Arkad warf die Augen auf den umgewandelten Schüler Bazaroffs; sein kleines, glattes Gesicht und seine regelmäßigen Züge hatten einen unruhigen, gespannten, aber beschränkten Ausdruck; seine Augen blickten stier und unstet zugleich, sein Lachen sogar, kurz und trocken, hatte etwas Wirres.
»Sie werden mir kaum glauben,« fuhr er fort; »als Eugen Wassilitsch mir zum erstenmal erklärte, man brauche keine Autorität anzuerkennen, empfand ich eine solche Freude... ich fühlte mich wie neugeboren! Endlich doch einmal ein Mann! sagte ich mir. Apropos, Eugen Wassilitsch, Sie müssen notwendig eine hiesige Dame besuchen, die ganz auf Ihrer Höhe steht, und für die Ihr Besuch ein wahres Fest sein wird; Sie müssen schon von ihr gehört haben.«
»Wer ists?« fragte Bazaroff gelangweilt.
»Eudoxia Nikitischna Kukschin. Das ist eine merkwürdige Natur, emanzipiert im vollsten Sinne des Wortes, ein wahrhaft fortgeschrittenes Weib, müssen Sie wissen! Laßt uns jetzt gleich alle drei zu ihr gehen, sie wohnt zwei Schritt von hier. Wir frühstücken da... ihr habt doch noch nicht gefrühstückt?«
»Nein.«
»Vortrefflich! Sie lebt natürlich getrennt von ihrem Mann und ist unabhängig...«
»Ist sie hübsch?« fragte Bazaroff.
»Nein, das kann ich nicht sagen.«
»Warum zum Teufel sollen wir sie dann besuchen?«
»Scherz beiseite, sie wird uns eine Flasche Champagner auftischen.«
»Wahrhaftig! Der praktische Mann verrät sich bald. Apropos, macht Ihr Vater immer noch in Branntwein?«
»Ja,« erwiderte Sitnikoff rasch mit erzwungenem Lächeln. »Nun, kommen Sie mit?«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Du wolltest ja Beobachtungen anstellen,« sagte Arkad halblaut.
»Und Sie, Herr Kirsanoff,« fügte Sitnikoff hinzu, »Sie kommen doch auch? Wir gehen nicht ohne Sie.«
»Wir können doch nicht alle drei nur so ins Haus fallen...«
»Das tut nichts. Die Kukschin ist ein gutes Ding.«
»Sie wird uns also eine Flasche Champagner auftischen?« wiederholte Bazaroff.
»Drei,« rief Sitnikoff, »ich stehe dafür.«
»Womit?«
»Mit meinem Kopf.«
»Des Papas Beutel wäre ein besseres Pfand gewesen. Aber gleichviel, gehen wir hin!«
Dreizehntes Kapitel.
Das kleine Haus in moskowitischem Geschmack, welches Eudoxia Nikitischna Kukschin bewohnte, lag in einer Straße, welche erst kürzlich abgebrannt war; bekanntlich brennen unsere Landstädtchen alle fünf Jahre ab. An der Eingangstüre neben einer schief angenagelten Visitenkarte hing ein Glockenzug; eine Frau in einem Häubchen, ein Mittelding zwischen Dienerin und Gesellschaftsdame, kam den Besuchern im Vorzimmer entgegen. Lauter Zeichen, daß die Herrin des Hauses eine Freundin des Fortschritts war. Sitnikoff fragte nach Eudoxia Nikitischna.
»Ah, Sie sinds, Viktor!« rief eine Fistelstimme aus dem Nebenzimmer; »nur herein!« Sofort verschwand die Frau im Häubchen.
»Ich bin nicht allein,« sagte Sitnikoff und warf einen Blick voll Zuversicht auf seine beiden Freunde, während er ungeniert seinen polnischen Überrock ablegte, unter dem eine Art englischen Sackpaletots zum Vorschein kam.
»Das tut nichts,« erwiderte Eudoxia Nikitischna, »nur herein!«
Die jungen Leute gehorchten. Das Zimmer, in das sie eintraten, glich mehr einem Arbeitskabinett als einem Salon. Papier, Briefe, russische Revuen, deren Blätter größtenteils unaufgeschnitten waren, lagen auf den staubigen Tischen; überall waren halbgerauchte Zigarren umhergeworfen. Die Herrin des Hauses lag nachlässig auf einem Ledersofa; sie war noch jung, hatte blonde Haare und ein Spitzentuch um den Kopf geschlungen; ihre kurzfingerigen Hände waren mit schweren Brasseletten geschmückt. Sie stand auf, zog eine mit vergilbtem Hermelin gefütterte Samtmantille nachlässig über die Schultern, sagte mit schmachtender Stimme zu Sitnikoff: »Guten Tag, Viktor,« und drückte ihm die Hand.
»Bazaroff – Kirsanoff,« sagte dieser kurz, indem er Bazaroffs Art, vorzustellen, nachäffte.
»Willkommen, meine Herren,« sagte Madame Kukschin; und die runden Augen, zwischen denen ein armes, winziges rotes Stülpnäschen hervorstand, auf Bazaroff heftend, setzte sie hinzu: »Ich kenne Sie,« und drückte ihm gleichfalls die Hand.
Bazaroff machte eine leichte Grimasse. Das unbedeutende Gesichtchen der Emanzipierten hatte gerade nichts allzu Häßliches, aber der Ausdruck ihrer Züge war unangenehm. Man hätte sie fragen mögen: »Was ist dir? Hast du Hunger oder Langeweile? Fürchtest du dich vor irgend etwas? Wozu all dieses Mühen?« Auch sie hatte, wie Sitnikoff, das Gefühl, als ob ihr fortwährend etwas die Seele zernagte. Ihre Bewegungen und ihre Sprache waren rasch und plump zugleich; sie selbst hielt sich ohne Zweifel für ein gutes und einfaches Geschöpf, und doch, was sie auch tun mochte, immer hatte es den Anschein, als beabsichtige sie, etwas anderes zu tun.
»Ja ja, ich kenne Sie, Bazaroff,« wiederholte sie. (Nach einem den Provinzbewohnerinnen und selbst einigen Frauen Moskaus eigenen Brauch nannte sie die Männer, welche sie zum erstenmal sah, beim Familiennamen.) »Rauchen Sie eine Zigarre?«
»Eine Zigarre, wohl!« sagte Sitnikoff, der sich inzwischen, das eine Bein über sein Knie gelegt, in einem Lehnstuhle zurechtgesetzt hatte; »aber Sie müssen uns auch ein Frühstück geben. Wir sterben vor Hunger; lassen Sie auch gleich eine Flasche Champagner bringen.«
»Sybarit!« erwiderte Eudoxia mit Lachen. (Wenn sie lachte, sah man ihr oberes Zahnfleisch.) »Ists nicht wahr, Bazaroff, daß er ein Sybarit ist?«
»Ich liebe den Komfort,« sagte Sitnikoff würdevoll; »das hindert mich aber nicht, liberal zu sein.«
»Doch! doch!« rief Eudoxia und befahl ihrem Kammermädchen, ein Frühstück zu besorgen und Champagner zu bringen. »Was halten Sie davon?« fragte sie Bazaroff; »ich weiß gewiß, Sie sind meiner Ansicht.«
»Da täuschen Sie sich,« erwiderte Bazaroff, »ein Stück Fleisch ist besser als ein Stück Brot, selbst vom Standpunkt der chemischen Analyse.«
»Ah, Sie beschäftigen sich mit Chemie; das ist meine Passion. Ich habe sogar einen Kitt erfunden.«
»Einen Kitt? Sie?«
»Ja, ich, und wissen Sie wozu? Zu Puppen, zu Puppenköpfen; sie sind dauerhafter. Ich bin eine praktische Frau, ich. Aber ich bin noch nicht ganz damit im reinen. Ich muß Liebig konsultieren. Apropos, haben Sie in der ›Moskauer Zeitung‹ Kisliakoffs Artikel ›Über die Frauenarbeit‹ gelesen? Lesen Sie ihn, ich beschwöre Sie. Sie interessieren sich ja wohl für die Frauenfrage? Und für die Schulen ebenfalls? Was treibt Ihr Freund? wie heißt er?«
Madame Kukschin warf diese Fragen eine nach der andern mit einer verzärtelten Nonchalance hin, ohne eine Antwort abzuwarten; verwöhnte Kinder sprechen so mit ihren Bonnen.
»Ich heiße Arkad Nikolaitsch Kirsanoff,« sagte Arkad, »und treibe nichts.«
Eudoxia lachte.
»Das ist allerliebst! Rauchen Sie nicht? Viktor, Sie wissen, daß ich Ihnen böse bin!«
»Warum?«
»Sie fangen, wie ich höre, wieder an, für George Sand zu schwärmen. Das ist eine hinter der Zeit zurückgebliebene Frau und weiter nichts. Wie kann man wagen, sie mit Emerson zu vergleichen? Sie hat keine Idee weder von Erziehung noch von Physiologie noch von sonst etwas. Ich bin überzeugt, sie hat nie von Embryologie sprechen hören, und wie wollen Sie diese Wissenschaft heutzutage entbehren? (Eudoxia streckte die Arme aus, während sie dies sagte.) Ach, welch herrlichen Artikel hat Elisewitsch über diesen Gegenstand geschrieben! Das ist einmal ein Genie, dieser Herr! (Eudoxia sagte immer ›Herr‹ statt ›Mann‹) Bazaroff, setzen Sie sich zu mir auf das Sofa. Sie wissen vielleicht nicht, daß ich mich schrecklich vor Ihnen fürchte.«