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Jetzt lagen die Zusammenhänge auf der Hand. Die stinkenden Feuer im Hof des Automechanikers hatte Linda schon vor der Dorfversammlung bemerkt. Was bedeutete, dass Gombrowski eine gut präparierte Strategie fuhr. Weil er etwas von Linda wollte, hatte er rechtzeitig begonnen, ihre Widersacher unter Druck zu setzen. Im Kapitel »Strategische Allianzen« schrieb Gortz: »Liebe die Feinde deines Gegners wie dich selbst.« Ein genialer Satz.

Innerlich verneigte sie sich vor so viel taktischer Professionalität und nahm sich vor, Gombrowski in Zukunft mit äußerster Vorsicht zu begegnen. Vor allem durfte sie nicht von ihm abhängig werden, was wiederum hieß, dass sie ihre Karten gegenüber den Vogelschützern möglichst geschickt spielen musste.

»Ich habe mich informiert.« Fließ hatte sich wieder hingesetzt und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Gombrowski legt ein gewaltiges Tempo vor. Anscheinend will er die Sache in trockene Tücher bringen, bevor das Dorf richtig weiß, wie ihm geschieht. Er hat bereits Kontakt mit den Baubehörden aufgenommen und sich der Vento Direct als Partner vorgestellt.«

Jule stand auf und drehte die Lautstärke der Musik noch ein Stück herunter. Keiner von beiden hielt es länger als ein paar Minuten auf seinem Platz aus. Sie schienen ständig davonzulaufen, vor sich selbst, vor dem anderen, vor der unerträglichen Hitze und dem Gummigestank in ihrem Haus.

»Mit der Ökologica steht es nicht zum Besten. Die Pachtpreise steigen, die EU-Subventionen werden zurückgefahren. Manche glauben, dass Gombrowski schon seit Jahren eine Insolvenz verschleppt. Die Erträge des Windparks könnten ihm etwas Beinfreiheit verschaffen.«

Mit stolzer Geste legte Fließ die Arme auf die Rückenlehne der Couch, wobei er Jule versehentlich am Kopf traf. Sie rückte ein Stück von ihm ab. Das rote Haar hatte sie zu einem Dutt gebunden, der ihr hübsches Gesicht zur Geltung brachte und sie älter wirken ließ. Wieder sandte sie ein Lächeln aus; dieses Mal ging es auf Gerhards Kosten. Linda lächelte zurück, und plötzlich glaubte sie, dass Jule vielleicht doch ihre Freundin werden könnte. Sie stellte sich vor, wie sie gemeinsam unter den Robinien hinter Objekt 108 sitzen und einen Tee mit kompliziertem Namen trinken würden, den Jule mitgebracht hatte. Sophie würde im Garten spielen und für Linda wie eine kleine Nichte sein, und vielleicht würde das Mädchen eines Tages auf Bergamotte reiten lernen. Linda hatte keine Freundinnen. In der Schule waren ihr die anderen Mädchen zu albern gewesen, und später hatte sie immer zu viel gearbeitet, um Leute kennenzulernen. Außerdem war ihr Frederiks Freundschaft im Grunde genug. Aber Jules Anblick weckte Sehnsucht nach friedlichem Zusammensein, ohne Kampf, ohne Sex, ohne Vergangenheit oder Zukunft. Nur Sonne, Tee, Reden und der Geruch von Gras. Jules Lächeln war ein großes Angebot. Vielleicht konnte Linda sie eines Tages sogar dazu bringen, den Killjoy zu verlassen und ein echter Mensch zu werden.

»Meine Kontaktleute sagen, dass juristisch nicht viel dagegen zu machen sei. Die Eignungsgebiete wurden sorgfältig geprüft und sind politisch gewollt. Meine Kontaktleute sind der Meinung, dass die erforderlichen Genehmigungen mit großer Sicherheit erteilt werden.«

Wieder wechselten Jule und Linda einen Blick. Seine Kontaktleute. Dazu die selbstgefällig gerunzelte Stirn. Ganz klar spielte Fließ den Leitungsoffizier eines Planungsstabs, der sich mit einer brenzligen politischen Affäre befasste. Vor seinem geistigen Auge sah er sich vermutlich nicht von Rattanmöbeln, sondern von spiegelnden Konferenztischen umgeben.

Linda war sicher, dass der Vogelschützer in seinem früheren Leben viel Zeit damit verbracht hatte, in Berliner Kneipen über Klimaerwärmung, Ölkriege und die unbedingt notwendige Energiewende zu dozieren. Mit Sicherheit wählte er die Grünen. Vor der Tür stand ein Kleinwagen, der sich dafür schämte, dass Elektroautos noch in der Entwicklung waren. Und hier saß Leitungsoffizier Fließ und plante einen Feldzug zur Verhinderung von Windkraftanlagen. Schon jetzt freute sich Linda darauf, Frederik von der Szene zu erzählen.

Als sie die Einladung zum Essen angenommen hatte, war sie nicht sicher gewesen, was sie bei den Vogelschützern wollte. Jetzt wusste sie es. Blitzschnell entschied sie sich für eine Strategie und fühlte sofort, dass es die richtige war. In seinen Schriften empfahl Gortz immer wieder, sich mit Kairos vertraut zu machen, dem Gott des richtigen Moments. »Gebrauche die Vernunft. Aber wenn der Augenblick gekommen ist, triff deine Entscheidungen schnell wie der Blitz.« Der Hinterkopf der Kairos-Gottheit war kahl geschoren. Das sollte die Menschen daran erinnern, dass sich eine Gelegenheit, wenn sie einmal vorbei war, nicht mehr am Schopfe packen ließ.

»Der Rechtsweg ist ausgeschlossen«, sagte Fließ. »Wir müssen anders vorgehen.«

Wir.

»Unsere Unterschriftenaktion kennst du ja schon, sie läuft sehr erfolgreich. Außerdem könnte über diesen Kron etwas zu machen sein, er scheint einigen Einfluss im Dorf zu besitzen. Da muss man Synergieeffekte nutzen.«

Fließ holte Luft für den nächsten Satz und bemerkte erstaunt, dass die Sprechmaschine keinen Nachschub lieferte. Anscheinend war ihm nach »Synergieeffekte« der Text ausgegangen. Er hob den Ginger-Ale-Krug und stellte ihn wieder ab, weil alle Gläser noch voll waren. Ein ringförmiger Abdruck blieb auf dem Couchtisch zurück. Linda beugte sich vor, tupfte den Zeigefinger in die Nässe und malte einen eckigen Schmetterling. Fließ fragte nicht, was das sei. Er wusste es. Mit zwei raschen Bewegungen strich Linda die Schiefe Kappe durch.

»Ich werde nicht an Gombrowski verkaufen«, sagte sie.

Der Kopf des Vogelschützers hob sich wie bei einem Fluchttier, das ein Geräusch vernimmt. Auch Jule straffte den Rücken. Auf dem Gesicht ihres Mannes wechselten die Mienen mit atemberaubender Geschwindigkeit.

»Das ist …«, sagte Fließ. »Die Vento braucht zehn zusammenhängende Hektar. Ohne Sie«, in der Aufregung entglitt ihm das frisch vereinbarte Du, »ohne Sie kann Gombrowski gar nicht …«

»Ich verkaufe nicht an Gombrowski«, wiederholte Linda.

Der Vogelschützer sprang von der Couch.

»Wunderbar! Ich meine, das ist bestimmt nicht das Ende vom Lied, Gombrowski wird politisch agitieren, er wird … Aber immerhin – eine harte Nuss. Die muss er erst mal knacken.«

Fließ stand strahlend im Raum, als wollte er auf ein neues Jahr anstoßen. Linda blieb sitzen.

»Mensch, Linda. Leute wie du. Er hat dir bestimmt eine Menge Geld geboten. Und du … Das ist großartig. Danke.«

Linda bemerkte, dass Jule sie ansah. Ihr Lächeln war unverändert, aber die Augen blickten nachdenklich, als fragte sie sich nach Lindas Motiven. Gemeinsam warteten sie darauf, dass auch Fließ zu dieser Frage vordrang.

Als es so weit war, setzte sich Fließ wieder hin und legte einen Finger an die Nase, als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen.

»Übrigens, du«, sagte er. »Die Sache mit deinen Pferden.«

»Ja?«, fragte Linda freundlich.

»Die Genehmigungspflicht deiner Bauvorhaben. Die Sanierung der Nebengebäude und die Errichtung von Koppelzäunen.«

»Was ist damit?«

»Vielleicht liegt da Geringfügigkeit vor. Das müsste ich noch mal genauer überprüfen. Am besten, wir legen das Verbotsverfahren erst mal auf Eis.«

»Na dann«, sagte Linda und lächelte.

24 Kron

Das Alter hatte jedem eine Karikatur seiner selbst ins Gesicht geschnitzt. Björns Grinsen, das früher einen ganzen Raum erhellen konnte, ließ sich nicht mehr abstellen. Norberts Augenbrauen waren oberhalb der Nase zu einem grimmigen Balken verwachsen. Wolfgangs Mundwinkel hatte der Spott nach unten gezogen. Die Augen von Heinz standen so weit hervor, als wollten sie den Schädel verlassen. Seit Jakob das Trinken offiziell zum Hobby erklärt hatte, war seine Burgundernase auf doppelte Größe angeschwollen. Der dicke Ulrich musste von innen mit Haaren ausgestopft sein, jedenfalls quollen sie aus Ohren, Nasenlöchern und Hemdkragen.