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»Wahrhaftig, ich sehe, du hast den ›Gesundheitsfreund‹ für das Jahr 1855,« sagte Bazaroff.

»Ein alter Freund hat ihn mir zum Andenken geschickt,« antwortete Wassili Iwanowitsch rasch.

»Wir haben aber auch einige Ideen von der Phrenologie, zum Beispiel –« fuhr er, übrigens hauptsächlich zu Arkad gewendet, fort und zeigte auf einen kleinen Gipskopf, der auf dem Schrank stand und oben in eine Menge Felder eingeteilt war – »die Namen Schönlein und Rademacher sind uns nicht unbekannt.«

»Man glaubt im Gouvernement X... noch an Rademacher?« fragte Bazaroff.

Wassili Iwanowitsch hustete.

»Im Gouvernement X...,« wiederholte er. »Ohne Zweifel müßt ihr Herren mehr davon wissen als wir; wir dürfen nicht daran denken, euch einzuholen. Ihr seid bestimmt, uns zu ersetzen. Ja zu meiner Zeit, erinnere ich mich, kamen uns der ›Humeralpatholog‹ Hoffmann oder Browe mit seinem ›Vitalismus‹ sehr spaßig vor, und doch hatten sie zu ihrer Zeit Aufsehen erregt. Irgendein neuer Gelehrter wird Rademacher ersetzt haben, und ihr nehmt ihn an, aber möglicherweise spottet man in zwanzig Jahren über ihn.«

»Ich kann dir zum Trost sagen,« versetzte Bazaroff, »daß wir jetzt über die ganze Medizin im allgemeinen lachen und keinen Meister anerkennen.«

»Wie das? Du widmest dich aber doch der Medizin?«

»Ja, aber das eine schließt das andere nicht aus.«

Wassili Iwanowitsch stieß den Finger in die Pfeife, in der noch ein wenig warme Asche war.

»Mag sein, mag sein,« sagte er, »ich will nicht streiten. Was bin ich am Ende? Ein pensionierter Regimentsarzt ›volatou‹. Jetzt bin ich Landmann geworden. Ich stand bei der Brigade Ihres Großvaters,« fügte er, wieder zu Arkad gewendet, hinzu. »Ja ja! Ich hab gar vieles gesehen in meinem Leben. In welchen Gesellschaften war ich nicht, wem bin ich nicht alles begegnet! Ich selber, ich, wie ich da vor euch stehe, habe den Fürsten Wittgenstein und Jublovsky den Puls gefühlt. Ebenso hab ich in der Südarmee die Männer des Vierzehnten gekannt; ihr versteht mich!«

Wassili Iwanowitsch begleitete diese Worte mit einem höchst bedeutungsvollen Einkneifen der Lippen.

»Ich wußte sie alle an den Fingern herzuzählen. Übrigens mische ich mich nicht in Dinge, die mich nichts angehen; man versteht sich auf seine Lanzette, und damit Punktum. Ich muß Ihnen sagen, daß Ihr Großvater ein sehr würdiger Mann, ein echter Soldat war.«

»'s war ein echter Klotz, gestehts nur,« warf Bazaroff hin.

»Aber Eugen! wie kannst du solche Ausdrücke gebrauchen! Das ist unverzeihlich... Sicherlich gehörte der General Kirsanoff nicht zu den...«

»Geh! Laß ihn in Ruh!« erwiderte Bazaroff. »Im Hereinfahren hab ich mit Vergnügen bemerkt, daß dein Birkenwäldchen hübsch herangewachsen ist.«

Wassili Iwanowitsch belebte sich plötzlich.

»Das ist noch nichts; du mußt den Garten sehen. Ich hab ihn mit eigener Hand gepflanzt! Wir haben da Obstbäume, alle möglichen Sträucher und Arzneipflanzen. Ihr habt gut schwatzen, ihr jungen Leute, aber der alte Paracelsus hat darum doch eine große Wahrheit verkündigt: In herbis, verbis et lapidibus... Ich meinesteils hab, wie du weißt, die Praxis aufgegeben; doch kommts noch zwei- oder dreimal die Woche vor, daß ich mein altes Handwerk wieder aufnehme. Man kommt, mich zu konsultieren; da kann ich doch die Leute nicht aus dem Hause werfen. Oft melden sich Arme; zudem ist kein Arzt im Ort. Ich hab einen Nachbar, einen Major, der mir ins Handwerk pfuscht. Ich frage ihn einmal, ob er Medizin studiert habe. Da gibt man mir zur Antwort: ›Nein, er hat nicht Medizin studiert, er tuts aus Menschenliebe...‹ Ha! ha! ha! aus Menschenliebe! Ha! ha! wie findst du das? Ha! ha! ha!«

»Fedka! stopf mir eine Pfeife,« rief Bazaroff brüsk.

»Wir haben noch einen andern Doktor,« nahm Wassili Iwanowitsch wieder das Wort, und seine Stimme verriet eine gewisse Ängstlichkeit.

»Stell dir vor, daß er eines Tages zu einem Kranken kommt, der schon ad patres gegangen war. Der Bediente will ihn nicht hereinlassen und sagt: ›Man braucht Sie jetzt nicht mehr.‹ Der Doktor, der auf diese Antwort nicht gefaßt war, kommt in Verwirrung und fragt den Diener: ›Hat der Kranke den Schlucken gehabt, ehe er starb?‹ – ›Ja.‹ – ›Sehr heftig?‹ – ›Ja.‹ – ›Ah! das ist sehr gut!‹ Und damit entfernte er sich, ha! ha! ha!«

Der Alte lachte allein; Arkad lächelte aus Gefälligkeit, Bazaroff blies eine Tabakswolke in die Luft. Die Unterhaltung dauerte so fast eine Stunde; Arkad begab sich dann auf sein Zimmer, das, wie es sich herausstellte, als Badevorzimmer diente, gleichwohl aber ganz wohnlich war. Endlich erschien Taniucha und meldete, daß das Essen fertig sei.

Wassili Iwanowitsch erhob sich zuerst.

»Kommt, ihr Herren, und entschuldigt gütigst, wenn ich euch gelangweilt habe. Ich hoffe, meine Hausfrau wird euch besser zufriedenstellen als ich.«

Das Essen, obgleich in der Eile zubereitet, war sehr gut, sogar reichlich; nur der Wein ließ zu wünschen übrig; der Xeres von fast schwarzer Farbe, den Timofeitsch bei einem Weinhändler in der Stadt, einem seiner Bekannten, gekauft hatte, hatte einen Nachgeschmack von Kolophonium und Kupfer. Auch die Mücken waren sehr lästig; gewöhnlich wehrte sie ein kleiner Diener mit einem Baumzweig ab; aber Wassili Iwanowitsch hatte ihn von diesem Amte dispensiert, um sich der Kritik der jungen Fortschrittsmänner nicht auszusetzen. Arina Vlassiewna hatte Zeit gefunden, Toilette zu machen; sie trug eine große Bänderhaube und einen blauen geblümten Schal. Sie fing aufs neue zu weinen an, sobald sie ihren Eniucha erblickte, aber es war nicht nötig, daß ihr Gatte behilflich war, sie zu beruhigen; sie selber trocknete eiligst die Tränen, da sie fürchtete, ihren Schal zu verderben.

Die jungen Leute taten dem Essen alle Ehre an; die Wirte, die schon zu Mittag gespeist hatten, aßen nicht mit. Die Aufwartung besorgten Fedka, den seine Stiefeln sehr inkommodierten, und ein einäugiges Weib mit männlichen Zügen, namens Anfisuschka, welche die Verrichtungen des Kellermeisters, der Wäscherin und des Hühnermädchens in ihrer Person vereinigte.

Während des ganzen Essens ging Wassili Iwanowitsch mit einem glücklichen, wahrhaft verzückten Gesicht im Zimmer auf und ab, wobei er die grausamen Befürchtungen auseinandersetzte, welche ihm die Politik des Kaisers Napoleon und die Dunkelheit der italienischen Frage verursachten. Arina Vlassiewna schien Arkad gar nicht zu sehen: das Kinn auf die Hand gestützt, zeigte sie ihr ganzes rundes Gesicht, dem kleine, aufgequollene kirschrote Lippen und Schönheitsmale auf den Wangen und über den Augenbrauen einen ganz eigentümlichen Ausdruck von naiver Güte gaben. Die Augen auf ihren Sohn geheftet, seufzte sie fortwährend; sie hätte für ihr Leben gern gewußt, auf wie lange er gekommen sei, wagte es aber nicht, ihn drum zu fragen. »Wenn er mir antwortete: nur auf zwei Tage?« sagte sie sich, und ihr Herz schlug vor Furcht. Nach dem Braten verschwand Wassili Iwanowitsch auf einen Augenblick, kam aber bald wieder mit einer halben Flasche Champagner, die er geöffnet hatte.

»Obgleich wir in einer wilden Gegend leben,« sagte er, »so fehlt es uns doch nicht an Stoff zur Erheiterung bei den großen Gelegenheiten.«

Er füllte drei große und ein kleines Glas, erklärte, daß er aufs Wohl der »teuern Besucher« trinke, leerte sein Glas nach Soldatenart auf einen Zug und zwang Arina Vlassiewna, das kleine Glas bis auf den letzten Tropfen auszutrinken. Als man ans Eingemachte kam, hielt es Arkad, der die süßen Speisen nicht vertragen konnte, doch für schicklich, dreierlei frischbereitete Arten zu kosten, um so mehr, als es Bazaroff rundweg abschlug und seine Zigarre anzündete. Nach dem Dessert kam Tee mit Rahm, Brezeln und Butter; alsdann führte Wassili Iwanowitsch seine Gesellschaft in den Garten, um den Abend zu genießen, der prachtvoll war. An einer Bank vorbeigehend, flüsterte er Arkad ins Ohr: