Выбрать главу

»Der Hund ist noch da,« antwortete die Alte mürrisch; und als sie bemerkte, daß Fifi ängstlich ein paar Schritte auf sie zu tat, schrie sie: »Geh fort, geh fort!«

Katia rief Fifi und öffnete die Tür. Der Hund sprang auf ihren Ruf lustig herbei, da er glaubte, es handle sich um einen Spaziergang; als er sich aber vor der Tür draußen allein sah, fing er an zu scharren und zu kläffen. Die Fürstin runzelte die Stirn; Katia stand im Begriff, hinauszugehen...

»Der Tee wird fertig sein,« sagte Frau Odinzoff; »kommen Sie, meine Herren! Tante, willst du zum Tee kommen?«

Die Fürstin erhob sich schweigend und trat zuerst in den Speisesaal. Ein kleiner Bedienter in Kosakentracht schob mit Geräusch einen mit Kissen belegten Lehnstuhl an die Tafel, und die Fürstin nahm darin Platz; Katia, deren Amt es war, den Tee einzuschenken, bediente sie zuerst in einer mit ihrem Wappen geschmückten Tasse. Die Alte versüßte ihren Tee mit Honig (sie hätte geglaubt, eine Sünde zu begehen, wenn sie Zucker dazu genommen hätte, und zudem war ihrer Ansicht nach der Zucker zu teuer: doch kostete sie ihr Unterhalt keine Kopeke). Gleich darauf fragte sie mit heiserer Stimme:

»Was sagt der Fürst Iwan in seinem Briefe?«

Niemand antwortete ihr, und die jungen Männer merkten bald, daß man sich trotz all der Ehrenbezeigungen nicht viel um sie kümmerte. »Man hält sie als Schaustück hier... Eine Fürstin... das macht sich gut in einem Salon,« dachte Bazaroff. Nach dem Tee schlug Frau Odinzoff einen Spaziergang vor; es fing jedoch ein wenig zu regnen an, und die ganze Gesellschaft, die Fürstin ausgenommen, begab sich in den Salon zurück. Der Nachbar, der eine Partie Karten liebte, kam; er hieß Porphyr Platonitsch; ein kleiner Mann mit dickem Bauch und kahlem Kopf, dessen kurze Beine wie auf der Drehbank gemacht aussahen, im übrigen ein liebenswürdiger, heiterer Mann. Anna Sergejewna, welche fast beständig mit Bazaroff sprach, fragte ihn, ob er sich nicht mit ihnen in dem alten Kartenspiel »Preference« messen wollte. Bazaroff willigte mit der Bemerkung ein, daß er sich auf die Funktionen eines Landdoktors einüben müsse.

»Nehmen Sie sich in acht,« sagte Frau Odinzoff, »wir werden Ihnen Ihren Meister zeigen. Du, Katia,« setzte sie hinzu, »spiele Arkad Nikolajewitsch etwas vor. Er liebt die Musik, und wir hören dich auch.«

Katia beeilte sich eben nicht sehr, sich ans Klavier zu setzen, und Arkad, obgleich er die Musik wirklich liebte, folgte ihr widerwillig. Er sagte sich, daß Frau Odinzoff ihn offenbar loszuwerden suchte, und wie alle jungen Leute seines Alters, fühlte er sich von jenem unklaren und fast peinlichen Gefühl erfaßt, welches der Liebe vorausgeht. Katia öffnete das Klavier und fragte Arkad, ohne ihn anzusehen:

»Was soll ich Ihnen spielen?«

»Was Sie wollen,« antwortete Arkad in gleichgültigem Ton.

»Welcher Musik geben sie den Vorzug?« versetzte Katia, ohne sich umzuwenden.

»Der klassischen,« antwortete Arkad im selben Tone.

»Lieben Sie Mozart?«

»Ja.«

Katia nahm jenes Meisters C-Moll-Fantasie mit der Sonate. Sie spielte sehr gut, obgleich ihr Vortrag gemessen und sogar ein wenig trocken war. Sie hielt sich unbeweglich, starr auf die Noten sehend und mit gepreßten Lippen; doch gegen das Ende des Stückes belebte sich ihr Gesicht, und eine kleine Haarflechte, die sich gelöst hatte, fiel auf ihre schwarzen Augenbrauen nieder.

Arkad hörte mit Vergnügen den letzten Teil der Sonate, den, wo mitten in der reizenden Heiterkeit einer glücklichen Melodie plötzlich die Ergüsse eines herben, beinahe tragischen Schmerzes sich vernehmen lassen...

Aber die Gedanken, welche Mozarts Musik in ihm weckte, bezogen sich keineswegs auf Katia. Bei ihrem Anblick kam ihm nur das eine in den Sinn: »Das junge Mädchen spielt gut und ist nicht übel.«

Als die Sonate zu Ende war, fragte ihn Katia, ohne die Hand von den Tasten zurückzuziehen:

»Ists genug?«

Arkad erwiderte, daß er ihre Güte nicht mißbrauchen wolle, und fing an, von Mozart zu sprechen; er fragte sie, ob sie diese Sonate selbst ausgewählt oder ob sie ihr jemand empfohlen habe. Allein Katia antwortete nur sehr einsilbig; sie hatte sich versteckt, sich sozusagen wieder in ihr Schneckenhaus zurückgezogen. Wenn sie diese Stimmung überfiel, währte es lange, ehe sie die Augen zu heben wagte, und ihre Züge nahmen den Ausdruck von Trotz an; man konnte sie dann für ein kleines, unbedeutendes Mädchen halten. Nicht als ob sie schüchtern gewesen wäre; sie war vielmehr ein wenig scheu gemacht durch ihre Schwester, die, wie wir gesehen, ihre Erziehung überwachte und doch keine Ahnung davon hatte, was in ihr vorging.

Arkad blieb nichts übrig, um seine Haltung zu bewahren, als Fifi, der wieder hereingekommen war, herbeizulocken, dem er gutmütig lächelnd den Kopf streichelte. Katia kehrte zu ihren Blumen zurück.

Bazaroff seinerseits machte Bete auf Bete. Madame Odinzoff spielte ausgezeichnet und auch Porphyr Platonitsch sehr gut. Bazaroff verlor, und obgleich der Verlust klein war, berührte er ihn doch unangenehm. Beim Nachtessen brachte Frau Odinzoff das Gespräch wieder auf Botanik.

»Lassen Sie uns morgen früh spazierengehen!« sagte sie zu ihm; »ich möchte Sie bitten, mir die lateinischen Namen der Feldblumen und ihre Eigenschaften zu nennen.«

»Wozu wollen Sie lateinische Namen lernen?« fragte Bazaroff.

»Es muß in allem Ordnung sein,« antwortete sie.

»Welch bewundernswürdiges Weib, diese Odinzoff!« rief Arkad aus, als er mit seinem Freund auf dem ihnen angewiesenen Zimmer allein war.

»Ja,« antwortete Bazaroff, »es fehlt der Gevatterin nicht an Gehirn, und sie weiß sich auch zu helfen.«

»Wie verstehst du das?«

»Das läßt sich auf zweierlei Art verstehen, mein Bester! Ich bin gewiß, daß sie ihr Vermögen charmant verwaltet. Wenn hier jemand bewundernswürdig ist, so ists ihre Schwester.«

»Wie? Die kleine schwarze Hexe?«

»Ja, die kleine schwarze Hexe; die ist frisch und unberührt und schüchtern und schweigsam; die verdiente, daß man sich mit ihr beschäftigt. Aus dieser Natur könnte man noch machen, was man wollte, während die andere...«

Arkad gab Bazaroff keine Antwort, und jeder von ihnen legte sich mit seinen eigenen Gedanken schlafen.

Frau Odinzoff dachte diesen Abend auch an ihre Gäste, Bazaroff gefiel ihr durch seine völlige Anspruchslosigkeit und selbst durch sein schneidendes Urteil. Er war für sie noch etwas ganz Neues, und sie war neugierig.

Frau Odinzoff war ein wunderbares Wesen. Ohne Vorurteil, ja sogar ohne festen Glauben, wich sie vor nichts zurück, und doch schritt sie nicht viel vorwärts. In vielem sah sie scharf, interessierte sich für vieles und nichts konnte sie befriedigen; ich weiß nicht einmal, ob sie eine volle Befriedigung wünschte. Ihr Geist war wißbegierig und gleichgültig zugleich; nie verschwanden ihre Zweifel, ohne eine Spur zu hinterlassen, und nie wurden sie stark genug, um sie zu beunruhigen. Wäre sie nicht reich und unabhängig gewesen, so hätte sie sich vielleicht ins Getümmel gewagt und die Leidenschaften kennen gelernt... Aber so hatte sie ein ungetrübtes Dasein, obgleich sie manchmal ein Gefühl von Langeweile überkam, und sie fuhr fort, ohne sich je zu beeilen und nur selten erregt von Tag zu Tag zu leben. Manchmal traten nur allzu verführerische Bilder vor ihre Augen, aber wenn das Bild verschwunden war, sank sie in ihre Seelenruhe zurück und bedauerte nichts. Ihre Einbildungskraft überschritt oft die Grenzen des nach den gewöhnlichen Regeln der Moral Erlaubten; aber selbst dann floß das Blut in ihrem schönen, immer frischen und friedlichen Körper so ruhig wie gewöhnlich. Oft wenn sie morgens warm und schmachtend aus ihrem duftigen Bade stieg, konnte sie anfangen zu träumen über die Eitelkeit des Lebens, über seine Freudlosigkeit und seine Müh und Arbeit... Ein plötzlicher Aufschwung erfaßte sie; sie fühlte ein edles Streben in ihrem Innern erwachen; da drang ein Zug durch ein halboffenes Fenster, und Frau Odinzoff schauerte, beklagte sich, sie bezwang sogar nur mühsam eine Zornesregung und verlangte für den Augenblick nur das eine, daß der garstige Wind aufhöre. Wie alle Frauen, denen es nicht gegeben ist, zu lieben, wünschte sie beständig etwas, ohne selbst recht zu wissen was. In der Tat wünschte sie nichts, obgleich es ihr vorkam, als ob sie alles in der Welt wünsche. Kaum hatte sie ihren Gatten ertragen mögen. Sie hatte sich aus Berechnung vermählt; sie hätte wahrscheinlich nicht eingewilligt, Herrn Odinzoff zu heiraten, wenn sie ihn nicht für einen galanten Mann gehalten hätte; aber sie hatte sich getäuscht, und es war ihr ein geheimer Widerwille gegen die Männer überhaupt geblieben, die sie sich alle unreinlich, plump, träg, beständig gelangweilt und energielos vorstellte. Doch war sie auf ihrer Reise einem jungen, schönen Schweden begegnet, einem Mann von ritterlichem Aussehen, mit blauen, ehrlichen Augen und hoher, freier Stirne; er hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht, aber das hatte sie nicht abgehalten, nach Rußland zurückzukehren.