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»Außerdem«, erwiderte Bazaroff, »begreife ich das Vergnügen nicht, welches man darin finden kann, von der Zukunft zu sprechen, die im allgemeinen nicht von uns abhängt. Zeigt sich eine Gelegenheit, etwas zu leisten, um so besser, im andern Falle wird man sich wenigstens sehr glücklich schätzen, sich keinem unnützen Geschwätz hingegeben zu haben.«

»Sie nennen freundschaftliches Geplauder Geschwätz... Nach allem halten Sie mich vielleicht als Weib Ihres Vertrauens nicht würdig? Sie haben eine geringe Meinung von unserem Geschlecht!«

»Ich habe keine geringe Meinung von Ihnen, Anna Sergejewna, und Sie wissen das sehr gut.«

»Nein, ich weiß nichts ...; aber gesetzt, es wäre so. Ich begreife, daß Sie nicht von Ihrer Zukunft sprechen wollen; aber das, was heute in Ihnen vorgeht...«

»Vorgeht?« wiederholte Bazaroff, »bin ich zufällig ein Staat oder eine Gesellschaft! Jedenfalls scheint mir das nicht sehr interessant; und zudem, soll denn jeder von uns laut verkünden, was in ihm ›vorgeht‹?«

»Ich wüßte in der Tat nicht, warum man nicht alles, was man auf dem Herzen hat, gestehen sollte?«

»Könnten Sie das?«

»Ja,« antwortete Frau Odinzoff nach kurzem Besinnen.

Bazaroff verneigte sich.

»Sie sind glücklicher als ich,« sagte er.

Anna Sergejewna sah ihn an, als ob sie eine Erklärung von ihm fordern wollte.

»Sie haben gut reden,« erwiderte sie, »aber ich fühle mich darum nicht weniger geneigt, zu glauben, daß wir uns nicht umsonst begegnet sind, daß wir gute Freunde sein werden. Ich bin gewiß, daß Ihre, wie soll ich sagen, – Ihre Starrheit, Ihre Verschlossenheit auf die Dauer schwinden wird.«

»Sie finden mich also verschlossen... oder wie doch? starr.«

»Ja.«

Bazaroff stand auf und trat ans Fenster.

»Und Sie wollen die Beweggründe dieser Verschlossenheit kennen lernen, Sie möchten wissen, was in mir vorgeht?«

»Ja,« antwortete Frau Odinzoff mit einem Schrecken, über den sie sich noch keine Rechenschaft gab.

»Und Sie wollen nicht böse werden?«

»Nein!«

»Nein?« Bazaroff drehte ihr den Rücken. – »So wissen Sie denn, daß ich Sie unvernünftig, bis zum Wahnsinn liebe... das ists, was Sie mich Ihnen zu sagen zwingen.«

Frau Odinzoff streckte die Hände aus, und Bazaroff drückte seine Stirne an die Fensterscheibe. Er erstickte fast, ein krampfhaftes Zittern durchlief alle seine Glieder, aber es war weder die Aufregung, wie sie die Schüchternheit der Jugend hervorruft, noch der süße Schrecken, den eine erste Liebeserklärung erzeugt; es war die Leidenschaft, die in ihm kämpfte, jene starke, drückende Leidenschaft, die der Bosheit gleicht und vielleicht nicht weit davon entfernt ist... Frau Odinzoff empfand Furcht und Mitleid zugleich.

»Eugen Wassilitsch!« sagte sie, und in ihrer Stimme verriet sich eine unwillkürliche Zärtlichkeit.

Er kehrte sich rasch um, warf ihr einen verzehrenden Blick zu und zog sie, ihre beiden Hände mit Macht ergreifend, an seine Brust.

Sie konnte sich ihm nicht sogleich entwinden... Einige Augenblicke nachher hatte sie sich in die entlegenste Ecke des Zimmers geflüchtet. Er stürzte auf sie los...

»Sie haben mich nicht verstanden!« stieß sie mit leiser, vor Schreck erstarrter Stimme hervor. Einen Schritt weiter, und sie hätte wahrscheinlich einen Schrei ausgestoßen; ihre ganze Haltung kündete es an. Bazaroff biß sich in die Lippen und verließ das Zimmer.

Eine halbe Stunde später übergab ein Stubenmädchen Anna Sergejewna ein Billett von Bazaroff. Es enthielt nur eine Zeile: »Muß ich heute noch abreisen, oder kann ich bis morgen bleiben?« Frau Odinzoff antwortete: »Warum abreisen? ich habe Sie nicht verstanden, und Sie haben mich nicht verstanden.« Indem sie diese Worte schrieb, sagte sie zu sich: »Ich habe mich in der Tat selber nicht verstanden.«

Sie zeigte sich erst beim Mittagessen wieder und ging den ganzen Morgen mit gekreuzten Armen in ihrem Zimmer auf und ab, blieb von Zeit zu Zeit bald vor dem Spiegel, bald vor dem Fenster stehen und strich beständig mit einem Taschentuch über den Hals; sie glaubte da einen glühenden Flecken zu spüren. Sie fragte sich, warum sie Bazaroff, wie er selbst sagte, »gezwungen« habe, sich zu erklären, und ob sie es nicht schon längst geahnt habe... »Ich bin schuldig,« sagte sie mit lauter Stimme, »aber ich kann ja das alles nicht vorhersehen.« Sie wurde nachdenklich und errötete in der Erinnerung an den beinahe wilden Ausdruck, den Bazaroffs Gesicht angenommen hatte, als er auf sie losstürzte. »Oder doch...« sagte sie plötzlich wieder, indem sie stehenblieb und ihre Locken schüttelte. Als sie im Spiegel den leicht zurückgesunkenen Kopf, das geheimnisvolle Lächeln in den halbgeschlossenen Augen und auf den halboffenen Lippen bemerkte, schien ihr das Bild etwas zu sagen, was sie tief bewegte.

»Nein, nein,« sagte sie endlich, »Gott weiß, wohin das führen würde; mit dergleichen soll man nicht spaßen. Die Ruhe ist doch noch das Beste, was es auf der Welt gibt.«

Ihre Ruhe war nicht gestört, aber sie wurde traurig und vergoß sogar einige Tränen, ohne recht zu wissen warum. Es war nicht Scham über die Demütigung, was sie weinen machte, sie fühlte sich nicht einmal gedemütigt, sie fühlte sich vielmehr schuldig. Unter dem Einfluß verschiedener unklarer Gefühle, des Bewußtseins ihres verrauschenden Lebens und des Verlangens nach etwas Neuem war sie bis an eine gewisse Grenze vorgegangen, und als sie über diese hinaus noch einen Blick warf, hatte sie drüben zwar keinen Abgrund, aber die Leere oder die Häßlichkeit gewahrt.

Neunzehntes Kapitel.

Obgleich sich Frau Odinzoff sehr in der Gewalt hatte und über viele Vorurteile erhaben war, konnte sie doch ein unbehagliches Gefühl nicht ganz unterdrücken, als sie im Speisesaal erscheinen mußte. Übrigens ging die Mahlzeit ohne Zwischenfall vorüber. Porphyr Platonitsch erschien und erzählte verschiedene Anekdoten. Er kam aus der Stadt zurück. Unter anderen Neuigkeiten hatte er gehört, daß der Gouverneur den Beamten in seiner unmittelbaren Umgebung vorgeschrieben habe, Sporen zu tragen, damit es schneller gehe, falls er einen zu Pferde fortschicken sollte. Arkad plauderte leise mit Katia und erwies, als feiner Diplomat, der Fürstin kleine Aufmerksamkeiten. Bazaroff war beharrlich schweigsam und finster. Frau Odinzoff warf, als er so mit niedergeschlagenen Augen dasaß, zwei- oder dreimal einen verstohlenen Blick auf sein strenges, gallichtes Gesicht mit dem Gepräge verächtlicher Festigkeit und sagte sich: »Nein, nein, nein!« Nach Tische begab sie sich mit der ganzen Gesellschaft in den Garten, ging, da sie merkte, daß Bazaroff sie zu sprechen wünschte, einige Schritte voraus und blieb dann stehen. Er trat zu ihr hin und sagte, die Augen fortwährend niedergeschlagen, mit dumpfer Stimme:

»Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Es ist unmöglich, daß Sie mir nicht zürnen.«

»Nein, ich bin Ihnen nicht böse,« antwortete Frau Odinzoff; »aber ich bin betrübt.«

»Um so schlimmer. Jedenfalls bin ich gestraft genug. Meine Stellung ist, wie Sie zugeben werden, so albern als möglich. Sie haben mir geschrieben: ›Warum abreisen?‹ Und ich kann und will nicht bleiben. Morgen werde ich abreisen.«

»Eugen Wassilitsch, warum...«

»Warum ich abreise?«

»Nein, das wollte ich nicht sagen.«

»Die Vergangenheit kehrt nicht wieder, Anna Sergejewna, und früher oder später mußte es so kommen. Sie sehen, ich muß durchaus fort. Ich könnte nur unter einer Bedingung hierbleiben. Diese Bedingung wird nie erfüllt werden. Verzeihen Sie meine Kühnheit; aber nicht wahr, Sie lieben mich nicht und werden mich nie lieben?«

Bazaroffs Augen funkelten einen Augenblick unter den schwarzen Brauen.

Anna Sergejewna antwortete ihm nicht – »Dieser Mensch macht mir angst,« sagte sie sich in diesem Augenblick.