»Streik ist nicht, wenn ein paar Holzköpfe beschließen, zu Hause zu bleiben. Wie blöd muss man sein, um so einen Wisch zu verfassen? Das ist ein hieb- und stichfester Kündigungsgrund. Fristlos. Du schickst die Briefe raus.«
»Du willst fünf Leute feuern? In der Erntezeit?«
Betty wusste, wie man Gombrowski provozieren konnte. Alle Frauen wussten das: Hilde, Elena, Püppi, Betty, manchmal sogar Fidi. Sie sahen ihn an mit diesem spöttischen Blick, der besagte: »Na, Gombrowski, du bist groß und stark, aber was machst du jetzt?« Und saßen lächelnd daneben, während er versuchte, die Kontrolle zu behalten. Frau sein bedeutete nichts weiter als die Erlaubnis, sich jederzeit für unzuständig zu erklären. Egal, ob es um das Wechseln einer Glühbirne, das Töten eines Tiers oder die Entsorgung eines Querulanten ging. Die Weiber riefen »Kann ich nicht!«, versteckten das Gesicht zwischen den Händen und sahen später wieder hin, um mit Vorwürfen anzufangen, angesichts dessen, was der Mann getan hatte. Trotzdem liebte Gombrowski seine Frauen, jede einzelne, so verschieden sie waren. Männer besaßen keine Persönlichkeit, sie waren alle gleich. Wer echtes Leben wollte, musste sich mit Frauen umgeben.
Er stapfte zur Anrichte und füllte seine Tasse aus der blauen Kanne. Natürlich hatte Betty recht. Er konnte niemandem kündigen, nicht jetzt und nicht innerhalb der kommenden acht Wochen. Der Winterweizen ging in die Casino-Phase, in der jeder Tag eine Spekulation auf das Wetter darstellte; spätestens nächste Woche war er fällig. Die Frühkartoffeln mussten dringend raus, außerdem war ein ganzer Stapel Subventionsanträge liegen geblieben. Wenn die fünf Spinner tatsächlich beschlossen, der Arbeit dauerhaft fernzubleiben, hatte Gombrowski ein Problem. Wenn sie es schafften, noch ein paar andere auf ihre Seite zu ziehen, konnte er die Ernte abschreiben. Nicht alles ließ sich mit Polen machen.
»Vielleicht sollten wir erst mal mit den Leuten reden.«
»Reden?« Gombrowski ging auf Betty zu, die einfach stehen blieb. »Vielleicht darüber, dass Elena heute früh fast von Björns Zaun erschlagen wurde?«
»Wie bitte?«
»Ich dachte, die ist tot!«
Das stimmte nur halb. Sie hatte gezappelt und panisch versucht sich zu befreien, konnte also nicht schwer verletzt sein. Gerade noch hatte Gombrowski gesehen, wie Björn im Haus verschwand.
»Elena hat versucht, die Transparente zu entfernen. Da muss Björn aus dem Haus gestürmt sein, um sie davon abzuhalten. Hat sie gepackt und zu Boden geworfen, bis im Gerangel der Zaun umgekippt ist.«
»Onkel Björn soll Elena umgeworfen haben?«
»Das Arschloch ist nicht dein Onkel.«
»Was sagt Elena?«
»Elena nimmt ihn in Schutz. Aber die würde selbst den Teufel in Schutz nehmen.«
»Der Zaun von Onkel Björn war schon immer ziemlich wackelig.«
Gombrowski ging auf seine Seite des Tischs und ließ sich in den Stuhl fallen. Kaffee schwappte aus der Tasse und verbrannte ihm den Handrücken. Er fluchte. Elena am Boden. Die Szene hatte ihn erschreckt. Er hatte sie schon öfter so gesehen, damals, als Püppi noch bei ihnen lebte, und stets war nicht Björn, sondern er selbst der Schuldige gewesen. Wenn es Ärger in der LPG gab und sich Püppi zu Hause wie eine Geisteskranke aufführte und Elena nicht einsehen wollte, dass Kinder klare Grenzen brauchten. Jedes Mal hatte es ihm unendlich leidgetan, jedes Mal hatte er Elena unendlich geliebt in dem Moment, da sie plötzlich vor ihm lag. Jedes Mal hatte er sich bei ihr entschuldigt, und sie hatte die Entschuldigung angenommen. Trotzdem war immer etwas zurückgeblieben, etwas Schmerzhaftes, das tief in der Brust saß. Heute spürte er es wieder, ein Stechen in der Brust, das in den linken Arm ausstrahlte. Wenn er jetzt einen Herzanfall bekam, hatte Kron erreicht, was er wollte; also würde er keinen Herzanfall bekommen. Kron keinen Gefallen zu tun war ein guter Grund, am Leben zu bleiben. Anstiftung zur Arbeitsverweigerung. Langsam war das Maß voll.
»Ist da eigentlich was dran?« Betty hielt den roten Zettel mit beiden Händen, ihre Kiefer mahlten, während sie las. »Schließung der Ökologica? Windbezahlter Ruhestand?«
»Kindchen, glaubst du nicht, dass du es als Erste erfahren würdest, wenn ich das Handtuch werfe?«
Betty griff nach dem Locher, führte den Zettel ein und schlug zu. Krons Kampfschrift verschwand in einem Aktenordner.
29 Seidel
Glück bestand aus wenigen Zutaten: ein offenes Fenster, der Geruch von sonnenwarmem Gras und die Abwesenheit von Lärm. Kein Laut war zu hören. Nur die Empörung eines Rotschwänzchens, das unermüdlich eine im Schatten dösende Katze beschimpfte. Dazu flüsterte die Stimme von Pilz in Arnes Schoß. Das Telefon lag mit dem Lautsprecher nach unten auf seinem Oberschenkel. Angeblich hatte Pilz ihn sprechen wollen, um, wie er sagte, den Informationsstand abzugleichen. Stattdessen spulte er schon wieder sein Regenerative-Energien-Programm ab. Dafür brauchte er keinen Zuhörer.
Arne blickte hinaus in den friedlichen Garten und lächelte. Als Glücksbedingung wurde die Abwesenheit von Lärm notorisch unterschätzt. Die meisten Menschen hatten vergessen, dass Stille die Wirkung einer inneren Dusche besaß. Reinigend, beruhigend und belebend zugleich. Niemand konnte inmitten von Lärmverschmutzung glücklich sein. In amerikanischen Lagern wurden die Häftlinge mit Lärmbeschallung gefoltert. Die CIA wusste, was sie tat.
Arne genoss die Früchte seiner Gegenwehr, was eine neue Erfahrung für ihn darstellte. Normalerweise ließ er sich alles gefallen, weniger aus Gutmütigkeit als aufgrund der Erkenntnis, dass man sich gegen wirklich schlimme Dinge ohnehin nicht verteidigen konnte, während alles, was Gegenwehr erlaubte, nicht wirklich schlimm war. Jetzt aber hatte er gekämpft und gewonnen. Der Nachbargarten war verwaist. Krönchens Puppen lagen wie Leichen nach einem Luftangriff über den Rasen verstreut. Der schweigende Rasenmäher glich zurückgelassenem Kriegsgerät. Arne fühlte sich als Sieger, die Stille war seine Hymne.
Kurz hob er das Telefon ans Ohr, um zu prüfen, ob der Junge von der Vento Direct immer noch im Grundsätzlichen steckte. Das war der Fall. Arne sagte einmal »ja« und einmal »gewiss« und ließ das Telefon wieder auf den Oberschenkel sinken.
Am meisten erstaunte ihn, wie wenig er für den Sieg über Wolfi hatte tun müssen. Nicht mehr, als sein Auto an einer bestimmten Stelle der Straße zu parken. Dort hatte der Wagen ganz legal gestanden. Sollte es nötig werden, konnte Arne ihn jederzeit wieder dort abstellen. Selbst wenn Wolfi oder Kathrin auf die Idee kämen, die Polizei zu verständigen, wären sie nicht berechtigt, den Passat abschleppen zu lassen. Die Zufahrt zu ihrer Sammelgrube war keine offizielle Straße, auch kein Privatweg, der zum Grundstück der Kron-Hübschkes gehört hätte. Häuser und Sammelgruben stammten aus Zeiten der DDR, als offizielle Erschließung keine Rolle spielte. Arnes eigene Grube erreichte der Tankwagen durch den Wald, auf einem Weg, der ansonsten nur gelegentlich von Holzarbeitern benutzt wurde.
Aber es stand ohnehin fest, dass Arne die Aktion nicht wiederholen musste. Als echte Unterleutnerin wusste Kathrin, wie man Angelegenheiten regelte: Der Verlierer gab nach. Krons lästige Angewohnheit, auf verlorenem Posten zu kämpfen, hatte sie glücklicherweise nicht geerbt.
Anfangs war es ihm unangenehm gewesen, Kathrin durch seine Aktion mitzubelasten. Er wollte Wolfi erpressen, nicht sie. Aber dann, als es so einfach ging, als er den Passat schon am nächsten Tag zurück auf sein Grundstück holen konnte, weil Wolfis Rasenmäher schwieg, stellte sich ein merkwürdiges Gefühl der Genugtuung ein, das gerade durch den Gedanken an Kathrin ausgelöst wurde. Für eine Minute erlaubte sich Arne die Vorstellung, er würde den Passat am kommenden Freitag wieder an die Ecke stellen, mit einem neuen Zettel unter dem Scheibenwischer: »Heute 18h Schwätzchen am Gartenzaun.« Der nächste Zettel würde lauten: »Samstag Kaffeetrinken bei mir um drei.« Als Nächstes sollte der Passat dafür sorgen, dass Krönchen zu ihm zum Spielen kam, statt durchs Dorf zu laufen oder ständig mit dem alten Kron in den Wald zu gehen. Er konnte der Kleinen so viel beibringen, genau wie er Kathrin die Welt gezeigt hatte, als sie noch ein Mädchen war. Außerdem wurde es Zeit, dass jemand die kleine Prinzessin auf den Teppich holte.