Auf der Straße hörte man Pferdegetrappel... Gleich darauf erschien ein Bauer; er kam aus dem Dorfe und trieb zwei Pferde vor sich her, die Fesseln an den Füßen hatten. Als er an Bazaroff vorbeiging, sah er ihn verwundert an, ohne an die Mütze zu greifen, was Peter eine schlimme Vorbedeutung zu sein schien und ihn sichtlich beunruhigte. »Dieser Mensch«, dachte Bazaroff, »ist auch früh aufgestanden, er tut aber wenigstens etwas Nützliches, während wir...«
»Ich glaube, der Herr kommt,« sagte Peter plötzlich halblaut.
Bazaroff blickte auf und erkannte Paul, welcher eiligst auf der Straße daherkam, bekleidet mit einem farbigen Wams und schneeweißen Beinkleidern; er trug ein grünes Etui unter dem Arm.
»Entschuldigen Sie, ich fürchte, ich habe Sie warten lassen,« sagte er, zuerst Bazaroff und dann Peter begrüßend, den er in diesem Augenblick als eine Art Sekundanten betrachtete; »ich wollte meinen Kammerdiener nicht wecken.«
»Schon gut,« erwiderte Bazaroff, »wir kommen eben erst an.«
»Ah! um so besser!« Paul warf die Augen ringsumher. »Niemand sieht uns, wir werden ungestört sein. Gehen wir ans Werk!«
»Mit Vergnügen!«
»Ich setze voraus, daß Sie keine weiteren Erklärungen wünschen?«
»Nicht die geringsten.«
»Wollen Sie sich der Mühe des Ladens unterziehen?« sagte Paul, während er die Pistolen aus dem Kästchen nahm.
»Nein, laden Sie selbst. Ich will die Distanz messen. Ich habe längere Beine,« fügte Bazaroff mit boshaftem Lächeln hinzu. »Eins... zwei... drei...«
»Eugen Wassiliewitsch,« stotterte Peter mit Anstrengung – er zitterte wie in einem Fieberanfall –, »tun Sie, was Sie wollen, ich werde mich ein wenig zurückziehen.«
»Vier... fünf... Zieh dich zurück, mein Braver, zieh dich zurück, du darfst dich sogar hinter einen Baum stellen und dir die Ohren verstopfen, aber die Augen halte offen; wenn einer von uns fällt, lauf, fliege, eile, ihn aufzuheben. Sechs... sieben... acht...« Bazaroff hielt an. – »Genug?« fragte er, gegen Paul gewandt, »oder noch zwei kleine Schritte?«
»Wie Sie wollen,« antwortete Paul, indem er die zweite Kugel in den Lauf stieß.
»Also zwei Schritte weiter!« – Bazaroff zog mit der Stiefelspitze einen Strich auf dem Boden; – »das ist die Barriere! Apropos, wir haben die Entfernung nicht festgestellt, in der wir uns von der Barriere aufstellen? Das ist auch wichtig. Wir haben diese ernste Frage gestern nicht debattiert.«
»Zehn Schritte, denk ich,« erwiderte Paul und hielt ihm die beiden Pistolen hin; »machen Sie mir das Vergnügen, zu wählen.«
»Ich werde Ihnen dies Vergnügen verschaffen, Sie müssen mir aber zugeben, daß unser Duell bis zur Lächerlichkeit sonderbar ist; sehen Sie sich einmal die Physiognomie unseres Sekundanten an.«
»Sie scherzen noch immer,« erwiderte Paul; »ich leugne nicht, daß unsere Begegnung ziemlich wunderlich ist, aber ich glaube Ihnen bemerken zu müssen, daß ich mich ernstlich zu schlagen gedenke. A bon entendeur salut!«
»Oh, ich zweifle gar nicht, daß wir entschlossen sind, uns den Garaus zu machen; aber warum nicht ein wenig lachen und zum utile das dulce fügen? Sie sehen, wenn Sie französisch zu mir sprechen, kann ich Ihnen auf lateinisch antworten.«
»Ich werde mich ernstlich schlagen,« wiederholte Paul und nahm seinen Platz ein.
Bazaroff zählte ebenfalls zehn Schritte ab und blieb stehen.
»Sind Sie fertig?« fragte Paul.
»Ja.«
»Vorwärts!«
Bazaroff ging langsam vorwärts, Paul desgleichen; er hatte die linke Hand in der Tasche und hob langsam die Mündung seiner Pistole... »Er zielt gerade nach meiner Nase,« sagte sich Bazaroff, »und wie er das Auge zukneift, um seinen Schuß sicher zu machen, der Bandit! Keine angenehme ›Sensation‹, wahrhaftig. Ich will seine Uhrkette in das Auge fassen...«
Pfeifend flog etwas hart am Ohr Bazaroffs vorüber, und im selben Augenblick ertönte ein Knall. »Ich habs gehört, also hab ich nichts,« hatte er Zeit zu denken. Er ging noch einen Schritt vor und drückte los, ohne zu zielen.
Paul machte eine leichte Bewegung und fuhr mit der Hand an sein Bein. Ein Blutstrahl färbte sein weißes Beinkleid.
Bazaroff warf die Pistole weg und eilte zu ihm.
»Sie sind verwundet?« fragte Bazaroff.
»Sie hatten das Recht, mich bis an die Barriere vorgehen zu lassen,« erwiderte Paul; »die Wunde ist unbedeutend. Nach unserer Übereinkunft hat jeder von uns noch einen Schuß.«
»Sie müssen mir schon erlauben, die Partie auf ein andermal zu verschieben,« antwortete Bazaroff und legte seinen Arm um Paul, der bleich zu werden anfing. – »Ich bin im Augenblick nicht mehr Duellant, sondern Doktor, und vor allem muß ich Ihre Wunde untersuchen. Peter! Komm her, Peter, wo steckst du?«
»Es ist absolut nichts... Ich habe niemandes Hilfe nötig,« antwortete Paul, dem das Sprechen schwer wurde; »und wir müssen... noch einmal...« Er wollte sich den Schnurrbart streichen, aber sein Arm sank zurück, seine Augen verdrehten sich, und er sank in Ohnmacht.
»Das ist etwas stark! er hat das Bewußtsein verloren, wegen solcher Kleinigkeit!« rief Bazaroff unwillkürlich aus und legte Paul auf den Rasen; »sehen wir einmal nach, was er hat!« Er zog sein Taschentuch heraus, stillte das Blut und untersuchte die Wundränder. »Der Knochen ist unversehrt,« murmelte er, »die Kugel ist nicht tief eingedrungen und hat nur einen einzigen Muskel verletzt, den vastus externus. In drei Wochen kann er tanzen, wenn er Lust hat. Das ist wohl der Mühe wert, in Ohnmacht zu fallen. Ah! diese nervösen Leute tuns nicht anders! Wie zart seine Haut ist!«
»Ist der Herr tot?« fragte Peter hinter seinem Rücken mit zitternder Stimme.
Bazaroff wandte sich um.
»Geh, hole Wasser, Kamerad, und fürchte nichts, der lebt länger als du und ich.«
Aber der perfekte Diener schien nicht zu begreifen, was man ihm sagte, und blieb unbeweglich stehen. Inzwischen öffnete Paul langsam wieder die Augen.
»Er gibt seinen Geist auf!« versetzte Peter, sich bekreuzend.
»Sie haben recht... Welche lächerliche Physiognomie!« sagte der verwundete Edelmann mit erzwungenem Lächeln.
»Hol doch Wasser, Dummkopf!« rief Bazaroff.
»Es ist unnötig... der Schwindel hat sich ganz verloren... helfen Sie mir, daß ich mich setze... so, so... wenn man den Ritz mit irgend etwas verbindet, werde ich zu Fuß nach Hause gehen, man kann mir auch eine Droschke schicken. – Wir könnens dabei bewenden lassen, wenn Sie wollen. Sie haben sich als Mann von Ehre benommen... heute... heute, wohlgemerkt!«
»Es ist unnötig, auf das Vergangene zurückzukommen, und was die Zukunft betrifft, so beunruhigen Sie sich deshalb nicht, denn ich denke mich so rasch wie möglich von hier fortzumachen. Jetzt lassen Sie mich Ihr Bein verbinden, Ihre Wunde ist leicht, aber es ist immer besser, das Blut zu stillen. Vor allem muß ich in diesem Sterblichen da das Gefühl der Existenz zurückrufen.«
Bazaroff ergriff Peter beim Kragen, schüttelte ihn heftig und befahl ihm, eine Drosche zu holen.
»Erschrick meinen Bruder nicht,« sagte Paul, »und laß dir nicht beikommen, ihm das mindeste mitzuteilen.«
Peter entfernte sich schleunig, und während er nach einer Droschke lief, blieben die beiden Gegner nebeneinander sitzen, ohne zu sprechen. Paul vermied es, Bazaroff anzublicken; er hatte keine Lust, sich mit ihm zu versöhnen, er warf sich sein Ungestüm, seine Ungeschicklichkeit, sein ganzes Verhalten in dieser Angelegenheit vor, obgleich er sehr wohl fühlte, daß dieselbe in möglichst günstiger Weise beigelegt worden sei. »Er wird uns wenigstens von seiner Gegenwart befreien,« sagte er sich zum Trost, »damit ist immer etwas gewonnen.« Das Stillschweigen, welches die beiden Gegner beobachteten, fing an peinlich und lästig zu werden. Jeder hatte die Gewißheit, daß der andere ihn vollständig verstehe. Diese Gewißheit ist angenehm für Freunde, für Feinde aber ist sie sehr unangenehm, namentlich wenn sie sich weder erklären noch trennen können.