»Nun,« fragte sie ihn einen Augenblick darauf, »hilft es?«
»Es geht noch schlechter,« antwortete er mit sorglosem Lächeln.
»Der Herr spielt viel zu verwegen,« sagte Pater Alexis in bedauerndem Ton und streichelte seinen schönen Bart.
»So machte es Napoleon,« versetzte Wassili Iwanowitsch und spielte ein As aus.
»Und so muß Napoleon auf der Insel St. Helena gestorben sein,« erwiderte der Pater Alexis und stach das As mit einem Trumpf.
»Eniuchenka! willst du ein Glas Johannisbeerwein?« fragte Arina Vlassiewna ihren Sohn.
Bazaroff zuckte bloß die Achseln.
»Nein!« sagte Bazaroff am andern Morgen zu Arkad, »ich muß wieder fort von hier. Ich langweile mich hier, ich möchte arbeiten, und doch ist mirs unmöglich, etwas zu tun. Ich will zu euch zurückkehren, wo ich all mein Material gelassen habe. In eurem Hause kann man doch wenigstens allein sein, wenn man will. Aber hier wiederholt mir mein Vater beständig: Du kannst über mein Studierzimmer verfügen; da stört dich kein Mensch; und er selbst verläßt mich nicht mit einem Schritt. Auch würde ich mir doch einigermaßen ein Gewissen daraus machen, ihm meine Tür zu verschließen. Meine Mutter stört mich kaum weniger; ich höre sie beständig in ihrem Zimmer seufzen, und wenn ich zu ihr hineingehe, weiß ich ihr nichts zu sagen.«
»Deine Abreise wird sie sehr betrüben, und deinen Vater auch,« antwortete Arkad.
»Ich komme wieder.«
»Wann?«
»Auf der Rückreise nach Petersburg.«
»Deine Mutter besonders dauert mich.«
»Warum das? Etwa weil sie dir so gute Früchte zu essen gegeben hat?«
Arkad schlug die Augen nieder.
»Du kennst deine Mutter nicht,« sagte er zu Bazaroff, »sie hat nicht nur ein vortreffliches Herz, sie ist auch sehr gescheit. Wir haben diesen Morgen mehr als eine halbe Stunde zusammen geplaudert, und ihre Unterhaltung ist höchst verständig und interessant.«
»Ohne Zweifel war ich der Gegenstand derselben?«
»Wir haben auch von anderen Dingen gesprochen.«
»Es ist möglich, daß du recht hast, man sieht so etwas als Zuschauer oft besser; wie beim Billard. Wenn eine Frau imstande ist, eine halbe Stunde die Kosten der Unterhaltung zu tragen, so ist das schon ein gutes Zeichen. All das kann mich aber nicht abhalten, abzureisen.«
»Ich weiß nicht, wie du's angreifen willst, ihnen diese Nachricht beizubringen? Sie scheinen zu glauben, daß wir wenigstens noch vierzehn Tage hierbleiben.«
»Das kommt mir sehr ungelegen. Zudem hatte ich heute den dummen Einfall, meinen Vater zu necken, weil er neulich einen Bauern hat peitschen lassen, und zwar mit Recht. Ja ja, mit Recht, sieh mich nicht mit so großen Augen an; er hat sehr wohl daran getan, ihn zu strafen, weils ein unverbesserlicher Dieb und Trunkenbold ist; nur glaubte mein Vater nicht, daß ich in dieser Sache so gut unterrichtet sei, wie man zu sagen pflegt. Er ist darüber ganz betroffen gewesen; und gerade jetzt muß ich ihm den Kummer verursachen... Doch was liegt daran! Das heilt bis zur Hochzeit.«
Obgleich Bazaroff diese letzteren Worte in ziemlich entschiedenem Tone gesprochen hatte, konnte er sich doch nicht entschließen, die Abreise seinem Vater früher anzukündigen, als im Augenblick, wo er ihm in seinem Studierzimmer gute Nacht wünschte. Mit gezwungenem Gähnen sagte er:
»Noch eins... Fast hätte ich vergessen, dirs mitzuteilen... Man wird morgen unsere Pferde zu Fedote vorausschicken müssen.«
Wassili Iwanowitsch blieb wie betäubt.
»Will uns Herr Kirsanoff verlassen?« fragte er endlich.
»Ja, und ich reise mit ihm.«
Wassili Iwanowitsch fuhr betroffen zurück.
»Du willst uns verlassen?«
»Ja... ich habe zu arbeiten. Habe die Güte, die Pferde vorauszuschicken.«
»'s ist gut,« stammelte der Greis, »zum Relais... ganz gut, recht... nur... nur... ists möglich?«
»Ich muß auf einige Tage zu Kirsanoff. Ich komme dann wieder.«
»So? auf einige Tage... es ist gut.«
Wassili Iwanowitsch nahm sein Taschentuch und schneuzte sich, indem er sich fast bis auf den Boden bückte.
»Gut! nun ja... es soll besorgt werden. Aber ich dachte, daß du... länger... drei Tage... nach drei Jahren Abwesenheit, das ist nicht... das ist nicht viel, Eugen!«
»Ich sagte dir ja eben, daß ich bald wiederkomme, es ist unumgänglich notwendig...«
»Unumgänglich... Nun ja! Seine Pflicht muß man vor allem erfüllen... Du willst, daß ich die Pferde vorausschicke? Es ist gut, aber wir waren nicht darauf gefaßt, Arina und ich! sie hat jetzt eben bei einer Nachbarin Blumen geholt, um dein Zimmer damit zu schmücken.«
Wassili Iwanowitsch sagte nicht, daß er jeden Morgen mit Tagesanbruch barfuß und in Pantoffeln Timofeitsch aufsuchte und ihm eine ganz zerrissene Banknote einhändigte, die er mit zitternden Händen aus dem untersten Säckel hervorholte; diese Banknote war zum Einkauf verschiedener Vorräte bestimmt, hauptsächlich von Eßwaren und rotem Wein, dem die jungen Leute stark zusprachen.
»Es gibt nichts Köstlicheres als die Freiheit; das ist mein Grundsatz... man muß den Leuten keinen Zwang antun... man muß...«
Wassili Iwanowitsch verstummte plötzlich und ging nach der Türe.
»Wir sehen uns bald wieder, Vater, ich verspreche dirs.«
Aber Wassili Iwanowitsch wandte sich nicht um, er verließ das Zimmer mit einer Handbewegung. Beim Eintritt ins Schlafzimmer fand er seine Frau schon eingeschlafen; er betete leise, um sie nicht zu stören, dennoch wachte sie auf.
»Bist du's, Wassili Iwanowitsch?« fragte sie.
»Ja, Mutter!«
»Du kommst gerade von Eniucha? Ich fürchte, daß er auf seinem Sofa nicht gut liegt. Ich habe übrigens Anfisuschka gesagt, daß sie ihm deine Feldmatratze und die neuen Kissen gibt; ich hätt ihm gern unser Federbett abgetreten, aber ich glaube mich zu erinnern, daß er nicht gern weich liegt.«
»Das tut nichts, Mutter, beruhige dich. Er hat über nichts zu klagen. ›Herr, vergib uns unsere Sünden!‹ « fuhr er in seinem Gebet fort. Mehr sagte Wassili Iwanowitsch nicht; er wollte seiner armen Frau die Nachricht nicht mitteilen, welche ihre Ruhe gestört hätte.