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»Ich spreche, wie ichs verstehe... Aber wahrhaftig, das streift an Tyrannei. Wenn mir ein Gedanke kommt, warum soll ich ihn nicht ausdrücken?«

»Das ist richtig; aber warum soll ich nicht gleichfalls sagen, was ich denke? Ich finde es unanständig, poetisch zu sprechen.«

»Es ist deiner Meinung nach ohne Zweifel anständiger, Grobheiten zu sagen?«

»Heh! heh! ich seh, du bist entschlossen, in die Fußstapfen deines Onkels zu treten. Wie glücklich wär dieser Idiot, wenn er dich hören könnte!«

»Wie hast du Paul Petrowitsch genannt?«

»Wie er es verdient: einen Idioten.«

»Das wird unerträglich!« rief Arkad aus.

»Ah! der Familiensinn ist erwacht,« sagte Bazaroff ruhig. »Ich habe bemerkt, daß er bei allen Menschen tief eingewurzelt ist. Sie sind fähig, auf alles zu verzichten, alle Vorurteile abzulegen; aber anzuerkennen zum Beispieclass="underline" daß ein Bruder, der Taschentücher gestohlen hat, ein Dieb ist, das geht über ihre Kräfte. In der Tat, eine Person, die mir so nahe steht, ›mein‹ Bruder, könnte er nicht ein Genie sein?«

»Ich habe einzig dem Sinn für Gerechtigkeit und keineswegs dem für die Familie gehorcht,« antwortete Arkad lebhaft. »Aber da du für diesen Sinn kein Verständnis hast, da diese ›Sensation‹ dir fehlt, solltest du gar nicht davon sprechen.«

»Das kommt darauf hinaus: Arkad Kirsanoff ist mir zu hoch, als daß ich ihn verstehen könnte; ich beuge mich und verurteile mich zum Stillschweigen.«

»Hör doch auf, Eugen! ich bitte dich; wir bekommen schließlich noch Händel.«

»Ach, ich beschwöre dich, Arkad, wir wollen Händel anfangen, wir wollen uns tüchtig prügeln, bis zur Vertilgung der tierischen Wärme.«

»Das führt am Ende in Wirklichkeit zu...«

»Zu Faustschlägen?« fiel Bazaroff ein, »warum nicht? hier auf diesem Heuhaufen, in dieser ganzen idyllischen Umgebung, entfernt von der Welt und den Blicken der Menschen, es könnte gar nicht schöner sein. Aber du bist nicht imstande, dich mit mir zu messen. Ich werde dich bei der Kehle packen...«

Bazaroff streckte seine knochigen Finger aus... Arkad wandte sich lachend um und schickte sich zur Verteidigung an... Aber das Gesicht seines Freundes, das Grinsen, welches seine Lippen verzog, und das düstere Feuer, das in seinen Augen glühte, schien ihm eine solch ernste Drohung auszudrücken, daß ihn unwillkürlich ein Gefühl von Furcht überkam...

»Ah! find ich euch endlich!« rief in diesem Augenblick Wassili Iwanowitsch, welcher in einem Wams von zu Hause gewebter Leinwand und mit einem Strohhut aus derselben Fabrik auf dem Kopf vor den jungen Leuten erschien. »Ich habe euch gesucht und gesucht... Aber ihr habt einen prächtigen Platz gewählt und überlaßt euch einem süßen Zeitvertreib. ›Auf der Erde liegend den Himmel betrachten‹... wißt ihr, daß diese Lage eine ganz eigentümliche Bedeutung hat?«

»Ich betrachte den Himmel nur, wenn ich niesen will,« sagte Bazaroff mürrisch, und zu Arkad tretend, fügte er leise hinzu: »Es tut mir leid, daß er uns verhindert hat.«

»Geh! es ist genug!« sagte Arkad und drückte ihm verstohlen die Hand.

»Ich schau euch an, meine jungen Freunde,« fuhr Wassili Iwanowitsch kopfschüttelnd fort, wobei er seine gefalteten Hände auf einen Stock stützte, den er selbst kunstvoll spiralförmig gewunden und oben mit einem Türkenkopf verziert hatte, »ich schau euch an und kann es nicht satt bekommen. Wieviel Kraft, Jugend, Fähigkeit, Talent steckt in euch... Kastor und Pollux!«

»Gut!« rief Bazaroff aus, »jetzt stürzt er sich in die Mythologie! Man sieht sofort, daß er seinerzeit im Latein stark war. Hast du nicht eine silberne Medaille für deine Schularbeiten erhalten?«

»Dioskuren! Dioskuren!« wiederholte Wassili Iwanowitsch.

»Geh, Vater! sei vernünftig, etwas weniger Zärtlichkeit.«

»Einmal von Zeit zu Zeit macht noch keine Gewohnheit,« stotterte der Greis. »Übrigens bin ich nicht gekommen, meine Herren, um euch Komplimente zu machen, sondern erstens, um euch anzukündigen, daß wir bald essen werden, und zweitens, um dich zu benachrichtigen, Eugen... Du bist ein Bursche von Geist, du kennst die Männer und die Frauen, wirst also verzeihen... deiner Mutter lag sehr daran, Dankgebete für deine Ankunft lesen zu lassen. Bilde dir nicht ein, daß ich dich auffordern will, denselben anzuwohnen, die Zeremonie ist schon vorüber. Aber der Pater Alexis...«

»Der Pope?«

»Ja! der Priester ist drinnen... und wird zum Essen bleiben... Ich hab es selber nicht vermutet und riet ihm sogar ab... aber ich weiß nicht, wie es kam.. er hat mich nicht verstanden... zudem, Arina Vlassiewna... immerhin aber ist er ein sehr gescheiter und in jeder Hinsicht angenehmer Mann.«

»Ich hoffe, er wird mir meine Portion bei Tische nicht wegessen?« fragte Bazaroff.

Wassili Iwanowitsch lachte.

»Nein! gewiß nicht!« erwiderte er.

»Mehr verlange ich nicht, meinethalben kannst du zu uns an den Tisch setzen, wen du willst.«

»Ich wußte ja wohl, daß du über alle Vorurteile erhaben bist. Es wär auch etwas stark. Hab doch ich, der ich bereits mein dreiundsechzigstes angetreten, gleichfalls keine. (Wassili Iwanowitsch wagte nicht zu gestehen, daß es ihm um die Gebete nicht minder zu tun war als seiner Frau, denn er war so religiös wie sie.) Aber der Pater Alexis wünschte sehr, deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin überzeugt, daß er dir gefallen wird. Er macht sehr gern ein Spielchen und... doch das bleibt unter uns... raucht sogar seine Pfeife wie ein anderer.«

»Nun, wir werden nach Tisch eine Partie Jeralasch machen, und ich werd euch das Geld abnehmen.«

»He! he! he! Das wollen wir sehen.«

»Wie! willst du von gewissen Talenten Gebrauch machen?« fragte Bazaroff mit ganz besonderer Betonung.

Eine leichte Röte überzog die bronzefarbenen Wangen Wassili Iwanowitschs.

»Schämst du dich nicht, Eugen... was vorbei ist, ist vorbei. Nun ja, ich wills vor unserem jungen Freund bekennen, daß ich in meiner Jugend diese Leidenschaft hatte, aber ich habs teuer bezahlt! Wie heiß es heute ist! Erlaubt mir, neben euch Platz zu nehmen, wenn ich euch nicht störe?«

»Keineswegs!« antwortete Arkad.

Wassili Iwanowitsch setzte sich auf das Heu und hob mit weinerlicher Stimme an:

»Dies Lager da, meine teuern Herren, erinnert mich an mein Soldatenleben, an Biwak und Ambulanzen; das spielte auch so neben einem Schober, wenn noch einer da war!« – er tat einen Seufzer – »ach, ich hab gräßliche Szenen gesehen in meinem Leben! ich will euch, wenn ihrs erlaubt, eine Episode von der Pest erzählen, die uns in Bessarabien dezimiert hat.«

»Und die dir den St. Wladimirorden eingetragen hat,« sagte Bazaroff, »ich kenns! ich kenns!... Apropos, warum trägst du ihn nicht?«

»Ich sagte dir ja eben, daß ich keine Vorurteile habe,« antwortete Wassili Iwanowitsch verlegen (er hatte das rote Band erst tags zuvor aus dem Knopfloch trennen lassen). Und er fing an, die fragliche Episode zu erzählen.

»Sehen Sie den! er ist eingeschlafen,« flüsterte er plötzlich Arkad ins Ohr, indem er auf Bazaroff zeigte und vertraulich mit den Augen blinzte.

»Eugen, auf!« setzte er laut hinzu, »wir wollen zum Essen gehen!«

Pater Alexis, ein kräftiger, hochgewachsener Mann mit dichtem, sorgfältig gekämmtem Haar und breitem gesticktem Gürtel über dem lilaseidenen Rock, benahm sich mit viel Verstand und Takt. Er schüttelte den jungen Leuten zuerst die Hand, als ob er zum voraus gewußt hätte, daß ihnen keineswegs etwas daran gelegen sei, seinen Segen zu empfangen, und ohne seinem Stand etwas zu vergeben, verstand er es sehr gut, niemanden zu verletzen. Er scheute sich nicht, gelegentlich über das Latein, das man in den Seminarien lehrt, einige Scherze zu machen, und nahm sich gleich darauf wieder seines Erzbischofs an; nachdem er zwei Glas Wein getrunken hatte, schlug er das dritte aus; er nahm die Zigarre an, die ihm Arkad gab, rauchte sie aber nicht, sondern sagte, daß er sie mitnehmen wolle. Doch hatte er die weniger angenehme Gewohnheit, jeden Augenblick die Hand langsam und vorsichtig dem Gesicht zu nähern, um die Mücken zu fangen, die sich daraufgesetzt hatten, wobei es ihm manchmal widerfuhr, daß er sie zerquetschte. Er setzte sich an den Spieltisch, ohne besonderes Vergnügen dabei zu verraten, und gewann Bazaroff schließlich zwei Rubel fünfzig Kopeken Papier ab (von »Rubel Silber« hatte man in dem Hause der Arina Vlassiewna keine Vorstellung). Arina, die nie spielte, saß neben ihrem Sohn, das Kinn nach ihrer Gewohnheit auf die Hand gestützt, und stand nur auf, um weitere Erfrischungen zu bestellen. Sie fürchtete, zuviel Aufmerksamkeit für Bazaroff zu haben, und er ermunterte sie keineswegs dazu; überdies hatte ihr Wassili Iwanowitsch eingeschärft, ihn nicht zu quälen. »Die jungen Leute lieben das nicht,« sagte er ihr wiederholt. (Wir dürfen nicht vergessen, zu bemerken, daß für das Mittagessen nichts gespart war. Timofeitsch hatte sich mit Tagesanbruch in Person nach der Stadt begeben, um dort Fleisch erster Qualität zu kaufen; der Starost verfügte sich anderswohin, um Nalimes, Barsche und Krebse aufzutreiben; den Bauernweibern bezahlte man bis vierzig Kopeken für die Champignons.) Die Augen Arinas, beständig auf Bazaroff geheftet, drückten jedoch nicht bloß Hingebung und Zärtlichkeit aus; man las darin auch eine mit Neugier und Furcht und selbst mit einer Art stillen Vorwurfs gemischte Traurigkeit. Übrigens bekümmerte sich Bazaroff sehr wenig um das, was die Augen seiner Mutter ausdrücken mochten, er sprach fast nichts mit ihr und beschränkte sich darauf, ganz kurze Fragen an sie zu richten, doch bat er sie um ihre Hand, in der Hoffnung, daß ihm das Glück bringen werde. Arina Vlassiewna legte ihr zartes, weiches Händchen in die breite, rauhe Hand des Sohnes.