Drioli schwieg.
«Bitte», sagte der andere, «verlassen Sie gefälligst meine Galerie.»
«Darf ich mir nicht die Bilder anschauen?»
«Ich habe Sie gebeten zu gehen.»
Drioli rührte sich nicht von der Stelle. Er fühlte plötzlich eine maßlose Wut in sich aufsteigen.
«Machen Sie keine Schwierigkeiten», sagte der Mann. «Kommen Sie, hier geht’s raus.» Er legte seine fette weiße Hand auf Driolis Arm und wollte ihn zur Tür drängen.
Das gab den Ausschlag. «Nehmen Sie Ihre verdammte Hand weg!», schrie Drioli. Seine Stimme schallte durch die lange Galerie, und alle Köpfe fuhren herum. Erstaunte Gesichter starrten den Menschen an, der so laut aufbegehrte. Ein Diener in Livree eilte dem Geschäftsinhaber zu Hilfe, und die beiden Männer versuchten, Drioli hinauszuwerfen. Die Leute beobachteten den Kampf ohne Erregung. Ihre Mienen verrieten nur ein schwaches Interesse; offenbar dachten sie alle: Die Sache geht in Ordnung. Für uns besteht keine Gefahr. Wir haben nichts zu befürchten.
«Auch ich», rief Drioli, «auch ich besitze ein Bild von diesem Maler! Er war mein Freund, und er hat mir ein Bild geschenkt.»
«Er ist verrückt.»
«Ein Irrer. Er hat einen Tobsuchtsanfall.»
«Man sollte die Polizei holen.»
Mit einer schnellen Drehung seines Körpers befreite sich Drioli von den beiden Männern, und bevor jemand ihn aufhalten konnte, rannte er durch die Galerie und brüllte: «Ich werde es euch zeigen! Ich werde es euch zeigen! Ich werde es euch zeigen!» Er warf den Mantel ab, dann die Jacke, das Hemd und wandte den Leuten seinen nackten Rücken zu.
«Da!», rief er keuchend. «Seht ihr? Da ist es!»
Plötzlich wurde es totenstill in dem Raum. Alle standen wie vom Donner gerührt, ratlos, verlegen, erschrocken. Alle starrten auf die Tätowierung. Sie war unversehrt, farbenprächtig wie immer, aber der Rücken des alten Mannes war magerer geworden, die Schulterblätter traten schärfer hervor, und das gab dem Bild ein seltsam verrunzeltes, gequetschtes Aussehen.
Jemand sagte: «Mein Gott, er hat ja recht!»
Die allgemeine Erregung machte sich in einem Stimmengewirr Luft, als die Leute auf den alten Mann zueilten, um das Bild aus nächster Nähe zu betrachten.
«Ja, unverkennbar.»
«Ein früher Soutine, nicht wahr?»
«Es ist phantastisch, ganz phantastisch!»
«Und sehen Sie, es ist signiert!»
«Nehmen Sie die Schultern etwas nach vorn, mein Freund, damit das Bild sich spannt.»
«Wann ist das entstanden, Alter?»
«Neunzehnhundertdreizehn», antwortete Drioli, ohne sich umzudrehen. «Im Herbst neunzehnhundertdreizehn.»
«Wer hat Soutine das Tätowieren beigebracht?»
«Ich.»
«Und das Mädchen?»
«Sie war meine Frau.»
Der Besitzer der Galerie bahnte sich einen Weg durch die Menge. Er war jetzt sehr ruhig, sehr ernst, nur seine Lippen deuteten ein Lächeln an. «Monsieur, ich kaufe das Bild», sagte er, und Drioli sah, wie bei der Bewegung des Kiefers das schlaffe Fett der Wangen erzitterte. «Haben Sie gehört, Monsieur? Ich kaufe das Bild.»
«Wie können Sie es kaufen?», fragte Drioli leise.
«Ich gebe Ihnen zweihunderttausend Francs dafür.» Die Augen des Kunsthändlers waren klein und dunkel, die Flügel seiner breiten Nase bebten.
«Tun Sie es nicht!», murmelte jemand hinter dem Alten. «Es ist zwanzigmal so viel wert.»
Drioli öffnete den Mund um zu sprechen. Da keine Worte kamen, schloss er ihn; dann öffnete er ihn von neuem und sagte langsam: «Aber wie kann ich es verkaufen?» Er hob die Hände und ließ sie kraftlos sinken. «Monsieur, wie kann ich es denn verkaufen?» Abgrundtiefe Traurigkeit lag in seiner Stimme.
«Ja», meinten auch die Umstehenden, «wie kann er es verkaufen? Es ist doch ein Teil von ihm.»
«Hören Sie –» der Kunsthändler trat dicht an ihn heran – «ich will Ihnen helfen. Ich mache Sie reich. Wir werden uns unter vier Augen über dieses Bild einigen, ja?»
Drioli blickte ihn verständnislos an. «Aber wie können Sie es kaufen, Monsieur? Was wollen Sie damit anfangen, wenn Sie es gekauft haben? Wo werden Sie es aufbewahren? Wo werden Sie es heute Abend hinstellen? Und wo morgen?»
«Wo ich es aufbewahren werde? Ja, wo bewahre ich es denn auf? Also … hm … ja, wirklich …» Der Kunsthändler rieb sich mit seinem dicken weißen Zeigefinger die Nase. «Es scheint», sagte er schließlich, «dass ich Sie mitkaufe, wenn ich das Bild kaufe. Das ist ein Nachteil.» Wieder rieb er sich die Nase. «Das Bild hat keinen Wert, solange Sie am Leben sind. Wie alt sind Sie, mein Freund?»
«Einundsechzig.»
«Nun, Sie sind vielleicht nicht sehr kräftig, was?» Der Kunsthändler nahm die Hand von der Nase und musterte Drioli langsam von Kopf bis Fuß wie ein Bauer, der ein altes Pferd abschätzt.
Drioli wich einen Schritt zurück. «Das gefällt mir nicht. Ganz ehrlich, Monsieur, das gefällt mir nicht.» Er wich noch weiter zurück, bis er in den Armen eines großen Mannes landete, der ihn sanft an den Schultern festhielt. Drioli drehte sich um und stammelte eine Entschuldigung. Der Mann lächelte auf den Alten herab und klopfte ihm mit der kanariengelb behandschuhten Rechten beruhigend auf die nackte Schulter.
«Hören Sie, mein Freund», sagte der Fremde, noch immer lächelnd. «Schwimmen Sie gern? Liegen Sie gern in der Sonne?»
Drioli sah ihn verdutzt an.
«Mögen Sie gutes Essen? Und die Rotweine der großen Weingüter in Bordeaux?» Der Mann lächelte unentwegt und entblößte dabei große weiße Zähne, zwischen denen hier und dort Gold blitzte. Er sprach mit leiser, einschmeichelnder Stimme, ohne die Hand von Driolis Schulter zu nehmen. «Mögen Sie das?»
«Nun … ja», antwortete Drioli in wachsender Verwirrung. «Natürlich.»
«Und die Gesellschaft schöner Frauen?»
«Warum nicht?»
«Und einen Schrank voll maßgeschneideter Anzüge und Hemden? Ich habe den Eindruck, dass Sie etwas knapp mit Garderobe sind.»
Drioli starrte diesen liebenswürdigen Menschen an und wartete auf den Rest des Angebots.
«Haben Sie schon mal Schuhe getragen, die eigens für Sie angefertigt wurden?»
«Nein.»
«Aber Sie hätten nichts dagegen, was?»
«Nun …»
«Und wie wär’s, wenn jeden Morgen ein Friseur käme, der Sie rasiert und Ihnen das Haar schneidet?»
Drioli stand nur da und staunte.
«Und ein reizendes dralles Mädchen, das Sie manikürt?»
Jemand in der Menge lachte.
«Und hätten Sie nicht gern eine Klingel neben Ihrem Bett? Morgens brauchten Sie dann nur zu läuten, und schon würde Ihnen ein Stubenmädchen das Frühstück bringen. Na, wäre das nicht schön, mein Freund?»
Drioli schwieg.
«Sehen Sie, ich bin der Besitzer des Hotels Bristol in Cannes. Ich lade Sie ein, mit mir zu kommen und bis an Ihr seliges Ende als mein Gast herrlich und in Freuden zu leben.» Der Mann machte eine Pause, damit sein Zuhörer Zeit hätte, diese glänzenden Aussichten voll und ganz zu würdigen. Dann fuhr er fort: «Ihre einzige Pflicht – oder sagen wir lieber: Ihr Vergnügen – würde darin bestehen, dass Sie sich, nur mit einer Badehose bekleidet, täglich an meinem Strand aufhalten. Sie gehen inmitten meiner Gäste umher, sonnen sich, schwimmen, trinken Cocktails. Lockt Sie das nicht?»
Keine Antwort.
«Verstehen Sie – dadurch gebe ich allen meinen Gästen Gelegenheit, dieses faszinierende Bild von Soutine zu besichtigen. Sie werden berühmt werden. Man wird sagen: ‹Oh, da ist ja der Bursche mit den zehn Millionen Francs auf dem Rücken.› Wie finden Sie diese Idee, Monsieur? Gefällt Sie Ihnen?»