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»Erlaub mir, dir eine Bemerkung zu machen: was du da sagst, paßt im ganzen für alle Menschen...«

»Das ist richtig,« erwiderte Bazaroff, »ich wollte sagen, daß diese braven Leute, ich meine nämlich meine Eltern, sich beschäftigen und nicht an ihr Nichts denken; es ekelt und stinkt sie nicht an, während ich nur Langeweile und Haß zu empfinden vermag.«

»Haß? warum das?«

»Warum? welche Frage! Hast du denn vergessen?«

»Ich erinnere mich an alles, aber ich glaube nicht, daß es dir ein Recht gibt, zu hassen... Du bist unglücklich, ich gebe es zu, aber...«

»Ei! ei! Arkad Nikolaitsch, ich sehe, du verstehst die Liebe, wie alle jungen Leute von heut; du lockst die Henne put, put, put! und sobald die Henne kommt, nimmt man Reißaus! Das ist die Art nicht, wie ich es mache. Doch lassen wir das. Wenn einer Sache nicht zu helfen ist, so ist es eine Schande, sich mit ihr abzugeben.« – Er legte sich auf die Seite und fuhr fort: »Ah, da ist eine Ameise, welche lustig eine halbtote Mücke schleift. Immerzu, Alte, immerzu! Mach dir nichts aus ihrem Sträuben. Du kannst in deiner Eigenschaft als Tier jedes Gefühl von Erbarmen verschmähen. Das ist nicht wie unsereiner, die wir uns freiwillig vernichtet und zerbrochen haben.«

»Du solltest nicht so sprechen, Eugen! wann hast du dich zerbrochen, wie du sagst?«

Bazaroff richtete den Kopf auf.

»Ich glaube das Recht zu haben, stolz darauf zu sein. Ich habe mich nicht selbst zerbrochen, und einem Weib wird das sicher nie gelingen. Amen! es ist aus! Du wirst kein einziges Wort mehr über diesen Gegenstand von mir hören.«

Die beiden Freunde lagen einige Augenblicke da, ohne zu sprechen.

»Ja,« nahm Bazaroff wieder das Wort, »der Mensch ist ein sonderbares Wesen. Wenn man so von der Seite und von weitem das dunkle Leben betrachtet, welches hier die ›Väter‹ führen, so scheint es, als ob alles vollkommen sei. Iß, trinke und lebe deiner Meinung nach so weise und regelmäßig als möglich. Es ist doch nichts; die Langeweile packt dich bald. Man empfindet das Verlangen, unter andere Menschen zu gehen, wärs auch nur, um mit ihnen zu streiten – gleichviel, man muß eben unter sie gehen.«

»Man müßte das Leben so einrichten, daß jeder Augenblick eine Bedeutung hätte,« sagte Arkad nachdenklich.

»Gewiß! es ist immer angenehm, etwas zu bedeuten, selbst wenn es mit Unrecht geschähe. Man würde sich zur Not sogar die unbedeutenden Dinge gefallen lassen... Aber die Kleinigkeiten, die Erbärmlichkeiten... das ist das Übel!«

»Es gibt keine Kleinigkeiten für den, der keine anerkennen will.«

»Hm! Du hast da einen umgekehrten Gemeinplatz ausgesprochen.«

»Wie? Was meinst du damit?«

»Die Versicherung zum Beispiel, daß die Zivilisation nützlich sei, ist ein Gemeinplatz, die Behauptung aber, daß die Zivilisation schädlich sei, ist ein umgekehrter Gemeinplatz. Das lautet ein wenig vornehmer, aber im Grund ist es absolut ein Ding.«

»Aber die Wahrheit, wo muß man sie denn suchen?«

»Wo? Ich antworte dir wie das Echo; wo?«

»Du bist heute zur Schwermut aufgelegt, Eugen!«

»Wahrhaftig? es scheint, die Sonne hat mir auf den Kopf gebrannt, und dann, wir haben zuviel Himbeeren gegessen.«

»Da wärs gut, einen Schlaf zu tun,« sagte Arkad.

»Sei's, nur schau mich nicht an... man sieht immer dumm aus, wenn man schläft.«

»Es ist dir also nicht gleichgültig, was man von dir denkt?«

»Ich weiß nicht recht, was man darauf antworten soll. Ein Mann, der dieses Namens wahrhaftig würdig ist, dürfte sich um das, was man von ihm denkt, nicht kümmern; der wahre Mann ist der, der andern nichts zu denken gibt, sondern sie zwingt, ihm zu gehorchen oder ihn zu verabscheuen.«

»Das ist sonderbar! ich verabscheue niemand,« sagte Arkad nach kurzem Besinnen.

»Und ich verabscheue viele Leute! Du hast eine milde Seele, ein wahres Pflaumenkompott, wie könntest du verabscheuen?... Du bist furchtsam, hast kein Selbstvertrauen...«

»Und du,« erwiderte Arkad, »du hast noch viel Selbstvertrauen? Du schätzst dich sehr hoch?«

Bazaroff antwortete ihm nicht sogleich.

»Wenn ich einmal einem Menschen begegne, der in meiner Gegenwart nicht die Ohren hängen läßt,« versetzte Bazaroff langsam, »dann werde ich meine Meinung über mich selber ändern. – Verabscheuen?« fuhr er fort... »aber halt einmal, du hast vor kurzem gesagt, als wir an der großen und saubern Isba eures Starosten Philipp vorübergingen: Rußland werde so lange nicht auf seiner Höhe angekommen sein, bis der letzte Bauer eine solche Wohnung habe, und jeder von uns müsse dazu beitragen... Nun wohlan, ich habe sofort diesen Bauer verabscheut, heiß er Philipp oder Jakob, für dessen Wohl ich schanzen soll, ohne daß er mirs im mindesten Dank wüßte. Und doch, was sollt ich mit seiner Dankbarkeit tun? Wenn er in seiner guten Isba wohnt, dann werde ich die Nesseln auf dem Kirchhof düngen. Und was dann?«

»Schweig, Eugen, wenn man dich heute hört, ist man fast versucht, denen recht zu geben, die uns vorwerfen, daß wir keine Grundsätze haben.«

»Du sprichst wie dein würdiger Onkel. Es gibt keine Grundsätze. Hast du das bisher noch nicht gewußt? Es gibt nur Sensationen. Alles hängt von Sensationen ab.«

»Wieso?«

»Jawohl. Nimm mich zum Beispieclass="underline" Wenn ich vom Geist der Verneinung und des Widerspruchs beherrscht bin, so hängt das von meinen Sensationen ab. Es ist mir angenehm, zu verneinen, mein Hirn ist so gebaut und damit Punktum! Warum habe ich Gefallen an der Chemie? Warum ißt du gerne Äpfel? Alles kraft der Sensationen. Da liegt die Wahrheit, und nie werden die Menschen tiefer dringen. Man gesteht sichs nicht gerne, und selbst ich werde dirs nicht mehr wiederholen.«

»Aber von diesem Standpunkte aus wäre die Tugend selber nichts als eine Sensation?«

»Ohne allen Zweifel!«

»Eugen!« erwiderte Arkad in betrübtem Ton.

»Ah! Wahrhaftig? Der Bissen ist nicht nach deinem Geschmack,« sagte Bazaroff. »Nein, mein Lieber, wenn man entschlossen ist, alles abzumähen, muß man seine eigenen Beine nicht schonen. Aber wir haben nun in dieser Weise genug philosophiert. Die Natur ladet uns zur Ruh des Schlummers ein, sagt Puschkin.«

»Er hat nie etwas Ähnliches gesagt,« erwiderte Arkad.

»Wenn ers nicht gesagt hat, hätte ers in seiner Eigenschaft als Dichter sagen können oder sollen. Apropos, er war doch Soldat?«

»Puschkin war nie Soldat.«

»Geh doch! auf jeder Seite ruft er aus: ›Zu den Waffen! zu den Waffen! für die Ehre Rußlands!‹ «

»Woher nimmst du alle diese Erfindungen? ich nenne das verleumden.«

»Verleumden? wie hübsch! Glaubst du mich mit diesem Worte zu erschrecken? Welche Verleumdungen man immer über einen Menschen verbreitet, er verdient noch zwanzigmal mehr.«

»Suchen wir lieber zu schlafen,« sagte Arkad verletzt.

»Mit dem größten Vergnügen,« antwortete Bazaroff.

Aber sie konnten beide nicht einschlafen, ein Gefühl von Feindseligkeit hatte sich in ihr Herz geschlichen. Nach wenigen Minuten öffneten sie die Augen und blickten sich schweigend an.

»Sieh,« sagte plötzlich Arkad, »sieh dies verdorrte Blatt, welches sich eben von einer Platane löste und zur Erde fällt, es flattert in der Luft, ganz wie ein Schmetterling. Ist das nicht sonderbar? Das Traurigste und Toteste was es gibt, gleicht dem Heitersten und Lebendigsten!«

»Mein teurer Arkad Nikolajewitsch,« rief Bazaroff aus, »ich bitte dich um Gottes willen, sprich nicht poetisch.«