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Arkad verbeugte sich.

»Komm, Mutter!« sagte Bazaroff, »wir wollen hineingehen.« Und damit führte er die gute Alte, die in Tränen zerfloß, in das Besuchszimmer. Er setzte sie in einen bequemen Lehnstuhl, umarmte noch einmal rasch seinen Vater und stellte ihm Arkad vor.

»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen,« sagte Wassili Iwanitsch, »aber Sie müssen vorliebnehmen; bei uns ist alles einfach, auf militärischem Fuß. – Arina Vlassiewna, beruhigen Sie sich doch in Gottes Namen, tun Sie mir den Gefallen! Welche Schwäche! Unser verehrter Gast wird eine armselige Meinung von Ihnen bekommen.«

»Väterchen,« sagte die Alte mit weinerlicher Stimme, »ich habe nicht die Ehre, Ihren Vor- oder Vatersnamen zu kennen.«

»Arkad Nikolaitsch,« erwiderte Wassili Iwanowitsch halblaut mit gemessener Haltung.

»Verzeihen Sie mir einfältigem Weibe.« – Die Alte schneuzte sich und trocknete, den Kopf bald rechts, bald links geneigt, ein Auge nach dem andern. – »Entschuldigen Sie. Ich glaubte ja sterben zu müssen, ohne meinen... meinen armen Sohn wiedergesehen zu haben!«

»Und nun haben Sie ihn also wiedergesehen, Madame!« fiel Wassili Iwanowitsch lebhaft ein. – »Taniucha!« wandte er sich jetzt an ein Mädchen von zwölf bis dreizehn Jahren, die barfuß, in einem türkischroten Kattunrock, furchtsam blickend an der Türe stand. – »Bring deiner Herrin ein Glas Wasser auf einem Teebrett, verstehst du wohl! Und ihr, meine Herren!« fuhr er mit einer gewissen Ungeniertheit, die nach der alten Schule schmeckte, fort, »erlaubt mir, daß ich euch einlade, in das Kabinett des Veteranen zu treten.«

»Laß mich dich nur noch ein letztes Mal umarmen, Eniuchenka,« sagte Arina Vlassiewna seufzend. Bazaroff neigte sich zu ihr herab. – »Was bist du für ein schöner Bursche geworden!«

»Das nun zwar nicht,« versetzte Wassili Iwanowitsch, »aber, wie der Franzose sagt, ein ›hommefé‹ ist er geworden. Übrigens jetzt, Arina Vlassiewna, nachdem du dein mütterliches Herz gesättigt hast, wirst du dich hoffentlich mit der Speisung unserer teuren Gäste beschäftigen, denn du weißt ja, die Nachtigall lebt nicht vom Singen.«

Die alte Mutter erhob sich.

»Der Tisch wird gleich gedeckt sein, Wassili Iwanowitsch; ich eile selber in die Küche und sorge, daß aufgetragen wird. Im Augenblick wird alles fertig sein, alles. Drei Jahre ists, daß ich ihn nicht gesehen, daß ich ihm nichts zu essen und zu trinken gegeben habe. Das will was heißen!«

»Spute dich, du Schaffnerin! schaffe für vier, daß du mit Ehren bestehst. Und ihr, meine Herren, folgt mir. Da kommt Timofeitsch, Eugen, und will dich begrüßen. Der wird auch froh sein, der alte Pudel. Nicht wahr, alter Pudel? Meine Herren, haben Sie die Güte, mir zu folgen.«

Wassili Iwanowitsch eröffnete den Zug mit wichtiger Miene und schlürfte mit seinen alten Pantoffeln über den Boden hin.

Sein ganzes Haus bestand aus sechs kleinen Zimmern. Das, wohin Wassili Iwanowitsch unsere jungen Freunde führte, hieß das Kabinett. Ein schwerer hölzerner Tisch, mit vom Staub fast schwarz geräuchert aussehenden Papieren bedeckt, stand am Pfeiler zwischen zwei Fenstern; an den Wänden hingen Türkenflinten, Kosakenpeitschen, ein Säbel, zwei große Landkarten, anatomische Zeichnungen, das Bildnis Hufelands, eine aus Haaren geflochtene Krone in schwarzem Rahmen und ein Diplom, ebenfalls unter Glas; zwischen zwei riesigen Bücherschränken aus Birkenwurzel stand ein ganz abgeschabtes, mehrfach zerrissenes Ledersofa; Bücher, Schächtelchen, ausgestopfte Vögel, Arzneigläser, Retorten standen durcheinander in den Fächern; in einer Ecke des Zimmers endlich sah man eine Elektrisiermaschine außer Dienst.

»Ich habe euch vorher gesagt, meine teuren Gäste,« sagte Wassili Iwanowitsch, »daß wir hier sozusagen wie im Biwak leben...«

»Hör doch auf mit deinen Entschuldigungen!« antwortete Bazaroff; »Kirsanoff weiß recht gut, daß wir keine Krösusse sind, und daß unser Haus kein Palast ist. Wo sollen wir logieren? das ist die Frage.«

»Sei ruhig, Eugen, ich hab im Flügel ein prächtiges Zimmer, dein Freund wird sich dort sehr behaglich fühlen.«

»Du hast also in meiner Abwesenheit einen Flügel gebaut?«

»Wie denn! Da, wo das Bad ist,« sagte Timofeitsch.

»Das heißt neben dem Bad,« fiel Wassili Iwanowitsch rasch ein; »überdies, im Sommer... Ich gehe gleich hin, um das Nötige anzuordnen; Timofeitsch, es wird gut sein, wenn du indessen das Gepäck der Herren holen gehst. Dich, Eugen, werde ich selbstverständlich in meinem Studierzimmer unterbringen: suum cuique.«

»Ein komischer Kerl!« sagte Bazaroff, als sein Vater sich entfernt hatte. »Er ist so merkwürdig wie der deine, nur in anderer Art. Er schwatzt ein wenig zuviel.«

»Deine Mutter scheint auch eine vortreffliche Frau zu sein,« antwortete Arkad.

»Ja, sie ist nicht bösartig. Du sollst sehen, was für Mittagessen sie uns auftragen wird.«

»Man erwartete Euch heute nicht, Väterchen, wir haben kein Fleisch,« sagte Timofeitsch, der eben Bazaroffs Koffer brachte.

»Man wird sich ohne Fleisch behelfen; wo nichts ist, da hat der Kaiser sein Recht verloren. Armut ist keine Sünde, sagt man.«

»Wieviel Bauern hat dein Vater,« fragte Arkad.

»Das Gut ist nicht sein Eigentum, es gehört meiner Mutter, und ich glaube, daß es höchstens so an fünfzehn Seelen hat.«

»Zweiundzwanzig, mit Erlaubnis,« sagte Timofeitsch in gekränktem Ton.

Das Klappen der Pantoffeln ließ sich aufs neue vernehmen und Wassili Iwanowitsch erschien wieder im Kabinett.

»Noch einige Minuten,« rief er triumphierend »und das Zimmer wird bereit sein, Sie zu empfangen, Arkad... Nikolaitsch ...? das ist doch, wenn ich nicht irre, Ihr werter Name? Und dieser hier wird Sie bedienen,« fügte er hinzu und wies auf einen Diener, der mit ihm ins Zimmer getreten war, einen jungen Burschen mit kurzgeschnittenen Haaren, in einer blauen Bluse mit Löchern in den Ellenbogen und mit Stiefeln, die nicht ihm gehörten, an den Füßen. – »Er heißt Fedka. Haben Sie Nachsicht mit uns, ich muß Sie wiederholt darum bitten, obgleich mirs mein Sohn verboten hat. Übrigens versteht der Bursche sehr gut eine Pfeife zu stopfen. Sie rauchen doch?«

»Ich rauche meist Zigarren,« antwortete Arkad.

»Und Sie tun sehr wohl daran. Ich ziehe auch die Zigarre vor, aber es hält außerordentlich schwer, sich in dieser von der Hauptstadt so weit entfernten Provinz gute zu verschaffen.«

»Hör doch auf mit den Klageliedern,« sagte Bazaroff, »setz dich lieber aufs Sofa und laß mich dich betrachten.«

Wassili Iwanowitsch setzte sich lachend aufs Sofa. Er glich seinem Sohn sehr; nur war seine Stirn niedriger und schmäler, sein Mund etwas breiter, auch hatte er die Gewohnheit, fortwährend mit den Achseln zu zucken, als ob der Ärmelausschnitt seines Rockes zu eng wäre; er blinzelte mit den Augen, hustete und spielte anhaltend mit den Fingern, während sein Sohn sich durch eine gewisse sorglose Unbeweglichkeit auszeichnete.

»Klagelieder!« versetzte Wassili Iwanowitsch. »Bilde dir nicht ein, daß ich das Mitleid unseres Gastes erregen will. Namentlich fällt mirs nicht ein, ihm zu verstehen geben zu wollen, daß wir hier darauf beschränkt sind, in einer Wüste zu leben. Ja ich denke im Gegenteil, daß es für einen denkenden Menschen gar keine Wüste gibt. Auf alle Fälle tu ich mein möglichstes, kein Moos auf mir wachsen zu lassen, wie man zu sagen pflegt, nicht hinter dem Jahrhundert zurückzubleiben.«

Wassili Iwanowitsch zog ein nagelneues, gelbseidenes Taschentuch heraus, das er sich geholt hatte, als er auf Arkads Zimmer ging, und fuhr, dasselbe in der Luft schwenkend, fort:

»Ich will mich zum Beispiel nicht rühmen, daß ich mir meine Bauern zu Dank verpflichtet habe, indem ich ihnen die Hälfte meiner Ländereien abtrat, obgleich mir das bedeutenden Verlust verursacht. Ich hielt es für eine Pflicht, der einfache Menschenverstand befiehlt es, so zu handeln; ich wundere mich, daß nicht alle Grundbesitzer das einsehen. Was ich sagte, bezieht sich auf die Wissenschaften und die Bildung im allgemeinen.«