Endlich drehte sich Ganderbai um und nickte. Es war so weit. «Gehen Sie an die andere Bettseite», sagte er. «Wir nehmen jeder einen Zipfel des Lakens und ziehen es zurück. Aber bitte sehr langsam, sehr vorsichtig.»
«Lieg jetzt ganz still, Harry», ermahnte ich ihn und ging um das Bett herum. Ganderbai stand mir gegenüber. Wir ergriffen das Laken an den beiden oberen Zipfeln, hoben es leicht von Harrys Körper ab und zogen es Zentimeter für Zentimeter zurück. Dabei gaben wir acht, dass wir nicht zu nah an das Bett herankamen, beugten uns jedoch vor und versuchten, unter das Laken zu schauen. Der Chloroformgeruch war ekelhaft. Ich erinnere mich, dass ich die Luft so lange wie möglich anhielt, und als das nicht mehr ging, bemühte ich mich, flach zu atmen, damit mir das Zeug nicht in die Lungen drang.
Harrys Brust – besser gesagt, seine gestreifte Pyjamajacke – war jetzt freigelegt. Dann sah ich das weiße Band der Pyjamahose, sauber zu einer Schleife gebunden. Etwas weiter unten tauchte ein Knopf auf, ein Perlmuttknopf. Ich habe noch nie einen Pyjama gehabt, dessen Schlitz mit einem Knopf zu schließen war, geschweige denn mit einem Perlmuttknopf. Dieser Harry, dachte ich, ist doch ein richtiger Stutzer. Es ist merkwürdig, dass einem manchmal in den aufregendsten Situationen solche albernen Gedanken kommen. Ich weiß noch genau, dass ich Harry für einen Stutzer hielt, als ich diesen Knopf sah.
Außer dem Knopf war nichts auf seinem Bauch.
Nun zogen wir das Laken schneller zurück, und als wir die Beine und die Füße aufgedeckt hatten, ließen wir es auf den Boden fallen.
«Bewegen Sie sich nicht», sagte Ganderbai. «Bewegen Sie sich nicht, Mr. Pope.» Er versuchte, unter Harrys Körper zu spähen.
«Wir müssen vorsichtig sein», erklärte er. «Sie kann überall stecken. Vielleicht ist sie ins Hosenbein des Pyjamas gekrochen.»
Diese Worte bewirkten, dass Harry hastig den Kopf vom Kissen hob und an sich hinuntersah. Es war das erste Mal, dass er sich bewegte. Dann sprang er mit einem Satz auf, sodass er nun mitten im Bett stand, und schüttelte zuerst das eine, dann das andere Bein heftig in der Luft. In diesem Augenblick dachten wir beide, er sei gebissen worden, und Ganderbai suchte bereits in seiner Tasche nach einem Skalpell und einer Aderpresse. Plötzlich aber hörte Harry mit seinen Luftsprüngen auf. Er betrachtete die Matratze, auf der er stand, und rief: «Sie ist nicht da!»
Ganderbai richtete sich auf und betrachtete ebenfalls die Matratze. Dann sah er Harry an. Harry war unversehrt. Er war nicht gebissen worden, er würde nicht gebissen werden, er brauchte nicht zu sterben, und alles war gut. Aber das schien keinen von uns zu beruhigen.
«Mr. Pope, Sie sind natürlich ganz sicher, dass Sie die Bungar gesehen haben?» In Gänderbais Stimme lag eine Spur von Sarkasmus – was unter normalen Umständen bei ihm undenkbar gewesen wäre. «Sie glauben nicht, Mr. Pope, dass Sie geträumt haben könnten, nicht wahr?» Die Art, wie er Harry ansah, verriet mir, dass der Sarkasmus nicht als Beleidigung gemeint war. Ganderbai machte sich nach der Nervenprobe nur etwas Luft. Harry stand in seinem gestreiften Pyjama auf dem Bett und starrte den Arzt an, während ihm das Blut in die Wangen stieg.
«Wollen Sie etwa behaupten, dass ich ein Lügner bin?», brüllte er.
Ganderbai blickte schweigend zu ihm auf. Harry trat einen Schritt auf dem Bett vor. In seinen Augen war ein seltsames Funkeln.
«Sie dreckiges indisches Mistvieh!»
«Halt den Mund, Harry!», rief ich.
«Sie dreckiges schwarzes …»
«Harry!», schrie ich. «Halt den Mund, Harry!» Es war schrecklich, was er alles sagte.
Ganderbai ging aus dem Zimmer, als wären Harry und ich nicht vorhanden. Ich eilte ihm nach und legte ihm den Arm um die Schultern, als wir die Diele überquerten und auf die Veranda hinaustraten.
«Hören Sie nicht auf Harry», bat ich. «Die Sache hat ihn fertiggemacht. Er weiß nicht mehr, was er sagt.»
Wir gingen die Verandatreppe hinunter zur Auffahrt, wo in der Dunkelheit Ganderbais alter Morris stand. Er öffnete die Tür und stieg ein. «Sie haben großartige Arbeit geleistet», beteuerte ich. «Vielen herzlichen Dank, dass Sie gekommen sind.»
«Alles, was er braucht, ist ein langer Urlaub», sagte er ruhig, ohne mich anzusehen. Dann ließ er den Motor an und fuhr los.
Der Wunsch
Der Junge strich zufällig mit der Hand über sein Bein, und dabei geriet er an die verschorfte Stelle auf der Kniescheibe. Er beugte sich vor, um sie zu untersuchen. Schorf war etwas, was man einfach anfassen musste; er hatte dieser Verlockung noch nie widerstehen können.
Ja, dachte er, ich werde es abkratzen, auch wenn es noch nicht so weit ist, auch wenn es in der Mitte noch festklebt, auch wenn es wehtut wie sonst was.
Mit dem Fingernagel tastete er vorsichtig um den Rand herum. Dann schob er den Nagel darunter, und auf einmal – er brauchte kaum nachzuhelfen – löste sich der Schorf. Der ganze harte braune Schorf ging glatt ab und enthüllte ein rundes Fleckchen zarter rosa Haut.
Gut. Wirklich sehr gut. Er rieb die Stelle, und sie tat nicht weh. Er nahm den Schorf, legte ihn sich auf den Schenkel und schnippte ihn mit dem Finger fort, sodass er durch die Luft flog und auf dem Teppich landete, auf diesem riesigen roten, schwarzen und gelben Teppich, der die Diele von der Treppe bis zur Haustür bedeckte. Ein gewaltiger Teppich. Größer als der Tennisplatz. Viel größer. Er betrachtete ihn ernst, ließ den Blick mit stillem Vergnügen auf ihm ruhen. Bisher hatte er ihn nie richtig angesehen, aber jetzt leuchteten die Farben plötzlich geheimnisvoll auf und sprangen ihm geradezu in die Augen.
Ja, sagte er sich, ich weiß, wie es ist. Die roten Teile des Teppichs sind glühende Kohlestücke. Was ich tun muss, ist dies: Ich muss den ganzen Weg bis zur Haustür gehen, ohne sie zu berühren. Wenn ich auf Rot trete, verbrenne ich. Wirklich, dann verbrenne ich ganz und gar. Und die schwarzen Teile des Teppichs … ja, das sind Schlangen, giftige Schlangen, Kreuzottern und Kobras, manche so dick wie Baumstämme. Wenn ich auf eine von ihnen trete, werde ich gebissen und muss noch vor dem Tee sterben. Und wenn ich heil hinüberkomme, ohne zu verbrennen und ohne gebissen zu werden, dann kriege ich morgen zum Geburtstag einen jungen Hund.
Er stand auf und stieg ein paar Stufen höher, um dieses riesige Gewebe aus Farbe und Tod besser überblicken zu können. Würde er es schaffen? War genug Gelb da? Gelb war die einzige Farbe, auf die er treten durfte. Sollte er es wagen? Eine solche Reise musste man sich gründlich überlegen, denn sie barg viele Gefahren. Das Gesicht des Jungen – hellblonde Ponyfransen, zwei große blaue Augen, ein kleines spitzes Kinn – lugte besorgt über das Geländer. Das Gelb war an manchen Stellen etwas spärlich verteilt, und ein-, zweimal klaffte dazwischen eine breite Lücke, aber anscheinend lief es bis zum anderen Ende. Das konnte doch eigentlich nicht zu schwer sein für ihn, der erst gestern den ganzen Weg von den Ställen bis zur Laube gegangen war, ohne ein einziges Mal auf die Ritzen zwischen den Steinen zu treten. Wenn nur die Schlangen nicht wären. Der bloße Gedanke an Schlangen löste in seinen Beinen ein feines elektrisches Prickeln aus, das er bis in die Fußsohlen spürte.
Langsam, Stufe um Stufe, näherte er sich dem Teppichrand. Er hob den kleinen, in einer Sandale steckenden Fuß und stellte ihn vorsichtig auf einen gelben Fleck. Dann zog er den anderen Fuß nach, der gerade noch Platz auf dem Gelb hatte. So! Der Anfang war gemacht. Auf seinem ovalen Gesicht lag ein Ausdruck äußerster Konzentration, und vielleicht war er jetzt eine Spur blasser als sonst. Er breitete die Arme aus, um sich im Gleichgewicht zu halten. Beim zweiten Schritt hob er den Fuß hoch über einen schwarzen Fleck und zielte mit dem Zeh sorgfältig auf eine schmale gelbe Rinne hinter dem Schwarz. Als er auch mit dem anderen Fuß gelandet war, blieb er eine Weile steif und unbeweglich stehen. Die schmale gelbe Rinne lief ohne Unterbrechung etwa fünf Meter weiter. Er arbeitete sich behutsam vor, Schritt für Schritt, wie ein Seiltänzer. Als die Rinne schließlich zur Seite abbog, musste er wieder einen langen Schritt machen, diesmal über eine unheimlich aussehende Mischung aus Rot und Schwarz hinweg. Plötzlich begann er zu schwanken. Er ließ die Arme wie Windmühlenflügel kreisen, verzweifelt bemüht, dem Feuer und den Schlangen zu entgehen. Zum Glück erreichte er unbeschadet die andere Seite. Er war völlig außer Atem und so angespannt, dass er die ganze Zeit auf den Zehenspitzen stand, die Arme ausgebreitet, die Hände zu Fäusten geballt. Er befand sich auf einer großen, sicheren Insel von Gelb. Sie bot ihm genügend Raum, er konnte nicht hinunterfallen, und so verschnaufte er erst einmal, zögerte, wartete und wünschte, für immer auf der großen, sicheren gelben Insel bleiben zu können. Aber dann würde er ja keinen jungen Hund zum Geburtstag bekommen. Dieser Gedanke trieb ihn vorwärts.