Gombrowskis Stiefel näherten sich im Laufschritt. Die Hundegrimasse verschwand und wurde durch eine andere ersetzt. Halb in der Hocke beugte er sich über sie.
»Frau Franzen! Was ist passiert?«
»Mein Knöchel. Scheiße, tut das weh.«
Obwohl er sie vorsichtig unter den Achseln fasste, hatte Linda das Gefühl, von einem Flaschenzug in die Höhe gerissen zu werden.
»Können Sie auftreten?«
Mit beiden Händen klammerte sie sich an seinen Arm. Sein Gestank war ein Angriff; noch nie hatte sie einen solchen Schweißgeruch wahrgenommen. Wut, Angst und Hass ergaben in der Mischung einen spezifischen Geruch männlicher Gewalt. Das Würgen gelang ohne jede Schauspielkunst.
»Ich wohne da drüben.«
»Ich weiß, wo Sie wohnen.«
Er packte sie unter den Achseln, Linda humpelte ein paar Schritte, ohne den rechten Fuß zu benutzen, und hielt gleich wieder an, als ob sie sich ausruhen müsste. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich Kron am Boden regte. Alle paar Meter legte sie eine weitere Pause ein und sorgte dafür, dass sie für den kurzen Stichweg mehrere Minuten brauchten. Gombrowski schaute nicht zurück, er sagte »Geht’s?«, und »Kommen Sie« und »Wenn’s so wehtut, ist es nur verstaucht«. Halb erwartete Linda, er würde in die Knie gehen und ihr auf den Knöchel pusten. Seine Unterlippe hing herab, die Augen blickten mitleidig. Er wirkte wie ein besorgter Vater. Nur sein Geruch erzählte von Mordlust.
Auf der Treppe zu Objekt 108 trug er sie mehr, als dass er sie stützte. Oben angekommen, drehte Linda sich um. Die Stelle unter der Laterne war leer. Gombrowski folgte ihrem Blick.
»Gehen Sie nach Hause.« Linda klopfte ihm auf die Schulter.
»Soll ich Sie ins Krankenhaus fahren?«
»Nicht nötig. Alles bestens.«
Den kurzen Weg zur Eingangstür bewältigte sie ohne das leiseste Hinken. Während sie die Tür öffnete und den Wintergarten betrat, stand Gombrowski reglos mit schweren Armen und sah ihr nach.
Teil V
Kommunizierende Röhren
Man dreht ein wenig, und alles sieht anders aus.
Lucy Finkbeiner
43 Schaller
Um das Geräusch eines 3,5-Liter-V8-Motors zu erkennen, musste Schaller keine geistige Anstrengung unternehmen, das erledigte sein Unterbewusstsein. Obwohl sein Herz heftig zu schlagen begann, zwang er sich, den Blick nicht von der Bremsanlage des VW Caddy abzuwenden, den die Hebebühne über seinen Kopf gestemmt hielt. Normalerweise kam Miriam an Montagnachmittagen nicht vorbei. Montags, mittwochs und freitags folgte sie ihren verschiedenen Aktivitäten, bei denen Schaller keinen Überblick gewann – Mädchenfußball, Saxophonstunde, Russischkurs. Wenn er nachzufragen versuchte, erntete er Augenrollen: »Papa, ich geh doch schon lange nicht mehr zum Fußball«; »Das Saxophon habe ich doch letztes Jahr gegen die Gitarre eingetauscht«. Er hatte es aufgegeben, das Leben seiner Tochter verstehen zu wollen, und beschränkte sich darauf, die Wochentage zu kennen, an denen mit ihrem Besuch zu rechnen war. Montag gehörte definitiv nicht dazu.
Grundsätzlich konnte ein Überraschungsbesuch nichts Gutes bedeuten. Schaller liebte seine Tochter, sie war ein Engel, aber eben auch eine Frau, und im Leben einer Frau war alles Politik. Darauf musste man sich einstellen. Die erste Regel lautete: in Deckung bleiben, solange es ging. Die zweite: den eigenen Standpunkt kennen. Schaller war vorbereitet. Was er ihr zu sagen hatte, stand fest. Vorher musste er nur herausfinden, ob sie noch wütend auf ihn war. Während der V8 hinter der Mauer im Standgas brodelte und schließlich verstummte, fuhr er fort, die Innereien des Caddy zu inspizieren, als hätte er nichts gehört.
Es gab viele Marder in der Region, und jeden Einzelnen betrachtete Schaller als persönlichen Assistenten. Zeitweise erwirtschaftete er die Hälfte seines Umsatzes mit Marderschäden – oder mit dem, was die Leute dafür hielten. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, der süßliche Geruch von Bremsflüssigkeit locke die Tiere an. Dabei war Schaller, soweit er sich erinnern konnte, noch nie ein Fall untergekommen, in dem ein Marder eine Bremsanlage beschädigt hatte. Die aggressiven Tiere kämpften unter Motorhauben gegen imaginäre Konkurrenten. Kühl- und Scheibenwaschanlagen gingen dabei regelmäßig zu Bruch, aber die Bremsschläuche waren bei normalen Fahrzeugen vom Motorraum aus schlecht zugänglich. Manchmal fragte sich Schaller, ob der Irrtum einfach zu nützlich war, um aufgeklärt zu werden.
Verena, die sich am Streik gegen die Ökologica beteiligte, war am Morgen mit ihrem Caddy zum Einkaufen gefahren und dabei kurz vor der scharfen Kurve im Wald mit dem rechten Fuß ins Leere getreten. Geistesgegenwärtig hatte sie nach der Handbremse gegriffen, den Caddy zum Stehen gebracht und Schaller angerufen.
»Marderschaden«, hatte sie gesagt. »Hört man ständig in letzter Zeit.«
Schaller war kein Zoologe, und Verena wollte eine Reparatur, kein Ermittlungsprotokoll. Es ging ihn nichts an, ob ein Marder oder ein Mensch an ihrem Auto herumgefummelt hatte. Außer den Schläuchen würde er auch noch Bremsscheiben und -klötze erneuern und eine ordentliche Rechnung stellen.
»Lässt du mich mal rein, du Schnarchsack?«
Miriams Kopf schwebte über dem Tor, was bedeutete, dass sie entweder seit letztem Donnerstag um einen Meter gewachsen war oder auf der Türklinke stand. Der Anblick ließ Schaller mit dem ganzen Körper lächeln; jede Nervosität verflog. Ob Miriam wütend war und was sie ihm zu sagen hatte, spielte keine Rolle. Solange sie am Tor hinaufkletterte, um ihn Schnarchsack zu nennen, befand sich das Universum im Gleichgewicht. Schaller wischte sich die Hände an der Hose ab und setzte sich in Bewegung.
»Mach hinne!«, rief Miriam, bevor ihr Kopf verschwand.
Kaum hatte er den Riegel gelöst, drückte Miriam das Tor auf und lief an ihm vorbei. In der Mitte des Hofs blieb sie stehen und stemmte die Hände in die Seiten.
»Was zum Teufel ist hier los?«
Keine leichte Frage. Schaller entschied sich für eine simple Antwort.
»Marderschaden«, sagte er.
Eigentlich hatte sie allen Grund, mit ihm und dem Hof zufrieden zu sein. Er hatte aufgeräumt. Müll entsorgt, Werkzeug in die Scheune geräumt, Material und Ersatzteile ordentlich an den Wänden gestapelt. Sogar den Betonboden hatte er gefegt. Am wichtigsten aber war, dass es die Feuerstellen nicht mehr gab. Er hatte nicht nur die Flammen gelöscht, sondern auch die Asche beseitigt und die gestampfte Erde entlang der Grundstücksgrenze mit der Harke bearbeitet. Seitdem atmete man im Hof wie in einem Luftkurort. Aber Miriam schien die Veränderung gar nicht zu bemerken.
»Was in Unterleuten los ist, will ich wissen.«
»Wer sagt, dass was los ist?«
»Ich bin heute zu Frau Kamp nach Beutel gefahren«, verkündete sie. »Obwohl ich erst nächste Woche dran gewesen wäre.« Wie zum Beweis streckte sie ihm die Hände hin. Die Fingernägel glänzten silbrig, auf jedem einzelnen klebte ein kleines Yin-und-Yang-Zeichen. »Wahrscheinlich kannst du dir denken, warum ich dort war.«
Während Schaller schwieg, dämmerte ihm, dass es in Berlin vermutlich keine Knappheit an Nagelstudios gab. Es musste einen anderen Grund geben, warum Miriam ständig den Weg nach Beutel auf sich nahm.
»Genau.« Wieder einmal schien Miriam zu wissen, was er dachte. »Frau Kamp betreibt einen Nachrichtendienst. Die Fingernägel sind nur Tarnung.«
Als Schaller verstand, dass sie einen Witz gemacht hatte, war es zu spät zum Lachen.
»Sie nennt es Kriegszustand.«
»Was?«
»Die Lage in Unterleuten.«
Das Gespräch wurde unangenehm. Schaller fragte sich, wann und wie er den Rundgang durch sein neues Leben beginnen sollte. Er wollte Miriam den gesäuberten Hof vorführen, dazu das Video vom nächtlichen Einbruch des Vogelschützers, und erklären, dass er sich in Zukunft aus allen Dorfangelegenheiten heraushalten würde, ganz gleich, wessen Interessen auf dem Spiel standen.