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»Sie finden das geistreich?« erwiderte Paul und setzte sich ans andere Ende des Zimmers.

Gleichwohl kam es ihn an, Bazaroff um die Erlaubnis zu bitten, seinen Versuchen beiwohnen zu dürfen. Paul näherte sogar einmal sein gewaschenes und mit den seltensten Essenzen parfümiertes Gesicht dem Mikroskop; es galt, ein durchsichtiges Infusorientier ein grünliches Atom verschlingen zu sehen, das es mit gewissen in seinem Schlund befestigten Ansätzen hin und her drehte. Nikolaus Petrowitsch kam viel öfter auf Bazaroffs Zimmer als sein Bruder; er wäre alle Tage gekommen, um seinen Unterricht zu nehmen, wie er sagte, wenn ihn die häuslichen Geschäfte nicht anderswohin gerufen hätten. Er störte den jungen Naturforscher durchaus nicht; er setzte sich in eine Ecke des Zimmers, folgte den Versuchen desselben mit Aufmerksamkeit und erlaubte sich nur selten, eine bescheidene Frage an ihn zu stellen. Beim Mittag- und Abendessen suchte er die Unterhaltung auf Physik, Geologie oder Chemie zu leiten, da alle andern Gegenstände, selbst landwirtschaftliche Fragen, von politischen Angelegenheiten wohlverstanden gar nicht zu reden, vielleicht Streit oder doch wenigstens unangenehme Erörterungen herbeiführen konnten. Kirsanoff war überzeugt, daß die Abneigung seines Bruders gegen Bazaroff nicht abgenommen habe. Ein übrigens unbedeutender Umstand bestärkte ihn in dieser Ansicht. Die Cholera fing an, sich in der Umgegend zu zeigen, und hatte sogar zwei Bewohner Marinos weggerafft. Paul wurde in einer Nacht ziemlich heftig von ihr befallen; er litt Schmerzen bis zum Morgen, ohne zu der Kunst Bazaroffs seine Zuflucht zu nehmen. Als ihn dieser am andern Morgen besuchte und fragte, warum er ihn nicht habe rufen lassen, antwortete er ihm noch ganz bleich, aber gleichwohl sorgfältig gekämmt und rasiert: »Ich meine, Sie sagen gehört zu haben, daß Sie nicht an die Medizin glauben.« Das alles hinderte Bazaroff nicht, seine einsamen Arbeiten unablässig fortzusetzen; gleichwohl gab es im Hause jemand, dem er sich allerdings nicht ganz erschloß, dessen Gesellschaft ihm aber sehr angenehm war: das war Fenitschka. Er begegnete ihr gewöhnlich des Morgens früh im Garten oder im Hof; er betrat ihr Zimmer niemals, und sie näherte sich nur ein einziges Mal seiner Türe, um ihn zu fragen, ob sie wohl tun würde, Mitia zu baden. Und doch hatte sie, weit entfernt, ihn zu fürchten, das vollste Vertrauen zu ihm und fühlte sich in seiner Gegenwart sogar freier und ungezwungener als vor Nikolaus Petrowitsch. Es wäre ziemlich schwer, den Grund hiervon anzugeben; vielleicht war es, weil sie instinktiv begriff, daß Bazaroff durchaus nichts vom gnädigen Herrn, vom »Baron«, an sich habe, nichts von jener Art Überlegenheit, die zugleich anzieht und einschüchtert. Er war in ihren Augen ein vortrefflicher Doktor und ein braver Mann. Seine Gegenwart hinderte sie nicht, sich mit ihrem Kinde abzugeben, und einmal, als sie sich plötzlich von Schwindel und Kopfweh befallen fühlte, nahm sie von seiner Hand einen Löffel Arznei. In Nikolaus Petrowitsch Anwesenheit zeigte sie sich weniger vertraut mit Bazaroff, keineswegs aus Berechnung, sondern aus einer Art von Schicklichkeitsgefühl. Paul flößte ihr mehr als jemals Furcht ein; er schien seit einiger Zeit ihr Benehmen auszukundschaften und kam, als ob er aus der Erde gestiegen wäre, in seinem englischen Anzug, mit seinem unbeweglichen Gesicht, seinem durchbohrenden Blick und die Hände in den Taschen, plötzlich hinter Fenitschkas Rücken zum Vorschein. »Man bekommt einen förmlichen Schauder vor ihm,« sagte Fenitschka zu Duniascha, und diese antwortete mit einem Seufzer, den ihr die Erinnerung an einen andern Gefühllosen erpreßte. Das war Bazaroff, der, ohne es zu wissen, der grausame Tyrann ihres Herzens geworden war.

Wenn Bazaroff Fenitschka gefiel, so wurde dieses Gefühl erwidert. Wenn er mit dem jungen Mädchen sprach, bekam sein Gesicht einen anderen Ausdruck, es wurde heiterer, beinahe sanft, und zugleich mischte sich eine Art spöttischer Artigkeit mit seinem gewöhnlichen nachlässigen Wesen. Fenitschka wurde von Tag zu Tag schöner. Es kommt eine Zeit für die jungen Frauen, wo sie plötzlich anfangen, sich zu entfalten und aufzublühen wie die Sommerrosen: diese Zeit war für Fenitschka gekommen. Alles trug dazu bei, selbst die Hitze des Juli, der eben begonnen hatte. In ihrem leichten weißen Kleide erschien sie selber noch weißer und leichter; die Sonne verbrannte sie nicht, und die Hitze, vor der man sich unmöglich bergen konnte, färbte ihre Wangen und Ohren mit zartem Rot, verbreitete über ihr ganzes Wesen eine süße Mattigkeit und verlieh, indem sie ihren schönen Augen das Schmachten des Halbschlummers gab, ihren Blicken eine unwillkürliche Zärtlichkeit. Sie konnte beinahe nichts arbeiten, die Hände glitten ihr sozusagen von ihren Knien. Kaum fühlte sie sich imstande, zu gehen, und hörte nicht auf, mit einer komischen Entkräftung zu klagen.

»Du solltest öfter baden,« sagte Kirsanoff zu ihr. Er hatte zu diesem Behuf ein großes Zelt über einem seiner Teiche errichten lassen, der noch nicht ganz ausgetrocknet war.

»Oh! Nikolaus Petrowitsch! aber ehe ich an den Teich komme, bin ich tot, oder ich sterbe auf dem Rückwege. Sie wissen ja, daß es in dem Garten gar keinen Schatten gibt.«

»Das ist wahr,« erwiderte Kirsanoff und rieb sich die Stirne.

Eines Morgens gegen sieben Uhr traf Bazaroff bei seiner Rückkunft vom Spaziergang Fenitschka in der Fliederlaube, die zwar schon lange abgeblüht, aber noch frisch und grün war. Fenitschka saß auf der Bank, das Haupt mit einem weißen Taschentuch bedeckt; neben ihr ein Haufen roter und weißer Rosen, auf denen noch der Tau lag. Er bot ihr guten Morgen.

»Ah! Eugen Wassilitsch,« sagte sie, indem sie einen Zipfel des Taschentuches aufhob, um ihn anzusehn, wobei sich ihr Arm bis zum Ellbogen entblößte.

»Was machen Sie da?« fragte Bazaroff, indem er sich neben sie setzte; »Sträuße?«

»Ja, um sie beim Frühstück auf die Tafel zu stellen. Nikolaus Petrowitsch liebt das sehr.«

»Aber man frühstückt ja noch nicht so bald. Welche Masse Blumen!«

»Ich pflückte sie eben, ehe die Hitze mich am Ausgehen hindert. Man kann ja nur um diese Zeit atmen. Ich kann nicht mehr vor Hitze; ich fürchte, ich werde krank.«

»Wo denken Sie hin! Kommen Sie, ich will Ihnen einmal den Puls fühlen.«

Bazaroff nahm ihre Hand, legte den Daumen auf die feine, unter einer zarten, feuchten Haut wohlverborgene Pulsader und gab sich nicht einmal die Mühe, die ruhigen Schläge zu zählen.

»Sie werden hundert Jahre alt,« sagte er, ihre Hand lassend.

»Ach, Gott bewahre mich davor!« rief sie.

»Warum? liegt Ihnen denn nichts daran, lange zu leben?«

»Hundert Jahre? meine Großmutter ist achtzig alt geworden, und sie war ein wahres Marterbild! ganz schwarz, taub, entstellt, immer hustend, wahrhaft sich selber zur Last. Heißt das leben?«

»Es ist also besser, jung zu sein?«

»Ich denke wohl!«

»Und warum? sagen Sie mir das.«

»Wie? aber nehmen Sie mich zum Beispiel; ich bin noch jung und kann alles tun; ich gehe, ich komme, ich bediene mich selbst und habe niemand nötig, was brauchts mehr?«

»Was mich betrifft, mir liegt nichts daran, ob ich jung oder alt bin; das ist mir gleichgültig.«

»Wie können Sie sagen, daß Ihnen das gleichgültig ist? Es ist unmöglich, daß Sie so denken.«

»Urteilen Sie selbst, Fedosia Nikolajewna: was hab ich von der Jugend? ich lebe allein, eine wahre Waise...«

»Das hängt nur von Ihnen ab!«

»Da täuschen Sie sich. Niemand will sich meiner erbarmen.«

Fenitschka sah ihn verstohlen an, antwortete aber nichts.

»Was haben Sie da für ein Buch?« fragte sie ihn einige Augenblicke darauf.

»Das ist ein gelehrtes Werk und schwer zu verstehen.«

»Sie studieren immer! langweilt Sie denn das nicht? Sie sollten doch schon alles wissen, mein ich.«