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Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung bestand die LPG aus 42 Mitgliedern, darunter dreizehn Landeinbringer, die Anteile am Betrieb hielten. Anfang 1991 beauftragte Gombrowski einen Umwandlungsberater aus dem Westen, Rack mit Namen, der sofort anreiste und bis auf Weiteres Wohnsitz im Märkischen Landmann nahm. Zwei Fragen waren schnell geklärt. Würde Gombrowski versuchen, den alten Familienbesitz aus der LPG herauszulösen, musste die »Gute Hoffnung« unweigerlich zugrunde gehen, und sie würde vierzig Arbeitsplätze sowie die Zukunft der Unterleutner Region mit in den Abgrund reißen. Eine Liquidation hingegen bedeutete faktisch den Verkauf unter Wert an einen Investor aus dem Westen, wobei von der Kaufsumme nach Abzug der Verbindlichkeiten für jedes einzelne Mitglied kaum etwas übrig bliebe. Es musste eine Alternative gefunden werden, was Umwandlungsberater Rack nach besten Kräften versuchen wollte, für ein beträchtliches Honorar und im Rahmen der Gesetze, oder doch wenigstens im Rahmen der Vernunft.

Das neue Landwirtschaftsanpassungsgesetz sah vor, dass Betriebe, die nicht bis Ende des Jahres zu einer neuen Form gefunden hatten, als aufgelöst galten. Es blieb also nicht viel Zeit. Hinauslaufen sollte es auf die Gründung einer GmbH nach bundesrepublikanischem Recht, die »Ökologica« heißen würde. Die Sache hatte nur einen Haken. Die LPG konnte sich kaum Austritte leisten. Das Gesetz garantierte ausscheidungswilligen Mitgliedern eine Abfindung, die sich am Wert ihres Anteils bemaß. Selbst wenn man, was Rack in Gombrowskis Arbeitszimmer sofort auf einem Stück Rechenpapier unternahm, eine Rückstellung in Höhe von 1,5 Millionen zur dringend nötigen Asbestsanierung bildete und eine weitere halbe Million für die Anschaffung neuer Mähdrescher zurücklegte, um das verteilungsfähige Eigenkapital der LPG um die Hälfte zu reduzieren, würden ein paar Wiedereinrichter, die mit ihrer Abfindung eine eigene Wirtschaft gründen wollten, dem Betrieb das Genick brechen. Mit anderen Worten, die »Gute Hoffnung« würde nur dann als Ökologica überleben, wenn alle an einem Strang zogen.

Gombrowski konnte allerdings weder Haken noch Problem erkennen. Die anderen 41 LPG-Mitglieder, erklärte er Rack, seien Freunde oder doch wenigstens Nachbarn und gute Bekannte. Sie schuldeten ihm so viele Gefallen, dass er noch drei weitere Betriebe von einer Rechtsform in die andere und wieder zurück umwandeln könne, wenn es darauf ankomme.

Rack sagte: Umso besser.

Sie begannen mit der Ausarbeitung des Umwandlungskonzepts. Die Abschlussbilanz der »Guten Hoffnung« sah weitere Rücklagen in Höhe einer halben Million vor; das Abfindungsangebot an ausscheidungswillige Mitglieder fiel bescheiden aus. Die Satzung der künftigen Ökologica GmbH machte Gombrowski zum alleinigen Geschäftsführer, der volle Prokura sowie siebzig Prozent der Gesellschaftsanteile erhielt. Ein Aufsichtsrat war nicht vorgesehen. Die Kompetenzen der Gesellschafterversammlung wurden durch die Satzung stark eingeschränkt, zudem erfolgte die Stimmverteilung nicht nach Köpfen, sondern nach Kapitalanteilen. Zusätzlich erstellte Rack einen Umwandlungsbericht, der wenig Zahlen, dafür viele schöne Worte zum Thema Arbeitsplätze, Strukturwandel und blühende Landschaften enthielt. Dieses Papier wurde in der Kantine der »Guten Hoffnung« ausgelegt, auf dem Getränkeautomaten, mit einem Feldstein beschwert.

Mit den meisten Mitgliedern hatte Gombrowski schon gesprochen, bevor die erste Informationsveranstaltung stattfand. Beim Bier im Märkischen Landmann, auf dem Marktplatz in Plausitz oder mitten auf der Landstraße nach Groß Väter, wo man, wenn ein bekanntes Auto entgegenkam, einfach anhalten und Fenster an Fenster ein paar Minuten plaudern konnte, bevor sich ein weiteres Fahrzeug näherte, für das man die Straße freigeben musste. Einem nach dem anderen hatte er erklärt, dass eine GmbH im Wesentlichen das Gleiche wie eine LPG sei, nur besser. Die Beteiligten hießen nicht mehr Mitglieder, sondern Gesellschafter, das eingebrachte Land nenne sich Stammeinlage. Vor allem aber habe die »Gute Hoffnung« alias Ökologica GmbH in Zukunft nicht mehr die unsinnigen Ideen der Bonzen zu verwirklichen, sondern könne vernünftige Landwirtschaft betreiben. Und das Beste: Wenn es gut laufe, sei Gombrowski nach neuem Gesellschaftsrecht in der Lage, am Jahresende eine Dividende auszuzahlen. Ansonsten werde sich gar nichts ändern.

Nach anfänglichem Unbehagen reagierten die Angesprochenen wohlwollend, manche sogar erleichtert. Das überraschte Gombrowski nicht. Vergangenheit und Zukunft waren dabei, sich in Luft aufzulösen, weshalb sich die Gegenwart schon aufgrund ihres bloßen Stattfindens wie ein Irrtum anfühlte. Inmitten allumfassender Unsicherheit war die »Gute Hoffnung« ein Bollwerk, ein Fels in der Brandung. Wenn es gelang, den Betrieb zu retten, behielt Unterleuten seine Vergangenheit und gewann eine neue Zukunft hinzu. Demgegenüber trat die Frage nach Gombrowskis Familienbesitz völlig in den Hintergrund. Es ging nicht um Recht oder Unrecht, sondern darum, die Unterleutner Heimat vor dem Zerfall zu bewahren.

Als Gombrowski diesen Satz auf der Informationsveranstaltung sagte, setzte Applaus ein. Mitten in den Applaus erhob sich Kron. Er sah mit seinen fünfzig Jahren noch immer aus wie ein junger Mann, und er war noch immer Kommunist. Er zeigte auf Rack, der möglichst unauffällig in einer Ecke der Kantine saß, und nannte ihn einen Besatzer aus dem Westen. Die Wiedervereinigung bezeichnete er als Kolonisierung und sagte, dass man sich hier versammelt habe, um dabei zuzusehen, wie der Kapitalismus seine Zähne in den Leib der »Guten Hoffnung« schlage. Im peinlichen Schweigen erklang eine weitere Stimme. Ausgerechnet Hildes Mann Erik kam Kron zu Hilfe. Erik war kein politischer Mensch, sein Tonfall war gelassener. Von Kapitalismus oder Kommunismus wollte er nichts wissen. Stattdessen fragte er die Versammlung, ob es die Bedeutung der Sache nicht verlange, über Alternativen zu sprechen. Ob keiner der Landeinbringer in den letzten Jahren davon geträumt habe, seinen eigenen Grund und Boden wiederzubekommen, um selbst eine Wirtschaft zu führen, wie es für ihre Eltern und Großeltern selbstverständlich gewesen sei. Im Saal entstand Unruhe. Die Anwesenden begannen untereinander zu diskutieren, einige murrten.

Gombrowski und Hilde tauschten einen Blick. Erik stammte nicht aus einer Familie, die gezwungen worden war, ihr Land an die LPG abzutreten. In diesem Spiel hatte er absolut nichts zu gewinnen. Aber seine Frau verbrachte seit Monaten fast jeden Tag im Haus der Gombrowskis, während sich Elena so viel wie möglich in der Nachbarschaft herumtrieb. In den vergangenen Jahren war Erik immer wieder durch Eifersüchteleien aufgefallen. Anscheinend war der Punkt gekommen, an dem er zum Gegenschlag ausholte.

Als Kron hinzufügte, dass Gombrowski nichts anderes im Sinn habe, als sich einen Betrieb unter den Nagel zu reißen, der ihnen allen gehöre, kippte die Stimmung. Gombrowski wurde laut. Er bezeichnete Kron als Randalierer und Erik als Idioten und bat alle anderen inständig, bei Verstand zu bleiben. Es gebe nur einen Weg in die Zukunft, und den werde er, Gombrowski, für sie alle gehen, so wie er in den vergangenen Jahrzehnten mit seiner ganzen Kraft dafür gesorgt habe, dass Unterleuten trotz der schwierigen Bedingungen ein lebenswerter Ort geblieben sei.

Rack ging dazwischen und vertagte die Versammlung, bevor die Lage eskalieren konnte. Er und Hilde nahmen Gombrowski in die Mitte und führten ihn aus der Kantine, über den Hof und zu seinem Auto. Gombrowski blickte starr vor sich hin, als wäre er ganz woanders, in einer anderen Zeit oder an einem anderen Ort.

In den folgenden Wochen führte er Gespräche. Nicht mehr im Landmann oder auf der Straße nach Groß Väter, sondern im Vorstandsbüro der »Guten Hoffnung«. Er lud die LPG-Mitglieder einzeln ein. Schenkte Kaffee und Bromfelder aus. Wiederholte Argumente. Leistete Überzeugungsarbeit. Betonte die Wichtigkeit einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Bat um Unterstützung. Vor allem erklärte er immer wieder, dass die »Gute Hoffnung« am letzten Tag des Jahres um 24 Uhr ganz von selbst zu existieren aufhören werde, wenn es nicht gelinge, ihr eine neue Form zu geben.