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Jeder wusste das. Zwei Besitzer von etwa gleichwertigen, fabrikneuen Limousinen wurden an unterschiedlichen Orten Opfer von Autodieben. Etwas später »kaufte« der eine bei einem kleinen Autohändler den Wagen des anderen und umgekehrt. Gleichzeitig wurden beide Versicherungssummen in voller Höhe fällig. Das Geschäft brachte eine anständige Provision für den Vermittler. Trotzdem glaubte Schaller nicht, jemals in eine so abgegriffene Gaunerei verwickelt gewesen zu sein. Aber sicher sein konnte er nicht.

»Dann schlage ich vor, du freust dich über unsere kleine Aufmerksamkeit und lässt in Zukunft die Latten am Zaun. Andernfalls kannst du deinen Freunden von der Bundespolizei erklären, wie viel Spaß der Autotausch immer gemacht hat.«

Derart lange Sätze hätte Schaller dem Rothaarigen nicht zugetraut. Vielleicht hatte der Russe ihn gezwungen, seine dämliche Ansage auswendig zu lernen. Während der leere Pritschenwagen mit pfeifendem Keilriemen vom Hof schlingerte, wuchs Schallers Ärger. Die Belästigungen gingen einfach immer weiter. Die Menschen konnten ihn nicht in Ruhe lassen. Egal, wo er wohnte, was er machte, mit wem er sprach – sofort fingen die anderen an, ihm übel mitzuspielen. Das zu wissen war schlimmer als die Tatsache, dass er sich jetzt mit der Sache befassen musste. Er brauchte seine Hebebühne so dringend, dass sich irgendeine Lösung finden würde. Ob mit Gombrowski oder dem Knüppel, konnte er später entscheiden.

15 Kron

Ausgerechnet in dem Moment, als er auf Hildes Schwelle stand, die Klingel drückte und dabei wie ein Komödien-Kavalier einen Strauß Rosen hinter dem Rücken versteckte, fuhren Malte und Wojtek mit dem Pritschenwagen vorbei. Malte, der am Steuer saß, ging vom Gas, hupte zum Gruß und lehnte sich halb aus dem offenen Fenster, um lachend auf die Rosen in Krons Hand zu zeigen. Dann beschleunigte der Pritschenwagen und verschwand am Ende des Beutelwegs im Wald.

Es gab nicht viele Situationen, in denen Kron nicht gesehen werden wollte, aber diese gehörte dazu. Unterleuten war das reinste Panoptikum. Wenn sich Datenschützer in der Zeitung wegen Überwachung im Internet ereiferten, musste Kron regelmäßig lachen. Man musste nur ein handelsübliches Dorf besuchen, um zu verstehen, was der gläserne Mensch tatsächlich war.

Kron klingelte noch einmal und hörte Schritte im Flur. Als sich die Tür einen Spalt öffnete, streckte er schnell die Hand mit dem Blumenstrauß hindurch, um zu verhindern, dass Hilde die Tür sofort wieder schloss.

»Was willst du?«, fragte sie.

»Mich entschuldigen.«

»Die Rosen hast du doch in meinem Garten abgerissen.«

Weil Kron nicht widersprechen konnte, schwieg er. Sein Lächeln war ein wenig eingerostet, er spürte es, als er die Wangen breit zog. So freundlich er konnte, blickte er auf Hilde hinunter. Seit Eriks Tod färbte sie sich die Haare schwarz. Der Streifen heller Kopfhaut im Scheitel hatte etwas Rührendes. Auch wenn sie ihm blond besser gefallen hatte, übten ihre hellen Augen und die winzigen Hände noch die gleiche Wirkung auf ihn aus wie vor dreißig Jahren.

»Darf ich reinkommen?«

Sie verzog keine Miene und trat nicht zur Seite, protestierte aber auch nicht, als er die Tür vorsichtig aufdrückte und an ihr vorbei in den Flur trat. Überall Katzen. Drei saßen hinter Hilde am Boden und sahen ihn an, eine weitere schlief kissenförmig auf dem Telefontischchen, die fünfte floh durch eine angelehnte Tür.

Kron hasste dieses Haus. Gombrowski hatte es gekauft, Gombrowski hatte es saniert, Gombrowski hatte Hilde hier hineingepflanzt wie eine verkümmerte Pflanze in einen neuen Topf.

»Wollen wir uns setzen?«, fragte er.

Hilde reagierte nicht. Kron ging voran und machte eine einladende Geste, als wäre er hier zu Hause.

Das kleine Wohnzimmer war mit zwei Sofas, mehreren Sesseln und einer Unmenge von Stühlen vollgestellt. Die Einrichtung wirkte zusammgewürfelt, als hätte Gombrowski einige Stücke aus der alten LPG-Ausstattung mit alten Möbeln von Püppi kombiniert. Nur einen Augenblick fragte sich Kron, wozu Hilde so viele Sessel und Stühle brauchte – natürlich handelte es sich um Liegeplätze für die Katzen. Kron hatte nichts gegen Katzen, aber hier befanden sich so viele von ihnen, dass er sich ekelte wie vor einer Ansammlung Insekten.

Die Möbel waren von Katzenkrallen ramponiert, Teppiche und Polster von einer dichten Schicht Haare überzogen. Es roch. Kron suchte nach einem halbwegs sauberen Stuhl, fand keinen und setzte sich trotzdem. Hilde blieb stehen. Auf diese Weise waren sie etwa gleich groß. Den Anblick des Mullverbands auf Hildes Stirn fand Kron so beschämend, dass er den Blick zu Boden richtete. Dort saß das silberne Kätzchen und legte den Kopf in den Nacken, um ihn anzusehen. Der kleine Körper schwankte, als wollte das Tierchen vor lauter Konzentration im nächsten Moment hintenüberkippen. Krons Beschämung wandelte sich in Wut. Das war eine Erleichterung. Er zeigte auf das kleine Tier.

»Ich dachte, die Katze ist vergeben.«

»Die Familie holt das Kätzchen am Wochenende, Kron. Warum hältst du immer alle außer dir für Lügner und Betrüger?«

»Weil ihr alle welche seid.«

Obwohl Kron den Kopf nicht hob, wusste er, dass Hilde ihn ansah.

»War das jetzt deine Entschuldigung?«, fragte sie.

Das Kätzchen duckte sich, rüttelte mit dem Hinterteil und setzte auf Krons Schnürsenkel an. Hilde bückte sich und nahm das Tier auf den Arm. Kron hatte wirklich vorgehabt, ihr ein paar freundliche Worte zu sagen und gleich wieder zu gehen, aber nun musste er loswerden, was ihm auf der Zunge lag.

»Das Windmühlentheater ist doch wieder ein neues Verbrechen aus dem Hause Gombrowski«, sagte er.

»Wovon redest du?«

»Und Arne sitzt natürlich mit im Boot. Geht’s der Ökologica so schlecht, dass der fette alte Hund auch noch den Wind bestehlen muss?«

»Du bist paranoid, Kron.«

»Schallers Unfall vor zwei Jahren. Das hab ich damals nicht begriffen. Wer hatte es plötzlich auf Schaller abgesehen? Nach so langer Zeit?«

»Hör auf damit.«

»Fast zeitgleich hat ein Geldsack aus dem Westen den halben Landkreis gekauft. Ich konnte den Zusammenhang nicht erkennen. Seit gestern verstehe ich alles. Geschickt eingefädelt, das muss ich schon sagen.«

»Geh jetzt nach Hause, Kron.«

»Ihr wusstet damals schon von den Windmühlenplänen, stimmt’s? Aber euch hat das nötige Kleingeld gefehlt, um das Land selbst zu kaufen. Also habt ihr einen Investor gesucht. Und Schaller, der alte Idiot, sollte beiseitegeräumt werden, damit er euch nicht mit alten Geschichten dazwischenfunken kann. Zu blöd, dass diese Fleischmaschine sogar einen Genickbruch überlebt.«

»Hau ab!«, schrie Hilde.

Erschrocken wand sich das Kätzchen aus ihren Armen und sprang auf den Boden.

Hilde zitterte, ob vor Wut, Angst oder Scham, konnte Kron nicht entscheiden. Er stand auf und ging zurück in den Flur.

»Dieses Mal mache ich ihm einen Strich durch die Rechnung«, sagte er, die Türklinke schon in der Hand. »Das kannst du dem fetten alten Hund ausrichten.«

Sie stand auf der Schwelle und wirkte in ihrer Fassungslosigkeit wie ein Kind, das sich verlaufen hat. Glasklar erkannte Kron, dass sie unschuldig war. Nicht sie, sondern Gombrowski besaß ein schwarzes Herz. Hilde hatte in den langen Jahren der Abhängigkeit nur aufgehört, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Sie war in alle Pläne eingeweiht – das bedeutete aber nicht, dass es ihre Pläne waren. Und wie Kron sie so stehen sah, ein alt gewordenes Mädchen, wich die Wut mit einem Mal doch wieder dem schlechten Gewissen.

»Dass ich dich geschlagen habe, tut mir wirklich leid«, sagte er.

Wenn Hilde lächelte, erschienen in ihren Mundwinkeln zwei Grübchen, die sonst völlig unsichtbar waren.

16 Fließ-Weiland

Es war eine Wiedergeburt. Der Himmel blau, die Gärten grün, die Luft schwanger vom Geruch nach Staub, Kiefernnadeln und heißem Asphalt. Der Boden unter Jules Füßen schien zu federn wie ein Trampolin. Sie sah sich selbst in Zeitlupe, sie sah ihr eigenes Gesicht in Großaufnahme, entschlossen und voller Lebenskraft. Sie sah sich selbst von oben, wie sie in langem Rock und Sandalen die Dorfstraße entlanglief, mit einer Hand den Kopf ihres Babys stützend, das im Tragetuch vor ihrem Bauch schlief. Eine Frau mit einer Mission.