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»Adieu!« sagte Bazaroff, als ob er in ihrer Seele gelesen hätte, und lenkte seine Schritte gegen das Haus.

Anna Sergejewna folgte ihm langsam. Sie rief Katia zu sich und nahm ihren Arm, den sie bis zum Abend nicht wieder losließ. Sie setzte sich nicht zum Spiel und lächelte gezwungen bei jedem Anlaß, was keineswegs zu ihrem bleichen, müden Gesicht paßte. Arkad verstand von alledem nichts und beobachtete wie alle jungen Leute, d.h. er fragte sich beständig: »Was bedeutet das?« Bazaroff hatte sich auf seinem Zimmer eingeschlossen; doch erschien er beim Tee. Frau Odinzoff hätte gern einige freundliche Worte an ihn gerichtet; aber sie wußte nicht, was sie ihm sagen sollte. Ein unerwarteter Umstand kam ihr zu Hilfe: der Haushofmeister meldete Sitnikoff an. Es wäre schwer, das sonderbare Benehmen des jungen Fortschrittsmannes bei seinem Eintritt genau zu schildern. Mit der ihm eigenen Unverschämtheit hatte er sich zwar entschlossen, eine Frau zu besuchen, die er kaum kannte, und die ihn nie eingeladen hatte, bei der aber, wie er wußte, augenblicklich geistvolle Männer seiner Bekanntschaft zu Besuch waren; gleichwohl war er furchtbar verlegen, und anstatt seine auswendig gelernten Entschuldigungen und Komplimente loszulassen, stotterte er allerlei närrisches Zeug, wie: Eudoxia Kukschin schicke ihn, um sich nach dem Befinden Anna Sergejewnas zu erkundigen, und Arkad Nikolajewitsch habe sich über letztere stets in der schmeichelhaftesten Weise geäußert. Mitten in diesen Dummheiten blieb er stecken und verlor den Kopf derart, daß er sich auf seinen eigenen Hut setzte. Da ihn jedoch niemand fortjagte, und Anna Sergejewna ihn sogar ihrer Tante und ihrer Schwester vorstellte, gewann er bald so viel Fassung, um in gewohnter Weise zu schwatzen. Die Erscheinung der menschlichen Dummheit hat manchmal ihr Gutes in dieser Welt; sie lockert allzu straff gespannte Saiten und beruhigt allzu stolze und eitle Gefühle, indem sie uns erinnert, daß Dummheit und Geist einen gemeinsamen Ursprung und fast etwas von Ähnlichkeit haben. Die Ankunft Sitnikoffs gab allem im Hause eine gewöhnlichere und einfachere Wendung. Alle aßen sogar mit größerem Appetit zu Nacht, und man trennte sich eine halbe Stunde früher als gewöhnlich.

»Jetzt«, sagte Arkad vom Bett aus zu Bazaroff, der sich anschickte, sich gleichfalls niederzulegen, »kannst du dir wiederholen, was du mir einmal gesagt hast: ›Warum bist du so traurig? Wahrscheinlich hast du irgendeine heilige Pflicht erfüllt?‹ «

Seit einiger Zeit hatten die jungen Leute die Gewohnheit angenommen, sich in dieser bittersüßen Weise zu hänseln, was immer ein Zeichen von geheimem Verdruß und Verdacht ist, die man verbergen will.

»Ich gehe morgen fort zum Vater,« sagte Bazaroff.

Arkad kehrte sich um und lehnte sich auf den Ellbogen. Diese Nachricht überraschte und erfreute ihn zu gleicher Zeit.

»O,« antwortete er, »bist du deshalb traurig?«

»Viel Wissen macht Kopfweh,« sagte Bazaroff gähnend.

»Und Anna Sergejewna?« fragte Arkad.

»Nun was? Anna Sergejewna?«

»Ich wollte sagen: Läßt sie dich fort?«

»Ich bin ihr nicht verpfändet.«

Arkard wurde nachdenklich, und Bazaroff drehte sich mit dem Gesicht gegen die Wand.

Die beiden Freunde schwiegen mehrere Minuten lang.

»Eugen!« rief Arkad plötzlich.

»Was?«

»Ich werde morgen mit dir abreisen.«

Bazaroff gab keine Antwort.

»Aber ich kehre nach Hause zurück,« fuhr Arkad fort; »wir fahren zusammen bis zum Dörfchen Koklow, wo du dich mit Fedote über deine Weiterreise verständigen kannst. Ich hätte gerne die Bekanntschaft deiner Eltern gemacht, aber ich fürchte, sie und dich selbst zu genieren. Und dann hoffe ich doch, daß du später nochmals einen Augenblick bei uns einkehrst?«

»Ich habe mein Gepäck bei dir gelassen,« antwortete Bazaroff, ohne sich umzuwenden.

»Wie kommts, daß er mich nicht fragt, warum ich abreise? Und dazu noch so unvermutet, wie ich?« fragte sich Arkad. »Im Grunde, warum reisen wir ab, er und ich?« Diese Fragen blieben ungelöst in Arkads Kopf, und sein Herz war von geheimer Bitterkeit erfüllt. Er fühlte, daß es ihm schwerfallen werde, dies Leben, an das er sich gewöhnt, zu verlassen, aber nach Bazaroffs Abreise allein zu bleiben, schien ihm noch schwerer. »Ohne Zweifel ist etwas zwischen ihnen vorgefallen,« sagte er sich; »warum aber sollte ich nach seiner Abreise ihr vor Augen bleiben? Ich würde ihr entschieden mißfallen und es ganz bei ihr verderben.« Anna Sergejewnas Gestalt trat lebhaft vor seine Seele, dann aber verdrängten andere Züge nach und nach das Bild der jungen Witwe...

»Katia macht mir auch Kummer!« flüsterte Arkad in sein Kopfkissen, auf das er eine Träne fallen ließ... Plötzlich aber strich er sich die Haare zurück und rief:

»Warum zum Teufel ist nur der Dummkopf von Sitnikoff hergekommen?«

Bazaroff rührte sich in seinem Bett.

»Ich sehe, mein Lieber, daß du noch sehr dumm bist,« sagte er endlich. »Die Sitnikoffs sind uns unentbehrlich. Idioten seiner Art sind mir absolut notwendig. Verstehst du mich? Die Götter sind nicht dazu da, Töpfe zu machen.«

»Ei, ei!« dachte Arkad; und zum erstenmal erschien ihm Bazaroffs Eigenliebe in ihrer ganzen Größe.

»Wir sind also Götter, du und ich? oder vielmehr du; denn ich, sollte ich zufällig nicht auch ein Idiot sein?«

»Ja,« erwiderte Bazaroff, »du bist noch dumm.«

Frau Odinzoff zeigte keine große Überraschung, als ihr Arkad am nächsten Morgen ankündigte, daß er mit Bazaroff abreisen werde; sie sah zerstreut und müde aus. Katia blickte ihn ernst an und sagte nichts; die Fürstin bekreuzte sich unter ihrem Schal derart, daß ers bemerken mußte; Sitnikoff aber kam bei der Nachricht gänzlich außer Fassung. Er hatte soeben zum Frühstück einen neuen Frack angelegt, der diesmal nichts vom Slawophilen verriet; tags zuvor schien der Bediente, der ihm aufzuwarten hatte, ganz erstaunt, als er die Masse Weißzeug sah, die der neue Gast mitgebracht; und da verließen ihn seine Genossen! Er lief angstvoll und unentschlossen hin und her wie ein verfolgter Hase am Saum des Waldes; ganz außer sich, erklärte er plötzlich fast mit einem Schrei, daß auch er entschlossen sei, abzureisen. Frau Odinzoff drang nicht in ihn, zu bleiben.

»Mein Wagen ist sehr bequem,« sagte der unglückliche Jüngling zu Arkad, »ich kann Sie nach Hause fahren. Eugen Wassilitsch darf dann nur Ihren Tarantaß nehmen; so macht sichs sogar viel bequemer.«

»Wo denken Sie hin, unser Gut liegt durchaus nicht auf Ihrem Wege; Sie müßten einen großen Umweg machen.«

»Das hat nichts zu sagen; ich habe viel Zeit übrig, und zudem rufen mich Geschäfte in jene Gegend.«

»Branntweingeschäfte?« fragte Arkad in fast zu verächtlichem Ton.

Aber Sitnikoff war so bestürzt, daß er nicht einmal nach seiner Gewohnheit zu lachen anfing.

»Ich versichere Sie, daß mein Wagen sehr bequem ist,« fuhr er fort, »und daß er für alle Platz hat.«

»Kränken Sie Herrn Sitnikoff nicht durch eine Weigerung,« sagte Anna Sergejewna.

Arkad blickte sie an und verneigte sich tief.

Die Abreise fand nach dem Frühstück statt. Beim Abschied gab Frau Odinzoff Bazaroff die Hand und sagte:

»Auf Wiedersehen! Nicht wahr?«

»Wie Sie es wünschen!«

»In diesem Fall sehen wir uns wieder.«

Arkad ging zuerst die Treppe hinab und nahm in Sitnikoffs Wagen Platz. Der Haushofmeister half ihm ehrerbietig einsteigen, er aber hatte nicht übel Lust, ihn zu prügeln oder zu weinen. Bazaroff setzte sich in den Tarantaß. Als sie in dem Dörfchen Koklow angekommen waren, wartete Arkad, bis der Wirt Fedote seine Pferde an den Tarantaß gespannt hatte; dann näherte er sich dem Fuhrwerk und sagte mit der früheren Herzlichkeit zu Bazaroff:

»Eugen, nimm mich mit, ich habe Lust, dich zu begleiten.«

»Steig ein,« murmelte Bazaroff.

Als Sitnikoff, der pfeifend um den Wagen herumging, dieser Worte hörte, sperrte er vor Erstaunen den Mund weit auf; Arkad nahm ruhig seinen Koffer, setzte sich neben Bazaroff, grüßte Sitnikoff höflich und rief: »Fort!«