Выбрать главу

Das erste Kapitel war eine Art Kriegserklärung, bei der Blomkvist kein Blatt vor den Mund nahm. Das Problem war, dass die schwedischen Wirtschaftsjournalisten seiner Meinung nach in den letzten zwanzig Jahren zu einem Trupp unfähiger Laufburschen verkommen waren, die sich an ihrer eigenen Wichtigkeit berauschten, der Fähigkeit zum kritischen Denken jedoch völlig entbehrten. Letztere Schlussfolgerung zog er, weil so viele von ihnen sich stets damit begnügten, widerspruchslos zu wiederholen, was ihnen von Unternehmensleitern und Börsenspekulanten vorgekaut wurde - auch wenn diese Aussagen offensichtlich irreführend oder schlichtweg falsch waren. Solche Journalisten waren also entweder so naiv oder so leicht hinters Licht zu führen, dass man sie von ihren Aufgaben entbinden sollte, oder - umso schlimmer - sie waren Menschen, die ganz bewusst ihre journalistische Sorgfaltspflicht vernachlässigten. Blomkvist behauptete, er schäme sich oftmals dafür, als Wirtschaftsjournalist bezeichnet zu werden, weil er dadurch Gefahr liefe, mit irgendwelchen Typen in einen Topf geworfen zu werden, die er gar nicht als Journalisten betrachtete.

Blomkvist verglich die Tätigkeit der Wirtschaftsjournalisten mit der Arbeitsweise der Polizeireporter und Auslandskorrespondenten. Er wies darauf hin, was für ein Aufschrei durch die Reihen ginge, würde sich der Gerichtsreporter einer großen Tageszeitung in einem Mordprozess unkritisch die Argumente des Staatsanwalts zu Eigen machen, ohne diejenigen der Verteidigung zu prüfen oder die Familie des Opfers zu interviewen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können.

Der Rest des Buches war die Beweiskette, die das einführende Plädoyer untermauern sollte. Ein langes Kapitel widmete sich der Berichterstattung sechs führender Tageszeitungen über ein bekanntes Dotcom-Unternehmen. Er zitierte und fasste zusammen, was die Reporter gesagt und geschrieben hatten, bevor er es mit der tatsächlichen Situation verglich. Als er die Entwicklung des Unternehmens beschrieb, warf er immer wieder einfache Fragen auf, die ein »seriöser Journalist« hätte stellen müssen, die aber keiner aus der ganzen Schar gestellt hatte. Ein hübscher Kunstgriff.

Ein anderes Kapitel behandelte den Telia-Börsengang - dies war der spöttischste und ironischste Abschnitt, in dem einige namentlich genannte Schreiber förmlich niedergemacht wurden, darunter auch ein gewisser William Borg, auf den Mikael besonders wütend zu sein schien. Ein weiteres Kapitel am Ende des Buches verglich das Kompetenzniveau schwedischer und ausländischer Wirtschaftsjournalisten. Blomkvist beschrieb, wie »seriöse Journalisten« der Financial Times, des Economist und einiger deutscher Wirtschaftsmagazine das entsprechende Thema in ihren Ländern behandelt hatten. Der Vergleich fiel nicht zum Vorteil der schwedischen Kollegen aus. Im Schlusskapitel skizzierte er ein paar Vorschläge, wie man die bedauerliche Situation beheben könnte. Die Schlussworte seines Buches knüpften wieder an die Einleitung an:

Wenn ein Reichstagsreporter unkritisch jeden verabschiedeten Beschluss guthieße, oder wenn ein politischer Berichterstatter einen entsprechenden Mangel an Urteilsvermögen an den Tag legte - dann würde er gefeuert oder zumindest in eine Abteilung versetzt, in der er weniger Schaden anrichten kann. In der Welt der Wirtschaftsjournalisten ignoriert man den normalen journalistischen Auftrag, alle Angaben kritisch zu prüfen und dem Leser sachlich zu berichten. Hier huldigt man vielmehr dem erfolgreichsten Schwindler. Hier wird das Schweden der Zukunft geschmiedet, und hier wird das letzte Vertrauen in die Journalisten als Berufsstand untergraben.

Der Ton in diesem Buch war schonungslos, und Salander konnte nur zu gut die aufgeregten Diskussionen verstehen, die im Branchenblatt Der Journalist, in manchen Wirtschaftsmagazinen und auf den Wirtschafts- und Titelseiten einiger Tageszeitungen entbrannten. Auch wenn nur wenige Wirtschaftsjournalisten namentlich im Buch Erwähnung fanden - Lisbeth Salander schätzte die Branche hinreichend klein ein, sodass jeder wusste, wer gemeint war, wenn bestimmte Zeitungen zitiert wurden. Blomkvist hatte sich bittere Feinde geschaffen, was sich in schadenfrohen Kommentaren zum Urteil in der Wennerström-Affäre widerspiegelte.

Sie klappte das Buch zu und betrachtete das Autorenfoto auf der Rückseite. Mikael Blomkvist war im Profil fotografiert worden. Der dunkelblonde Pony fiel ihm nachlässig in die Stirn, als wäre er von einem Windstoß erfasst worden, kurz bevor der Fotograf auf den Auslöser drückte. Wahrscheinlicher war jedoch, dass ihn der Fotograf Christer Malm so gestylt hatte. Er guckte mit ironischem Lächeln und einem gewollt jungenhaften und charmanten Blick in die Kamera. Ein ziemlich gut aussehender Mann. Auf dem Weg zu drei Monaten Gefängnis.

»Hallo, Kalle Blomkvist«, sagte sie laut zu sich selbst. »Du bist ganz schön selbstsicher, was?«

Gegen Mittag fuhr Lisbeth Salander ihr iBook hoch und öffnete das Mailprogramm Eudora. Sie formulierte die Nachricht in einer einzigen, prägnanten Zeile:

[Hast du Zeit?]

Sie unterschrieb mit »Wasp« und schickte die Mail an »plague_ xyz_666@hotmail.com«. Zur Sicherheit kodierte sie die einfache Nachricht mit dem Verschlüsselungsprogramm PGP.

Dann zog sie sich eine schwarze Jeans, feste Winterschuhe, einen Rollkragenpullover und eine dunkle Seglerjacke an, dazu passende blassgelbe Fingerhandschuhe, Mütze und Halstuch. Sie nahm die Piercingringe aus den Augenbrauen und dem Nasenflügel, legte einen zartrosa Lippenstift auf und musterte sich im Badezimmerspiegel. Sie sah aus wie jeder andere Sonntagsspaziergänger auch und betrachtete ihre Kleidung als anständige Tarnkluft für eine Expedition hinter die feindlichen Linien. Sie nahm die U-Bahn von Zinkensdamm bis zum Östermalmstorg und ging dann in Richtung Strandvägen. Während sie den Fußweg in der Mitte der Allee entlangspazierte, las sie die Hausnummern. Als sie fast bei der Djurgårds-Brücke angekommen war, blieb sie stehen und sah sich den Eingang an, den sie gesucht hatte. Sie überquerte die Straße und wartete ein paar Meter vom Eingang entfernt.

Wie sie feststellte, gingen die meisten Menschen, die im kühlen Weihnachtswetter einen Spaziergang machten, auf dem Kai; nur wenige benutzten den Bürgersteig an der Häuserseite. Sie musste fast fünfundzwanzig Minuten geduldig warten, bis sich schließlich eine ältere Frau mit Spazierstock vom Djurgården her näherte. Sie blieb stehen und musterte Salander misstrauisch. Lisbeth nickte ihr freundlich zu. Die Dame mit dem Spazierstock grüßte zurück und schien nachzudenken, woher sie das junge Mädchen nur kannte. Salander drehte ihr den Rücken zu und ging ein paar Schritte in die andere Richtung, als würde sie ungeduldig auf jemand warten. Als sie wieder kehrtmachte, stand die alte Dame an der Haustür und tippte umständlich den Zahlencode ein. Salander konnte problemlos die Kombination 1260 erkennen.

Sie wartete fünf Minuten, bis sie zur Tür ging und überprüfte, ob sie sich auch nicht getäuscht hatte. Als sie die Zahl eingab, klickte das Schloss. Sie öffnete die Tür und sah sich im Treppenhaus um. Kurz hinter dem Eingang war eine Überwachungskamera angebracht, auf die sie einen kurzen Blick warf, um sie dann zu ignorieren - die Kamera gehörte zu den Modellen, die Milton Security vertrieb, und wurde erst aktiviert, wenn im Haus ein Einbruchs- oder Überfallsalarm losging. Weiter links, neben einem antiken Aufzug, befand sich eine Tür mit einem weiteren Nummernschloss. Sie machte einen Test und stellte fest, dass Eingangstür, Kellergeschoss und der Raum mit den Mülltonnen dieselbe Zahlenkombination hatten. Nachlässig, sehr nachlässig. Sie verbrachte drei Minuten mit der Untersuchung des Kellers, in dem sie eine unverschlossene Waschküche und einen Putzraum fand. Anschließend öffnete sie mit Hilfe der Dietriche, die sie sich bei Miltons Schließanlagenexperten »ausgeliehen« hatte, eine abgesperrte Tür, die höchstwahrscheinlich zum Versammlungsraum für die Eigentümergemeinschaft führte. Ganz hinten gab es noch einen Hobbyraum. Zu guter Letzt fand sie, wonach sie gesucht hatte: ein kleines Kabuff, in dem die elektrischen Sicherheits- und Kontrollvorrichtungen untergebracht waren. Sie sah sich Zähler und Sicherungskästen genau an und zückte dann eine Canon-Digitalkamera in der Größe einer Zigarettenschachtel. Sie machte drei Aufnahmen.