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»Kennen Sie Linda Franzen?«

»Selbstverständlich. Frau Franzen ist auf unserer Seite.«

»Neulich erzählte mir Frau Franzen von den Problemen mit dem Bau ihres Reitstalls. Anscheinend mögen Vögel keine Koppelzäune.«

»Frau Franzen und ich haben die Unstimmigkeiten aus der Welt geschafft.«

»Das glauben Sie.«

Gombrowski lachte, aber nicht übertrieben und aufbrausend, sondern wie ein normaler Mensch, der sich über etwas Nebensächliches amüsiert. Alles Drohende war einer netten Plauderei gewichen.

»Frau Franzen besitzt einen teuren Deckhengst, wussten Sie das? Von der Idee, in Unterleuten Pferde zu züchten, ist sie geradezu besessen.«

Langsam begann Gerhard zu ahnen, worauf Gombrowskis Erfolg beruhte. Er war nicht nur dick, reich, brutal und schon ewig in Unterleuten. Er war auch schlau. Bei dem fetten Hundekörper handelte es sich um Tarnung. Dahinter verbarg sich eine Fähigkeit zu blitzschnellen Manövern. Mit wenigen Sätzen hatte er einen Zustand der Ablenkung erzeugt, der immer neue Ablenkungen hervorbrachte, und als Gerhard das erkannte und sich erschrocken aufs Wesentliche zu konzentrieren versuchte, hörte er sich plötzlich eine Frage stellen, auf die es Gombrowski vermutlich ankam, weil sie ihm die Möglichkeit gab, noch ein wenig länger in der gewählten Tonart zu spielen. Eine schwindelerregende Sekunde lang dachte Gerhard, dass er gegen einen solchen Mann nur verlieren konnte.

»Was zum Teufel«, fragte Gerhard, »haben Sie mit der Pferdezucht von Linda Franzen zu tun?«

Gombrowski unterdrückte ein Rülpsen.

»Ich mag Menschen, die etwas auf die Beine stellen. Außerdem ist es gut für die Region. Leute wie Franzen sorgen dafür, dass hier in fünfzig Jahren noch irgendetwas ist. Ich möchte ihr helfen.«

Als Gerhard begriff, wohin Gombrowskis Geschichte steuerte, riss etwas in ihm, wahrscheinlich das, was man gemeinhin den Geduldsfaden nannte. Gombrowskis arrogante Durchtriebenheit, sein ebenso unverhohlener wie felsenfester Glaube daran, jemandem wie Gerhard in allen Punkten überlegen zu sein, trieb ihm den Blutdruck hoch. Er brauchte einen Triumph. Dringend. Der Wunsch, Gombrowski einen Schuss vor den Bug zu setzen, war stärker als der Vorsatz, sich nicht in die Karten schauen zu lassen.

»Nein«, sagte Gerhard und wiederholte die Silbe gleich mehrere Male, »nein, nein, nein. So läuft das nicht. Linda Franzen wird nicht an Sie verkaufen. Haben Sie verstanden, Gombrowski? Sie bekommen das Land nicht. Franzen verkauft nicht an Sie. Fertig, aus.«

Gombrowskis Gesicht blieb ausdruckslos. Er glotzte. Völlig unmöglich zu erraten, was hinter der Hundevisage vor sich ging. Vielleicht überlegte er, ob der Weizen noch zehn oder besser zwölf Tage auf den Feldern blieb. Oder er dachte an Fleischknochen. Angesichts dieser Demonstration schierer Gleichgültigkeit wollte sich kein Triumphgefühl einstellen.

»Schminken Sie sich Ihre Windräder ab«, fügte Gerhard hinzu.

Traurig hob Gombrowski die leeren Hände.

»Eine Baugenehmigung für die fleißige Frau Franzen kriege ich so oder so«, sagte er. »Wenn Ihr Vogelbrüder Ärger macht, kann das die Sache bestenfalls um ein paar Wochen verzögern. Ich bin nicht hier, um zu bitten. Ich will Ihnen einen Rat geben. Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit Kriegsspielen. Genießen Sie lieber die frische Luft in Ihrem Garten.«

»Verschwinden Sie«, schrie Gerhard. »Hauen Sie ab!«

Kopfschüttelnd wie ein Lehrer, der von seinem Lieblingsschüler enttäuscht wird, wandte Gombrowski sich ab und pfiff nach dem Hund. Gemeinsam verließen sie Gerhards Garten. Gingen am Zaun entlang, schauten nicht zurück und würdigten Schallers verdreckten Hof keines Blickes. Als ein Auto vorbeifuhr und hupte, hob Gombrowski zwei Finger zum Gruß.

32 Schaller

Der Tag hatte gut angefangen. Schaller war dabei, sein Frühstück im Hof einzunehmen – schwarzer Kaffee und Würstchen aus dem Glas –, als das Telefon klingelte. Er hörte zu, sagte nichts, legte auf und ging mit dem Gartenschlauch zur Grundstücksgrenze, um die Feuer zu löschen.

Danach begann er in aller Ruhe, einem VW-Bus den kaputten Katalysator rauszuschlagen. Von außen würde der Eingriff nicht zu sehen sein, und in einer freien Werkstatt schaffte der Wagen die Abgasuntersuchung auch ohne Kat. Die eingesparten Kosten des Ersatzteils konnte Schaller zur Hälfte für sich verbuchen. Das nannte er ein Geschäft.

Um elf setzte er sich zum zweiten Frühstück auf die Bank, trank einen weiteren Kaffee und löffelte Pressfleisch aus der Dose. So liebte er die Arbeit: ohne Hektik, ganz für sich, nur er und die Autos und der Geruch von Schmieröl. Wenn die Arbeit stimmte, dann stimmte das ganze Leben.

Gegen halb eins klingelte das Handy erneut. Schaller hörte zu, sagte »geht klar« und ging in die Scheune, um einen vollen Benzinkanister zu holen. Er trug Autoreifen zur Grundstücksgrenze, legte jeweils einen auf die Feuerstellen und goss einen ordentlichen Schwung Benzin darüber. Wenige Minuten später zog der giftige Qualm wieder zu den Vogelschützern hinüber.

»Dein Zeug wird dann gebracht«, hatte Gombrowski am Telefon gesagt. Natürlich wusste Schaller, was Gombrowski vermochte und dass er hundertprozentig zu seinem Wort stand. Trotzdem war er überrascht, als bereits zwei Stunden später ein Pritschenwagen vor dem Tor hielt und hupte. Damit stand fest, dass dieser Dienstag, 20. Juli 2010, nicht nur gut, sondern hervorragend werden würde.

Am Steuer saß der magere Rothaarige und schaute starr geradeaus, während Schaller das Tor mit übertriebener Verbeugung öffnete und dem einfahrenden Pritschenwagen salutierte. Ein Blick genügte, um zu wissen, dass sie dieses Mal tatsächlich seine entführte Freundin dabeihatten, die er so schmerzlich vermisste. Als der Rothaarige die Seitenwände herunterklappte, sah Schaller die kräftigen, rot lackierten Hubsäulen auf der Ladefläche liegen. Daneben vier Tragarme, die sie bald wieder nach ihm ausstrecken würde. Da waren die Rohre der mechanischen Gleichlaufüberwachung. Dicke Kabelstränge sowie der einfache Bedienkasten mit einem Drehschalter für »an« und Knöpfen für »hoch« und »runter«. Es war, als käme sein altes Leben zu ihm zurück, gebraucht und in Einzelteilen, aber voll funktionsfähig und zum Wiederaufbau bereit.

»Gabelstapler?«, fragte der Rothaarige.

»Träum weiter, Arschloch«, erwiderte Schaller.

Der Rothaarige bellte seinen quadratköpfigen Kumpel an, bis dieser widerwillig aus der Fahrerkabine kletterte. Schaller machte ein Bier auf, telefonierte kurz mit Miriam, die er um einen Gefallen bitten wollte, und sah feierlich zu, wie die beiden sich mit dem Ausladen mühten. Wie sie fluchten und stöhnten, wie ihre Hemden dunkle und die Gesichter rote Flecken bekamen. Erst bei den Hubsäulen fasste er mit an, um die Beine seiner Freundin vor einem Sturz in den Hof zu schützen. Als der letzte Karton mit Schrauben auf dem rissigen Beton stand, saß der Quadratschädel schon wieder auf dem Beifahrersitz. Auch der Rothaarige strebte der Fahrerkabine zu.

»Hiergeblieben«, sagte Schaller. »Aufbauen.«

Eine gute Stunde später gelang es ihnen, die erste Hubsäule im Inneren der Scheune mithilfe von Zugseilen aufzurichten. Sie waren gerade dabei, den Fuß am Boden zu fixieren, als auf der Unterleutner Landstraße das vertraute Röhren des MG erklang. Schaller ging hinaus, als der Wagen in den Hof einbog. Miriam band das Tuch los, das ihre Haare gegen den Fahrtwind schützte. Sie trug eine Sonnenbrille, etwas Lippenstift und eine Bluse, in der sie so erwachsen aussah, dass Schaller eine Faust im Magen spürte. Das war nicht seine kleine Tochter, sondern eine fremde junge Frau, eine von der Sorte, die Schaller Angst machte, weil sie so schön war, dass es keine Stelle an ihrem Körper gab, die man ansehen durfte.

Aber dann kam Miriam mit ihren schlenkernden, irgendwie jungenhaften Schritten auf ihn zu, ignorierte den Ellbogen, den er ihr entgegenstreckte, und griff seine ölverschmierte Hand. Plötzlich stellte es kein Problem mehr dar, sie in den Arm zu nehmen und ihr einen Kuss auf den Scheitel zu drücken. Dabei blickte er über Miriams Kopf hinweg so finster in Richtung Scheune, dass keiner der beiden Männer, die im Türrahmen lehnten, einen Pfiff von sich zu geben wagte.