»Aus welcher Ursache? Ich begreife nichts davon.«
»Ich könnte Ihnen das auseinandersetzen,« erwiderte Paul; »aber ich ziehe vor, es nicht zu tun. Ich finde Sie hier zuviel; ich kann Sie nicht leiden, ich verachte Sie, und wenn Ihnen das nicht genug scheint...«
Die Augen Pauls funkelten vor Zorn; die Bazaroffs erglänzten ebenfalls urplötzlich.
»Sehr wohl,« sagte er, »jede weitere Erklärung ist überflüssig. Sie sind in der Laune, Ihre ritterliche Glut an mir auszulassen. Ich hätte mich weigern können, Ihnen dies Vergnügen zu verschaffen, aber es mag sein.«
»Ich bin Ihnen sehr verbunden,« versetzte Paul, »ich darf also hoffen, Sie nehmen meine Herausforderung an, ohne daß Sie mich nötigen, zu Zwangsmitteln meine Zuflucht zu nehmen.«
»Was, ohne Metapher gesprochen, heißen soll, zu diesem Stock?« erwiderte Bazaroff kalt. »Sie haben vollkommen recht. Sie können sichs ersparen, mich zu beschimpfen, um so mehr, als das nicht unbedingt ohne Gefahr für Sie wäre. Fahren Sie fort, sich als Gentleman zu betragen, ich werde meinerseits Ihre Herausforderung als Gentleman annehmen.«
»Gut,« versetzte Paul und stellte seinen Stock in die Ecke. – »Wir haben also nur noch die Bedingungen des Kampfes festzustellen; ich möchte aber vorher wissen, ob es Ihnen notwendig scheint, irgendeinen Streit zu erfinden, der als Vorwand für die Affäre dienen könnte?«
»Nein; das scheint mir gänzlich unnütz.«
»Das ist auch meine Ansicht, ich denke ebenfalls, daß es unnütz ist, die wahre Ursache unseres Zwists genau zu untersuchen. Wir können uns nicht leiden, was braucht es mehr.«
»Ganz richtig, was braucht es mehr,« wiederholte Bazaroff ironisch.
»Was die Bedingungen unserer Affäre betrifft, so erlaube ich mir, da wir keine Zeugen haben... denn wo sollen wir sie hernehmen?...«
»Ganz richtig, wo sollen wir sie hernehmen?«
»Ich erlaube mir, Ihnen folgenden Vorschlag zu machen: Wir schießen uns morgen, etwa um sechs Uhr, hinter dem Gehölze mit Pistolen; auf zehn Schritt Distanz.«
»Auf zehn Schritt, gut. Wir verabscheuen uns hinlänglich, um uns auf diese Entfernung zu schlagen.«
»Auf acht Schritte, wenn Sie wollen!«
»Warum nicht? gern.«
»Wir wechseln zwei Schüsse, und zu größerer Sicherheit wird jeder von uns einen Brief in der Tasche tragen, worin er sich für den Fall des Todes selber für den Täter erklärt.«
»Diese letzte Klausel scheint mir nicht notwendig,« versetzte Bazaroff – »das sähe sehr unwahrscheinlich aus; wir würden etwas in den französischen Roman verfallen.«
»Vielleicht ja. Aber gleichwohl werden Sie zugeben, daß es unangenehm ist, für einen Mörder gehalten zu werden.«
»Ohne Zweifel. Aber es gibt ein Mittel, sich gegen diesen peinlichen Verdacht zu schützen. Wir werden keine Zeugen im eigentlichen Sinne des Wortes haben, aber nichts hindert, daß nicht jemand unserem Kampfe beiwohnt.«
»Wen würden Sie dazu wählen? gestatten Sie mir die Frage.«
»Nun, Peter zum Beispiel.«
»Welchen Peter?«
»Den Kammerdiener Ihres Bruders. Das ist ein Mann, der ganz auf der Höhe der heutigen Zivilisation steht und seine Rolle sicherlich mit dem in solchen Fällen nötigen ›comme il faut‹ spielen wird.«
»Ich glaube, Sie scherzen, mein teurer Herr?«
»Keineswegs, mein Herr; überlegen Sie sich meinen Vorschlag, und Sie werden finden, daß er ebenso vernünftig als natürlich ist. ›Einen Pfriem kann man nicht in einem Sack verbergen‹; ich übernehme es, Peter auf die Umstände vorzubereiten und auf den Kampfplatz mitzubringen.«
»Sie scherzen immer noch,« sagte Paul im Aufstehen. »Aber nach der liebenswürdigen Zuvorkommenheit, die Sie soeben gezeigt, habe ich nicht das Recht, es übelzunehmen. Also ist alles abgemacht... Haben Sie Pistolen?«
»Wozu sollte ich welche haben, Paul Petrowitsch? Ich bin kein Krieger.«
»In diesem Falle biete ich Ihnen die meinigen an. Ich habe mich derselben seit mehr als fünf Jahren nicht bedient, und Sie dürfen mir aufs Wort glauben.«
»Diese Versicherung ist ganz geeignet, mich zu beruhigen.«
Paul nahm seinen Stock.
»Und nun, mein teurer Herr,« fuhr er fort, »habe ich Ihnen nur noch meinen Dank zu wiederholen, und überlasse Sie Ihren Studien. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.«
»Auf Wiedersehen,« antwortete Bazaroff, seinen Besuch zur Türe geleitend.
Paul ging, und Bazaroff, der an der Tür stehengeblieben war, rief aus:
»Hol mich der Teufel, das ist sehr schön, aber sehr dumm! Welche Posse haben wir da gespielt! Die klugen Hunde, die auf den Hinterfüßen tanzen, machens nicht besser. Unmöglich konnte ich mich weigern; er hätte mich geschlagen, und dann...« Bazaroff erbleichte bei diesem Gedanken, der seinen ganzen Stolz empörte. »Mir wäre nichts anderes übriggeblieben, als ihn zu erwürgen wie ein Hühnchen.«
Er kehrte zu seinem Mikroskop zurück, aber er war aufgeregt, und die zu seinen Beobachtungen unerläßliche Ruhe war verschwunden.
»Er hat uns heute gesehen,« sagte er zu sich selber, »aber ist es möglich, daß er sich seines Bruders wegen die Sache so zu Herzen genommen hat? Überdies ein Kuß! das ist was Rechts! es steckt etwas dahinter. Sollte er selbst verliebt sein? Es muß so sein, ich halte meine Hand dafür ins Feuer! Welch eine Pfütze all das!«
»Schlimme Geschichte!« sagte er nach einigem Nachdenken. »Schlimme Geschichte! erst soll man sein Leben wagen und vielleicht die Flucht ergreifen. Dann... Arkad... und dieses Herrgottsvieh von Nikolaus Petrowitsch! Schlimme, schlimme Geschichte!«
Der Tag verging noch stiller als gewöhnlich. Man hätte glauben sollen, Fenitschka sei aus der Welt verschwunden; sie hielt sich in ihrem Zimmer wie eine Maus im Loch. Kirsanoff sah sorgenvoll drein; man hatte ihm kurz zuvor gesagt, daß der Brand in seinen Weizen gekommen sei, auf welchen er große Hoffnungen setzte. Pauls eisige Höflichkeit war drückend für alle, sogar für Prokofitsch. Bazaroff fing einen Brief an seinen Vater an, zerriß ihn aber und warf ihn unter den Tisch. »Wenn ich sterbe,« dachte er, »werden sie's schon erfahren; aber ich werde nicht sterben. Ja, ich werde mich noch lange auf der Erde hinschleppen.« Er erteilte Peter den Befehl, am anderen Morgen mit Tagesanbruch wegen eines wichtigen Geschäfts zu ihm zu kommen; Peter bildete sich ein, daß er ihn mit sich nach Petersburg nehmen wolle. Bazaroff ging spät zu Bette, und wunderliche Träume quälten ihn die ganze Nacht... Frau Odinzoff erschien ihm fortwährend; sie war zugleich seine Mutter. Ein Kätzchen mit schwarzem Schnurrbart folgte ihr, und dieses Kätzchen war Fenitschka. Er sah Paul in Gestalt eines Baumstammes, war aber nichtsdestoweniger gezwungen, sich mit ihm zu schlagen. Peter weckte ihn um vier Uhr morgens; er kleidete sich an und verließ sofort mit ihm das Haus.
Der Morgen war prächtig und frischer als an den vorhergehenden Tagen. Buntscheckige Wölkchen zogen wie Flocken über den blaßblauen Himmel; die Blätter der Bäume waren leicht betaut, die Spinnweben funkelten wie Silber auf den Grashalmen; auf dem feuchten dunkeln Boden schien noch ein Hauch des Frührots zu liegen, und der Gesang der Lerchen tönte ringsum aus der Höhe.
Bazaroff ging bis zu dem Gehölz, setzte sich im Schatten nieder und belehrte Peter über den Dienst, den man von ihm verlangte. Der gebildete Kammerdiener wurde von einem Todesschrecken ergriffen; Bazaroff beruhigte ihn indes durch die Versicherung, daß er nichts zu tun habe, als aus der Ferne zuzusehen ohne die geringste Verantwortung.
»Inzwischen«, setzte er hinzu, »überleg dir die wichtige Rolle, die du ausfüllen wirst.«
Peter rang die Hände, ließ den Kopf hängen und lehnte sich, das Gesicht ganz grün vor Furcht, an einen Baum.
Die Straße, welche nach Marino führte, lief an einem Wäldchen entlang; der leichte Staub, der auf ihr lag, war seit dem Tag zuvor weder von einem Rad noch von einem Fuß berührt worden. Bazaroff blickte unwillkürlich die Straße entlang, pflückte und kaute einen Grashalm, und wiederholte sich unaufhörlich: »Welche Dummheit!« In der Kühle des Morgens schauerte er ein paarmal... Peter sah ihn traurigen Blickes an; aber Bazaroff begnügte sich, zu lachen; er hatte nicht die mindeste Furcht.