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Weil Miriam offensichtlich eine Erwiderung erwartete, obwohl sie keine Frage gestellt hatte, sagte er jenen Satz, der Fluch wie Gnade seines Lebens war:

»Davon weiß ich nichts.«

»Fangen wir von vorn an. Woher hast du die Hebebühne?«

»Die gehört mir.«

»Ich weiß, dass sie dir gehört. Aber man hat sie dir gestohlen, während du im Krankenhaus lagst, erinnerst du dich? Wer hat dir geholfen, sie wiederzubekommen?«

Er kannte die Antwort, sie kannte die Antwort, und diese Antwort passte nicht zu dem, was er ihr eigentlich sagen wollte. Sie führte in die entgegengesetzte Richtung.

»Sag schon.«

»Gombrowski«, sagte Schaller.

»Und was wollte er dafür?«

»Nichts.«

»Papa!«

»Also gut«, sagte Schaller. »Er wollte den Aschezauber für die Vogelschützer. Aber …«

»Das deckt sich mit den Vermutungen von Frau Kamp«, sagte Miriam.

»Die Feuer habe ich aber nicht für Gombrowski gemacht«, sagte Schaller laut. »Ich habe sie nur für ihn ausgemacht. Gombrowski wollte eine Unterbrechung. Mehr nicht.«

»Wozu wollte er das?«

»Keine Ahnung. Die Vogelschützer können ganz schön nerven. Ich kann dir ein Video zeigen, wo …«

»Frau Kamp sagt, er übt Druck auf diesen Fließ aus, weil Gombrowski für die Pferdefrau eine Baugenehmigung braucht, die Fließ verhindern will.«

»Dann ist ja alles klar«, sagte Schaller. »Willst du ein Bier?«

»Frau Kamp sagt, da gibt es einen Kron, der das halbe Dorf aufgehetzt hat. Die bestreiken sogar die Firma von Gombrowski.«

Schaller warf Verenas Caddy einen Blick zu und schwieg.

»Hast du nicht mitgekriegt, was am Wochenende abgegangen ist? Gombrowski hat die kleine Enkelin von Kron entführt. Daraufhin haben Kron und noch ein paar andere bei Gombrowski die Fensterscheiben eingeschmissen. Noch in derselben Nacht hat sich Gombrowski diesen Kron geschnappt und ihn verprügelt.«

»Ich hole mir jetzt ein Bier.«

»Hiergeblieben!«

Wenn Miriam in diesem Tonfall mit ihm sprach, hatte Schaller das Gefühl, sich in einen Hund zu verwandeln. Die Wirbelsäule krümmte sich, die Schultern fielen herab, und er meinte zu spüren, wie sich seine Ohren flach an den Kopf legten.

»Eins versteht Frau Kamp nicht.« Miriam ließ den Blick zum Grundstück der Vogelschützer schweifen, als müssten dort alle Erklärungen verborgen liegen. »Anscheinend hat die Pferdefrau diesen Kron gerettet, als Gombrowski ihn zusammenschlagen wollte. Aber warum? Sie müsste doch eigentlich auf Gombrowskis Seite stehen.«

Schaller wollte das Gespräch beenden. Eine Frage zu diskutieren, die Gombrowski betraf, bereitete ihm körperliches Unbehagen, das sich zunehmend wie Magen-Darm-Grippe anfühlte. Aber Miriam saß am längeren Hebel. Wenn eine Tochter erwachsen wurde, bedeutete das wohl, dass sie immer leichter ohne den Vater leben konnte und er immer schlechter ohne sie.

»Frau Kamp meint, dass Gombrowski und die Pferdefrau die Prügelei wahrscheinlich getrickst haben. So schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe – Kron bekommt seine Abreibung, und nach außen sieht es aus, als würden sie gegeneinanderarbeiten.«

Die Sonne erreichte den Hof; es musste gegen sieben sein. Schaller hatte noch nicht zu Abend gegessen, traute sich aber nicht zu fragen, ob Miriam Hunger habe. Sehnsüchtig dachte er an die Ravioli-Dosen im Küchenschrank.

»Am Ende hat Frau Kamp noch etwas gesagt. Da waren wir mit den Nägeln schon fertig.« Nachdenklich betrachtete Miriam ihre Hände. »Sie sagte, dass im Grunde du an allem schuld bist, Papa.«

Schallers Gehirn stellte die Denktätigkeit ein. So, wie er stand, blendete ihn die Sonne. Dankbar nutzte er die Möglichkeit, die Augen zusammenzukneifen.

»Normalerweise reden wir ja nicht über so was.« Miriam hatte die Arme verschränkt und zog die Schultern hoch, als wäre ihr kalt, trotz der sommerlichen Abendhitze. »Aber Frau Kamp hat noch mehr Sachen gesagt. Sie meinte, das alles sei ja nun schon zwanzig Jahre her, aber tote Männer hätten bekanntlich ein gutes Gedächtnis.«

Jetzt spürte auch Schaller die Kälte. Er hörte das Krachen eines infernalischen Gewitters, als spalteten Riesen mit Äxten einen Himmel aus Holz. Wo bist du gewesen. Wo bist du gewesen. Kalte Nässe auf der Haut, ein Wollpullover klebte am Körper. Blitze stürzten in schneller Folge zur Erde und beleuchteten eine Lichtung, in deren Mitte ein alter Baum stand. Eiche. Linde. Schaller sah Krons Gesicht im Flackern der Blitze, es sah von unten zu ihm herauf.

»Im Klartext wollte Frau Kamp wohl sagen, dass du einen Mann umgebracht hast. Und diesem Kron das Bein zerschmettert.«

Wieder das infernalische Krachen. Schaller sah Funken sprühen, er sah Rauch und Feuer, und er sah, wie sich ein Teil der Baumkrone in Zeitlupe herabsenkte. Es krachte ein zweites Mal, etwas fiel, ein Schatten, groß wie ein Autobus, der Aufschlag brachte die nasse Erde zum Zittern. Aber da war Schaller schon nicht mehr vor Ort, er hatte die Lichtung verlassen, den Wald, die Nacht und das Gewitter, er stand in der Abendsonne in seinem Hof, geblendet, und sah durch zusammengekniffene Lider, dass seine Tochter näher kam. Plötzlich stand sie direkt vor ihm, ihre Finger schlossen sich um seine.

»Du zitterst ja«, sagte Miriam.

Den Ballen der freien Hand presste er erst auf das linke, dann aufs rechte Auge. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal geweint hatte. Miriams Arme schlangen sich um seinen Bauch und waren kaum lang genug, ihn zu umfassen.

»Papa«, sagte sie, den Kopf seitlich an seine Brust gelegt. »Du denkst doch nicht, dass ich diesen Unsinn glaube? Ich habe Frau Kamp erklärt, dass du niemals in deinem Leben Gewalt ausgeübt hast und es auch niemals tun wirst.«

Das war es. Das hatte er ihr versprechen wollen: niemals im Leben Gewalt auszuüben, nicht einmal zur Selbstverteidigung, was auch geschah. »Das hier ist die Unabhängige Republik Schallerland«, hatte er sagen und mit großer Geste auf den Hof deuten wollen. »Hier herrscht Gewaltverbot, und Leute wie Gombrowski haben keine Einreiseerlaubnis.« Er hatte sich vorgestellt, wie Miriam lachte und vor Vergnügen in die Hände klatschte.

»Ich wollte nur, dass du weißt, was die Leute reden«, sagte Miriam. »Damit du verstehst, was ich jetzt von dir will.«

Sie ließ ihn los und gewann Abstand, um ihm ins Gesicht sehen zu können.

»Ich bin gekommen, damit du mir etwas versprichst. Halt dich aus diesen Unterleuten-Geschichten raus. Mit dem Dorf stimmt was nicht. Ganz massiv.«

Sie wartete. Schaller überlegte, wie er ihr erklären sollte, dass er ihr das doch sowieso hatte versprechen wollen. Dass sie diese elende Frau-Kamp-Geschichte ruhig zurücknehmen konnte. Aber Geschichten ließen sich nun einmal nicht zurücknehmen, und das Ganze verwirrte ihn derart, dass er einfach nickte. Das reichte Miriam, sie war schon beim nächsten Satz.

»Außerdem will ich, dass du nie wieder mit Gombrowski Geschäfte machst. Egal, was er anbietet. Nie wieder.« Dieses Mal gelang das Nicken schon flüssiger, Miriam sah zufrieden aus. »Gib mir dein Handy.«

Mit wenigen Wischbewegungen durchsuchte sie sein Adressbuch und wählte eine Nummer. Der Lautsprecher war eingeschaltet.

»Ja?«, bellte Gombrowskis Stimme aus dem Gerät. Die Tonqualität war gut, fast klang es, als stünde der alte Hund bei ihnen im Hof.

»Hier ist Miriam Schaller.«

»Was!«, schrie Gombrowski. »So eine Überraschung! Als ich dich zuletzt gesehen habe, warst du nicht größer als ein Hydrant.«

»Ich geh bald studieren«, sagte Miriam.

»Du warst schon immer eine ganz Aufgeweckte. Was kann ich für dich tun?«

»Sie können meinen Vater in Ruhe lassen.«

»Was redest du da?«

»Sie sollen ihn …«, vergeblich suchte Miriam nach einem anderen Begriff, »in Ruhe lassen.«

»Du meinst, ich soll ihm keine Aufträge mehr geben? Ich soll ihm nicht helfen, wenn er eine Unterkunft braucht? Ich soll nicht dafür sorgen, dass er Sachen wiederkriegt, die man ihm gestohlen hat? Ist es das, was du meinst?«