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Seit Gombrowski das Hilde-Ding in die Küche geschoben hatte, konnte Elena nicht aufhören, es anzustarren. Dieses winzige Häufchen Elend mit schlecht gefärbtem Haar hatte absolut nichts mit dem blonden Lächelmädchen zu tun, das einst über die Flure der »Guten Hoffnung« getrippelt war. Hildes hübsches Gesicht hatte sich Elena immer vor Augen gerufen, wenn sie ihren Kopf mit beiden Armen gegen Gombrowskis Fäuste schützte. Durch den Gedanken an Hilde hatte sie versucht, die zärtliche Seite ihres Mannes wachzurufen.

Hilde musste geschrumpft sein. Groß war sie nie gewesen, aber an diesem Tisch wirkte sie klein wie ein Äffchen. Die faltige Haut trug dazu bei, ihr Mienenspiel ins Groteske zu steigern. Ein klaffender Mund, zusammengekniffene Augen und geballte Fäustchen vereinten sich zu einer Grimasse der Verzweiflung. Die Halogenstrahler in der Küche waren unbarmherzig; Elena verstand nicht, wie man ein Rhesusaffengesicht so stark schminken konnte. Überschüssiges Make-up sammelte sich an den Rändern des Gesichts zu dunklen Streifen. Rote Farbe war in die Lippenfurchen gesickert und ließ den Mund ausfransen. Unbeholfene Striche auf der Stirn konnten die fehlenden Augenbrauen nicht ersetzen. Nach Elenas Meinung hatte eine Frau in der ersten Lebenshälfte das Schminken nicht nötig, während es in der zweiten nicht mehr half.

Für einen Augenblick fühlte sie sich glücklich darüber, dass ihre Rivalin so wenig hermachte. Gleich darauf aber beschlich sie Bestürzung angesichts der Frage, wie abstoßend sie selbst sein musste, wenn Gombrowski ihr diesen Kobold vorzog.

Vor allem aber war der Schönheitswettbewerb der Greisinnen, den sie im Kopf veranstaltete, ziemlich lächerlich. Um sich abzulenken, stellte sie sich an den Herd und kochte Tee, den niemand trinken würde. Hinter der geschlossenen Wohnzimmertür auf der anderen Seite des Flurs winselte Fidi wie am Tag des Jüngsten Gerichts.

»Durchs Küchenfenster?«

Gombrowski wirkte neben Hilde wie ein Riese. Halslos saß er am Tisch, geduckt unter der eigenen Körpermasse, beide Ellenbogen aufgestützt.

»Sie hat das schon öfter gemacht.« Hilde schniefte. »Sie klettert am Rosengitter hoch und klopft an die Scheibe.« Noch ein Schniefen. Hilde machte keine Anstalten, sich die Nase zu putzen. »Wegen der Hitze heute stand das Fenster offen. Ich habe nicht mitgekriegt, dass sie rein ist.«

Als Hilde zum dritten Mal die Nase hochzog, verspürte Elena Lust, sie mit dem Teekessel zu schlagen. Stattdessen reichte sie ihr ein Stück Küchenpapier. Hilde nahm es, ohne aufzusehen. Im Wohnzimmer steigerte sich Fidis Winseln zu langgezogenen Tönen. Die dicken Pfoten kratzten auf den Dielen, als versuchte der Hund, sich einen Tunnel unter der Tür durchzugraben.

»Ruhe!«, brüllte Gombrowski.

Es war kaum zehn Minuten her, dass sie vom Klingeln des Telefons erwacht waren. Gombrowski hatte sich aus dem Bett gewälzt und einsilbige Antworten ins Handy gebellt. Ach. Quatsch. Gut. Tschüs. Danach war er ohne ein Wort der Erklärung in seine Hose gestiegen, hatte Fidi ins Wohnzimmer gesperrt und das Haus verlassen, um gleich darauf mit der verheulten Hilde Kessler zurückzukehren.

Es war normal, dass Gombrowski seine Entscheidungen allein fällte. Elena wurde niemals nach ihrer Meinung gefragt. Aber dass er Hilde außerhalb der verabredeten Zeiten ins Haus brachte, so dass Elena mitten in der Nacht auf eine Frau treffen musste, der sie seit zwanzig Jahren nach allen Regeln der Kunst aus dem Weg ging – das war ein starkes Stück. Es stellte einen Verstoß gegen die wichtigste Regel ihres Zusammenlebens dar. Elena verstand nicht, warum Gombrowski das tat. Für gewöhnlich hielt er sich an die häuslichen Gesetze. Er kam pünktlich zum Essen, putzte Fidis Dreck weg, ließ keine Bierflaschen herumstehen und verschwand im Arbeitszimmer, sobald Elena einen Satz mit »Ich muss jetzt mal …« begann. Das Gespräch mit Hilde in dieser Nacht hätte er genauso gut im Nachbarhaus führen können. Es gab keinen zwingenden Grund für den Tabubruch.

Darüber dachte Elena nach, als sie bemerkte, wie die beiden sich ansahen. Sie verständigten sich durch Blicke wie über eine Funkverbindung von Kopf zu Kopf. Da begriff sie: Hilde war nicht hier, um Gombrowski zu erzählen, was vorgefallen war. Sie war hier, damit Elena es hörte.

»Du willst sagen, dass du die ganze Zeit nicht wusstest, dass sie im Haus war?«

»Sie muss sich versteckt haben. Alles war wie immer. Ich habe mir eine Suppe gemacht, Kartoffel-Lauch-Creme aus der Dose, und sie mit vor den Fernseher genommen. Das war um acht, es liefen die Nachrichten.«

Elena schauderte bei der Vorstellung, wie die hässliche kleine Frau jeden Abend vor dem Fernseher eine Dosensuppe aß, umgeben von zwanzig Katzen. Dann fiel ihr ein, wie ihr eigener Mann mit einer Schüssel Erdnüsse vor dem Fernseher kauerte, neben sich Fidi, die ihm den Kopf auf die Füße legte. Unmöglich zu entscheiden, welches der beiden Bilder schlimmer war. Vielleicht war am grauenvollsten, dass sie zusammengehörten. Zwei Einsamkeiten mit Tier, jeden Abend, in benachbarten Häusern.

Fröstelnd wickelte sich Elena fester in den verblichenen roten Umhang, dem sie seit vier Jahrzehnten die Treue hielt, einem Überlebenden aus besseren Zeiten. Gombrowski hatte noch als Betriebsleiterpraktikant in einer Milchwirtschaft in Mecklenburg gearbeitet, als er eines Nachts unter Elenas Fenster gestanden und kleine Steine an die Scheibe geworfen hatte. Ein Bekannter seines Vaters hatte sich in Berlin mit einem Verwandten aus dem Westen getroffen und von diesem etwas erhalten, das durch eine Menge Hände gegangen war, bevor es die staunende Elena entgegennehmen durfte, während der junge Gombrowski vor Stolz strahlte. Die leuchtend rote Seide schien nicht von dieser Welt zu stammen. Auf der Haut war sie zugleich fühlbar und doch wieder nicht, eher ein Zustand als ein Stoff. Selbst wenn die Seide noch den letzten Rest ihrer roten Farbe verlöre und jede einzelne Naht zum dritten Mal nachgebessert wäre, würde Elena nicht aufhören, den Umhang zu tragen, bis zu dem Tag, an dem sie überhaupt keine Kleidungsstücke mehr bräuchte.

Sie erschrak, als sie bemerkte, dass sie sinnlos im Raum stand, wie ein Küchenroboter, dem der Stecker gezogen worden war. Sie hatte den Tee auf den Tisch gestellt und fand keine weitere Beschäftigung; gleichzeitig war es völlig undenkbar, sich zwischen Hilde und Gombrowski zu setzen. Offensichtlich bemerkte Hilde ihre Verwirrung, sie hielt den Blick direkt auf sie gerichtet. Die überraschend hellblauen Augen im bemalten Äffchengesicht waren das Einzige, was Elena wiedererkannte. Zu diesen Augen gehörten die Faltenröcke, die Hilde damals getragen hatte, die engen kurzärmeligen Wollpullover, deren bloßer Anblick im Sommer Juckreiz auslöste, und ein blonder, am Hinterkopf zur Schnecke gedrehter Zopf. Vielleicht lag darin der wahre Grund für Hildes Weigerung, das Haus zu verlassen: Nicht in der Angst davor, ein schwerer Gegenstand könne aus heiterem Himmel herabstürzen, sondern in der Scham darüber, zu einem Rhesusäffchen mit Hilde-Augen geworden zu sein. Vielleicht versteckte sie sich nicht vor dem offenen Himmel, sondern vor den Blicken der Welt.

Die Tatsache, dass niemand sprach, solange Elena unschlüssig im Raum stand, bewies endgültig, dass die Szene nur für sie stattfand. Also schön, dachte Elena. Sie trat zwei Schritte zurück und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Spüle. Hilde musste sich auf dem Stuhl umwenden, um sie weiter ansehen zu können.

»Elena«, sagte Hilde flehentlich. »Du weißt, dass es für eine Frau und Mutter völlig unmöglich ist, einem kleinen Mädchen etwas zuleide zu tun.«

Wie lang du wohl gebraucht hast, um dir diesen Satz zurechtzulegen, dachte Elena.

»Erzähl uns, wie es weiterging«, sagte Gombrowski.