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»Papa«, hatte Verena an dieser Stelle gerufen, »halt jetzt bitte den Mund.«

Was das im Einzelnen bedeuten sollte, konnte Gerhard noch nicht erfassen; er war noch nicht zum Nachdenken gekommen. Er wusste nur, dass er vorsichtig sein musste. Sehr vorsichtig. Gleichzeitig durfte bei Gombrowski nicht der Eindruck entstehen, dass er leichtes Spiel mit ihm habe. Psychopathen brauchten Grenzen.

»Kaum unterhält man sich mit dem alten Gombrowski, schon ist die Luft rein. Toll, was?«

Jetzt erst begriff Gerhard, was Gombrowski meinte. Die Luft roch nach Hortensien und nach einem Hauch von Jauche, den der Wind über die Felder herantrug. Gerhard sog Luft durch die Nase. Keine Spur von verbranntem Gummi. Friedlich lag der Garten im Licht der Mittagssonne. Schaller musste die Feuer mit Wasser gelöscht und die glimmenden Reste vergraben haben. Der Effekt glich einem Wunder. Gombrowski freute sich.

»Wie gefällt es Ihnen eigentlich bei uns, Fließ?«

Auf die Schnelle wusste Gerhard nichts zu sagen, aber Gombrowski rechnete auch gar nicht mit einer Antwort. Er sprach einfach weiter.

»Ist ja eine Seltenheit, dass wir mal miteinander reden. Sie sind nicht der Typ, der schnell rumkommt auf einen Kaffee, was? Sie schicken lieber Briefe. In denen steht dann, was Ihnen alles nicht passt. Was wir anders machen sollen, jetzt, wo Sie da sind.«

Mit leichtem Kopfschütteln blickte Gombrowski zum Graben hinüber, musterte den Erdwall, auf dem Gras und Robiniensprösslinge wuchsen.

»Den Wiederaufbau der Mauer haben Sie auch gleich in Angriff genommen. Was man im Kopf hat, soll auch im Garten stehen, wie?«

»Ich verbitte mir …«, begann Gerhard.

Gombrowski winkte ab.

»Die Transparente vor meinem Haus waren nicht von Ihnen. Darin erkenne ich meinen Freund Kron. Aber die niedlichen Windrädchen – doch nicht etwa Ihre Frau?«

Auf einmal hatte Jule nicht mehr mitmachen wollen. Ich weiß nicht, hatte sie gesagt, mach du mal selbst. Er hatte sich eine Bastelanleitung aus dem Internet heruntergeladen und selbst mit Papier und Schere hantiert. Das Schweigen deutete Gombrowski richtig.

»Frauen sind einfach klüger«, sagte er.

»Wenn Sie glauben, Sie könnten mir politische Meinungsäußerungen verbieten …«

Gerhard verstummte, weil er feststellen musste, dass er den Satz begonnen hatte, ohne das Ende zu kennen. Verlegenheit wärmte ihm Stirn und Handflächen. Mit seinem aufbrausenden Tonfall klang er wie ein Schuljunge. Dabei war Gombrowski nicht älter als er, und schon gar nicht intelligenter. Er war einfach nur dicker, reicher, brutaler und länger in Unterleuten.

»Äußern Sie sich nur«, sagte Gombrowski. »Das ist völlig legitim. Überdenken Sie vielleicht bei Gelegenheit die Wahl Ihrer Verbündeten. Hinter der Sache mit Kron steckt eine jahrzehntelange Geschichte. Das ist nichts, was Sie verstehen können.«

»Versuchen Sie nicht, den Konflikt zu privatisieren!« Das klang schon besser, souverän und ein wenig von oben herab. »Es geht darum, dass Sie die Lebensqualität im Dorf zerstören. Nicht aus Not, sondern zu Ihrem persönlichen Vorteil.«

Gombrowskis monströser Hund war um die Ecke verschwunden und kehrte mit einem beindicken Ast zurück, den er aus dem Stapel Feuerholz gezogen haben musste. Im Schatten einer Robinie begann das Vieh genüsslich, seine Beute zu verzehren.

»Der Widerstand richtet sich nicht nur gegen Windkraftanlagen in Unterleuten«, fuhr Gerhard fort, »sondern gegen ein Grundübel des Kapitalismus: Der Einzelne bereichert sich auf Kosten der Gemeinschaft.«

Jetzt gehörte die Bühne ihm. Gombrowski lehnte an der Hauswand, sah zu Boden und hatte beide Hände in den Hosentaschen. Wenn ein Auto vorbeifuhr und kurz hupte, sah er auf und hob zwei Finger zum Gruß.

»Leute wie Sie sehen nur ihren eigenen Nutzen, und das System gibt ihnen recht. Wir leben in einer Welt, in der Ärzte das Gesundheitswesen zerstören. Universitäten zerstören das Wissen, Regierungen die Freiheit und Banken die Wirtschaft. Und Bauern die Natur. Aber die Menschen werden sich diese Ungerechtigkeit nicht länger gefallen lassen.« Krachend biss Gombrowskis Hund in den Ast. »Der Kampf hat begonnen.«

Auf Gerhards Schlusssatz folgte Schweigen. An der Grundstücksgrenze regte sich etwas. Ein silbernes Kätzchen durchquerte den Graben, setzte tastend eine Pfote vor die andere, als könnte es sich nicht auf die Tragfähigkeit des Bodens verlassen. Als das Kätzchen den Hund entdeckte, machte es kehrt und verschwand in Bocksprüngen zwischen den Schrotthaufen auf Schallers Grundstück.

»Jemineh«, sagte Gombrowski schließlich. »Sie klingen wie Kron. Dabei kommen Sie aus dem Westen. Wahrscheinlich wissen Sie gar nicht, was für einen Schwachsinn Sie da reden.«

»Mit Kron habe ich nichts gemeinsam.«

»Außer dass Sie glauben, ihn im Kampf gegen mich unterstützen zu müssen.«

»In der Politik streiten Menschen aus unterschiedlichen Gründen für dieselbe Sache.«

»Gute Antwort«, sagte Gombrowski. »Richtige Antwort. Es ist Ihr Recht, das so zu sehen. Ich habe nichts gegen Auseinandersetzungen. Jeder folgt seinem eigenen Interesse. Man streitet, aber man respektiert sich. Bin da vielleicht etwas altmodisch.«

»Nein«, sagte Gerhard, »das ist schon …«

»So habe ich es immer gehalten. Fairer Kampf und fairer Sieg.«

»Nur dass Sie dieses Mal nicht siegen werden.«

Gombrowski kniff die Augen zusammen und sah an Gerhard vorbei, als beobachtete er etwas, das sich am Horizont bewegte.

»Ich versuche, Ihnen zu erklären, dass Sie die hiesigen Verhältnisse nicht kennen.«

»In manchen Punkten vielleicht besser als Sie.«

»Sie mischen sich in Angelegenheiten, die Sie nichts angehen.«

»Sie meinen: in Ihre Angelegenheiten.«

»Möglicherweise meine ich das.«

Jetzt richtete Gombrowski den Blick direkt auf Gerhard, die Augen weiterhin zusammengekniffen.

»Sie wollen hier leben, Fließ. Friedlich leben. Wissen Sie, was die Übersetzung von ›friedlich‹ ist? Man lässt sich gegenseitig in Ruhe.«

»Dann sollten Sie Ihre eigene Regel beherzigen und uns mit Ihren Windmühlen in Ruhe lassen.«

»Ich baue gern, Sie verbieten gern. Da werden wir niemals beste Freunde, was?«

»Schauen Sie mal da rüber.« Mit langem Arm zeigte Gerhard die Unterleutner Landstraße entlang, die sich in sanftem Schwung die Anhöhe Richtung Wald hinaufzog. Da die Luftfeuchtigkeit an diesem Tag etwas höher war, wirkte der Waldrand zum Greifen nah. »Das ist die Schiefe Kappe. Die Bäume sind etwa 10 Meter hoch. Die Nabenhöhe einer Windkraftanlage beträgt 120 Meter. Dazu kommen Rotorblätter von 40 Metern Länge. Können Sie sich das vorstellen?«

Gombrowski schaute in eine andere Richtung. Sein Hund hatte die Überreste des Astes großflächig über den Rasen verteilt und entfernte sich, um zwischen die Himbeersträucher zu scheißen.

»Ersparen Sie sich den Ärger«, sagte Gombrowski. »Die Windräder kommen so oder so.«

Er zog ein Stofftaschentuch von der Größe eines Handtuchs aus der Tasche und trocknete sich sorgfältig das Gesicht.

»Wir sind hier gleich fertig, Fließ. Bitte merken Sie sich, dass ich Sie gewarnt habe. Ich bin ein ruhiger Typ, mir macht der Mist keinen Spaß. Aber jeder entscheidet selbst, in welcher Gangart er fährt.«

»Ihre lächerlichen Drohungen beeindrucken mich nicht«, sagte Gerhard, was nicht ganz der Wahrheit entsprach.

Gombrowski winkte ab und brachte ein Lächeln zustande, das beinahe freundlich aussah.