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»Ich bin mit meinen Kräften zu Ende!« rief Nikolaus Petrowitsch mehr als einmal. »Es ist nicht möglich, daß ich diese Leute da selber bessern kann, und meine Grundsätze erlauben mir nicht, die Hilfe der Polizei dazu in Anspruch zu nehmen. Gleichwohl werden sie ohne Furcht vor Strafe nie etwas tun.«

»Ruhig! Ruhig!« antwortete Paul Petrowitsch, schien aber, während er seinem Bruder Ruhe empfahl, selber sehr unzufrieden zu sein und strich sich den Schnurrbart.

Bazaroff blieb all dieser »Misere« fremd, zudem erlaubte ihm seine Stellung im Hause nicht wohl, anders zu handeln. Den Tag nach seiner Rückkehr nach Marino hatte er seine Untersuchungen über die Frösche und Jufusorien und über gewisse chemische Verbindungen wieder aufgenommen und war ganz in diese Arbeiten vertieft. Was Arkad betrifft, so hielt er es für seine Pflicht, wo nicht seinem Vater zu Hilfe zu kommen, doch wenigstens seine Bereitwilligkeit dazu zu zeigen. Er hörte ihn geduldig an und wagte es eines Tags, ihm einen Rat zu geben, nicht so ganz in der Hoffnung, ihn befolgt zu sehen, als um wenigstens seinen guten Willen zu beweisen. Die häuslichen Geschäfte erregten ihm keinen Widerwillen; er nahm sich sogar vor, sich dereinst mit Liebe der Landwirtschaft zu widmen; für den Augenblick aber hatte er andere Gedanken im Kopf. Zu seiner großen Verwunderung mußte er beständig an Nikolskoi denken; früher hätte er die Achseln gezuckt, wenn ihm jemand gesagt hätte, daß er sich unter dem gleichen Dach mit Bazaroff, und unter welchem Dach noch dazu! unter dem väterlichen Dach, würde langweilen können; aber er langweilte sich in der Tat und wäre gern weit weg gewesen. Er nahm sich vor, lange Spaziergänge zu machen, aber das half ihm nichts.

Als Arkad eines Tages mit seinem Vater plauderte, erfuhr er, daß dieser mehrere ziemlich interessante Briefe aufbewahrt hatte, welche die Mutter der Frau Odinzoff einst an seine Frau gerichtet hatte, und er bat so inständig um dieselben, daß Nikolaus Petrowitsch sie nicht ohne Mühe unter seinen alten Papieren hervorsuchte und ihm einhändigte. Einmal im Besitz dieser halbverblaßten Briefe, fühlte er sich ruhiger, als ob er endlich das Ziel gefunden hätte, nach dem er streben müsse. »Und zwar beide; hören Sie! hat sie von selber hinzugesetzt.« Dieser Gedanke wollte ihm nicht aus dem Kopf. »Ich gehe hin! Ich gehe hin, ja der Teufel soll mich holen!« Wenn er sich aber dann an den letzten Besuch in Nikolskoi und an den kalten Empfang erinnerte, gewann seine Schüchternheit wieder die Oberhand. Endlich jedoch trug das »Wer weiß« der Jugend, der stille Wunsch, sein Glück zu versuchen, seine Kräfte ohne Zeugen und ohne Beschützer zu erproben, den Sieg davon. Noch waren keine zehn Tage seit der Rückkehr der jungen Leute nach Marino verflossen, als er unter dem Vorwand, die Einrichtung der Sonntagsschulen zu studieren, aufs neue in die Stadt und von da nach Nikolskoi reiste. Die Art, wie er den Kutscher beständig zur Eile antrieb, hatte etwas von einem jungen Offizier, der zum Kampfe eilt; Freude, Furcht und Ungeduld teilten sich in sein Herz. »Vor allem darf man nicht reflektieren,« wiederholte er sich unaufhörlich. Der Kutscher, der ihn führte, war ein durchtriebener Bauer, der vor jeder Kneipe anhielt und fragte: »Soll man nicht den Wurm umbringen?«

Wenn aber der Wurm umgebracht war, stieg er wieder auf seinen Bock und schonte seine Pferde nicht. Endlich zeigte sich das hohe Dach des wohlbekannten Hauses den Blicken Arkads.

»Was tu ich da?« fragte er sich plötzlich, aber es war nicht mehr möglich, umzukehren.

Die Pferde waren im vollen Lauf; der Kutscher feuerte sie mit Schreien und Pfeifen an.

Schon dröhnte die kleine hölzerne Brücke unter den Hufen der Pferde und unter den Rädern; da ist die lange Allee von Tannen, die wie Mauern geschnitten sind. Ein Rosakleid hebt sich von dem dunkeln Grün ab; ein jugendliches Gesicht blickt unter den feinen Fransen eines Sonnenschirms hervor... Arkad hat Katia erkannt und sie ihn auch. Er befiehlt dem Kutscher, die Pferde anzuhalten, die immer noch im Galopp liefen, springt aus dem Wagen und läuft ihr entgegen.

»Sie sinds!« rief Katia leicht errötend. – »Kommen Sie zu meiner Schwester; sie ist hier im Garten, es wird ihr sehr angenehm sein, Sie wiederzusehen.«

Katia führte Arkad in den Garten. Ihre Begegnung schien ihm glückverheißend; das Wiedersehen erfüllte ihn mit einer Freude, als ob sie eine seiner nahen Verwandten gewesen wäre. Alles ging zum besten. Kein Haushofmeister mit seinen feierlichen Gebärden, kein Warten im Salon. Er gewahrte Frau Odinzoff am Ende einer Allee; sie kehrte ihm den Rücken zu und wandte sich beim Geräusch der Schritte ruhig um. Arkad war nahe daran, aufs neue aus der Fassung zu kommen, aber die ersten Worte, die sie sprach, gaben ihm wieder seine volle Sicherheit.

»Guten Tag, Flüchtling!« sagte sie mit ihrer gleichmäßigen und schmeichelnden Stimme; damit ging sie ihm lächelnd und vor Sonne und Wind mit den Augen blinzend entgegen. – »Wo hast du ihn gefunden, Katia?«

»Ich bringe Ihnen etwas,« begann Arkad, »was Sie wohl schwerlich erwarten...«

»Sie haben sich selber gebracht, das ist die Hauptsache.«

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Nachdem er Arkad mit ironischem Bedauern und gewissen Worten, welche zu verstehen gaben, daß er den wahren Zweck seiner Reise wohl errate, an den Wagen begleitet hatte, fing Bazaroff an, ganz zurückgezogen zu leben; er schien von einem Arbeitsfieber erfaßt zu sein. Er stritt nicht mehr mit Paul, da dieser bei solchen Gelegenheiten gar zu aristokratische Manieren annahm und weniger mit Worten als mit unartikulierten Lauten antwortete. Ein einziges Mal hatte sich Paul in einen Streit mit dem Nihilisten eingelassen über die Rechte des Adels in den baltischen Provinzen, welche damals an der Tagesordnung waren; er brach jedoch plötzlich ab und sagte mit kalter Höflichkeit:

»Übrigens werden wir uns nie verständigen. Ich wenigstens habe nicht die Ehre, Sie zu begreifen.«

»Ich zweifle nicht daran,« rief Bazaroff. »Der Mensch kann alles begreifen: die Schwingungen des Äthers und die Veränderungen, die in der Sonne vorgehen; aber er wird nie begreifen, daß man sich anders schneuzen könne, als er es tut.«