigen Ionas«, schlug noch ein anderer vor. »Er berät sich häufig mit ihm. Der Ehrwürdige Ionas hat einen eigenen Raum gleich nebenan.« Er zeigte auf eine Seitentür.

Fidelma bedankte sich und ging durch die ihr eben gewiesene Tür. Sie und Wulfoald gelangten in einen schmalen Durchgang. Bevor sie noch die Kammer des Ehrwürdigen Ionas gefunden hatten, kam ihnen der Gelehrte auf eben dem Gang entgegen, als ob er gerade zur Werkstatt der Kopisten wollte. Sobald er erfuhr, wen sie suchten, machte er ein besorgtes Gesicht.

»Ich bin selbst auf der Suche nach Bruder Eolann. Kurz nachdem Abt Servillius zurückgekehrt war, bin ich ihm begegnet. Er sagte mir, er gehe zum Abt zur Beichte, seither aber ist er nicht mehr im scriptorium gewesen. Er soll heute früh bös gestürzt sein, vielleicht hat er den Schreck noch nicht überwunden.«

Der Ehrwürdige Ionas beschrieb ihnen, wie sie zu Bruder Eolanns Zelle gelangen könnten, doch auch dort hatten sie kein Glück. Der Bibliothekar schien ein sehr asketisches Leben zu führen, denn in dem kleinen Raum befand sich nichts, was man als persönliche Gegenstände hätte bezeichnen können; da waren nur ein Paar Sandalen, einige Kleidungsstücke und wenige Sachen zur Körperpflege. Nicht ein Buch war vorhanden, auch kein Satz Schreibutensilien, wie man bei einem scriptor hätte erwarten können.

Resigniert blickte Fidelma ihren Begleiter an. »Solange wir nicht herausfinden, wo sich Bruder Eolann aufhält, sind uns die Hände gebunden.«

»Dem ist wohl so, aber irgendwie ist das alles beunruhigend. Leider kann ich mich hier nicht länger aufhalten, ich bin für die Belange im Tal und die Sicherheit dort zuständig. Ich muss zu Radoalds Festung zurück und die Lage mit ihm besprechen.«

»Siehst du ernsthaft die Gefahr eines Kriegszugs?«

»Davon müssen wir ausgehen. Und sicher ist auch, dass Grasulf von Vars mit dabei sein wird. Er wird auf der Seite mitmachen, die ihn am besten bezahlt. Deswegen war ja Suidur bei ihm, er wollte herausbekommen, was Perctarit zu zahlen gewillt ist.«

Sie gingen zum Innenhof zurück, und Wulfoald ließ sich sein Pferd bringen.

Fidelma wusste nicht recht, was sie jetzt tun sollte, entschied sich dann aber, ein Bad nach ihrem langen Ausritt zu nehmen. Danach zog sie sich in ihre Kammer zurück, legte sich hin und schlief ein. Es wurde schon dunkel, als sie wieder die Augen öffnete. Das ungute Gefühl war nicht gewichen. Ihr Gespräch mit dem Abt duldete keinen Aufschub, sie musste ihn nach seinem Besuch bei Hawisa befragen. Sie ging hinunter in die Eingangshalle und traf dort Bruder Wulfila, der ihr mitteilte, der Abt sei weiterhin nicht zu sprechen. Er hätte angewiesen, vor dem Läuten zur Abendmahlzeit dürfe ihn niemand stören.

Als sie sich nach Bruder Eolann erkundigte, erklärte ihr der Verwalter, er habe ihn seit Mittag nicht mehr gesehen. Auch von Schwester Gisa habe man nichts Neues erfahren, doch Bruder Faro sei zurückgekehrt. Allerdings habe er darauf bestanden, die Abtei sofort zu verlassen, als er hörte, Schwester Gisa sei nicht da. Er wollte nach dem Verbleib der Schwester forschen. Der Verwalter war empört, dass sich keiner mehr an die Regeln der Abtei hielt.

Es ärgerte Fidelma, so nutzlos die Zeit verstreichen lassen zu müssen. Wenigstens den Ehrwürdigen Ionas könnte sie noch einmal aufsuchen. Vielleicht konnte er mit seinem umfangreichen Wissen Dinge erhellen, die sie beschäftigten. Sie fand ihn auch wirklich in seiner Studierstube. Kaum hatte sie angeklopft, bat sie der Gelehrte einzutreten. Er saß an seinem Pult, hatte eine Handschrift vor sich aufgeschlagen und hielt einen Federkiel in der Hand.