Henrik Vanger lehnte sich zurück und legte den Kopf schief. »Ich kann das Geld auf jedes beliebige Bankkonto in der Welt einzahlen. Oder Sie bekommen das Geld bar in einer Reisetasche, dann können Sie selbst entscheiden, ob Sie es versteuern wollen.«
»Das ist doch … krank«, stotterte Mikael.
»Warum?«, fragte Henrik Vanger ruhig. »Ich bin über achtzig und immer noch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Ich habe ein großes Privatvermögen, über das ich verfügen kann, wie ich will. Ich habe keine Kinder und verspüre nicht die geringste Lust, mein Geld meinen verhassten Verwandten zu schenken. Ich habe mein Testament gemacht: Den Großteil meines Geldes vermache ich dem WWF. Ein paar wenige Personen, die mir nahestehen, bekommen eine ordentliche Summe - zum Beispiel Anna.«
Mikael Blomkvist schüttelte den Kopf.
»Versuchen Sie, mich zu verstehen. Ich bin alt und werde bald sterben. Ich wünsche mir nur eines auf der Welt - eine Antwort auf die Frage, die mich fast vier Jahrzehnte lang gequält hat. Ich glaube nicht, dass ich die Antwort bekommen werde, aber ich habe ausreichend private Mittel, um einen letzten Versuch zu unternehmen. Warum sollte es unsinnig sein, einen Teil meines Vermögens für diesen Zweck zu verwenden? Das bin ich Harriet schuldig. Und ich bin es mir selbst schuldig.«
»Sie bezahlen ein paar Millionen Kronen für nichts und wieder nichts. Alles, was ich tun muss, ist also diesen Vertrag zu unterzeichnen und dann ein Jahr lang Däumchen zu drehen.«
»Das werden Sie nicht tun. Im Gegenteil - Sie werden härter arbeiten als je zuvor in Ihrem Leben.«
»Wie wollen Sie sich da so sicher sein?«
»Weil ich Ihnen einen weiteren Anreiz bieten kann - etwas, das Sie nicht für Geld kaufen können, sich aber mehr wünschen als alles andere auf dieser Welt.«
»Was sollte das sein?«
Henrik Vangers Augen verengten sich.
»Ich kann Ihnen Hans-Erik Wennerström ausliefern. Ich kann beweisen, dass er ein Betrüger ist. Er hat seine Karriere nämlich vor fünfunddreißig Jahren bei mir begonnen, und ich werde Ihnen seinen Kopf auf dem Silbertablett liefern. Lösen Sie das Rätsel, und Sie können Ihre Niederlage vor Gericht zur Reportage des Jahres ummünzen.«
7. Kapitel
Freitag, 3. Januar
Erika stellte die Kaffeekanne auf dem Tisch ab und drehte Mikael den Rücken zu. Sie stand am Fenster seiner Wohnung und blickte über die Altstadt. Es war der 3. Januar, 9 Uhr vormittags. Der Schnee war über Neujahr vom Regen fortgespült worden.
»Ich habe diesen Ausblick immer geliebt«, sagte sie. »Für eine Wohnung wie diese könnte ich glatt Saltsjöbaden aufgeben.«
»Du kannst gerne dein High-Society-Reservat verlassen und hier einziehen. Du hast ja die Schlüssel.« Er machte seinen Koffer zu und stellte ihn in den Flur. Erika drehte sich um und sah ihn zweifelnd an.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, sagte sie. »Wir stecken in der allergrößten Krise, und du packst einfach zwei Koffer, um dich am Ende der Welt niederzulassen.«
»In Hedestad. Ein paar Stunden mit dem Zug. Und es ist doch nicht für immer.«
»Du könntest genauso gut nach Ulan Bator fahren. Begreifst du nicht, dass es so aussieht, als würdest du mit eingezogenem Schwanz das Feld räumen?«
»Das tu ich ja auch. Außerdem muss ich dieses Jahr noch eine Gefängnisstrafe absitzen.«
Christer Malm saß auf Mikaels Sofa. Er fühlte sich unwohl. Zum ersten Mal seit der Gründung von Millennium erlebte er, wie Mikael und Erika vollkommen gegensätzliche Ansichten vertraten. In all den Jahren waren die beiden unzertrennlich gewesen. Sie hatten zwar heftige Meinungsverschiedenheiten ausgetragen, aber dabei war es immer um Sachfragen gegangen, die meist rasch geklärt wurden, bevor sich die beiden umarmten und zusammen in die nächste Kneipe gingen. Oder ins Bett. Christer Malm fragte sich, ob er gerade den Anfang des Endes von Millennium miterlebte.
»Ich habe keine Wahl«, sagte Mikael. »Wir haben keine Wahl.«
Er goss sich Kaffee ein und setzte sich an den Küchentisch. Erika schüttelte den Kopf und setzte sich ihm gegenüber.
»Wie denkst du darüber, Christer?«, fragte sie.
Christer Malm hob hilflos die Hände. Diese Frage hatte er erwartet und den Augenblick gefürchtet, in dem er Stellung beziehen musste. Er war der dritte Teilhaber, aber alle drei wussten, dass Mikael und Erika Millennium waren. Sie fragten ihn immer nur dann um Rat, wenn sie sich überhaupt nicht einigen konnten.
»Ehrlich gesagt«, antwortete Christer, »wisst ihr beide ganz genau, dass es egal ist, was ich darüber denke.«
Er schwieg. Er liebte es, Bilder zu kreieren. Er liebte seine Arbeit im grafischen Bereich. Er hatte sich nie als Künstler betrachtet, aber er wusste, dass er ein begnadeter Designer war. Wenn es allerdings um Intrigen oder politisches Taktieren im Geschäftsleben ging, war er ein richtiger Dilettant.
Erika und Mikael blickten sich an. Sie voll kühler Wut. Er nachdenklich.
Das ist kein Streit, dachte Christer Malm. Das ist eine Scheidung. Mikael brach schließlich das Schweigen.
»Okay, lasst es mich ein letztes Mal erklären.« Er sah Erika tief in die Augen. »Das hier bedeutet nicht, dass ich Millennium aufgegeben habe. Dafür haben wir viel zu hart gearbeitet.«
»Aber du wirst nicht mehr in der Redaktion sein - Christer und ich müssen die ganze Last tragen. Begreifst du denn nicht, dass du dich selbst ins Exil schickst?«
»Damit sind wir bei Punkt zwei. Ich brauche eine Pause, Erika. Ich funktioniere nicht mehr. Ich bin völlig fertig. Ein bezahlter Urlaub in Hedeby ist jetzt vielleicht genau das, was ich nötig habe.«
»Die ganze Sache ist doch total krank, Mikael. Du könntest genauso gut auf einem UFO arbeiten.«
»Ich weiß. Aber ich kriege 2,4 Millionen dafür, dass ich ein Jahr lang auf meinem Hintern sitze, und ich habe nicht vor, die Hände in den Schoß zu legen. Das ist Punkt drei - die erste Runde gegen Wennerström ist vorbei, er hat durch k. o. gewonnen. Die zweite Runde läuft bereits. Er wird versuchen, Millennium endgültig zu vernichten, denn er weiß, solange unser Magazin existiert, wird es auch eine Redaktion geben, die weiß, was für ein Mensch er wirklich ist.«
»Ich weiß. Ich habe es an den monatlichen Anzeigeneinnahmen fürs letzte halbe Jahr gesehen.«
»Genau. Darum muss ich aus der Redaktion verschwinden. Ich bin ein rotes Tuch für ihn. Ich glaube, er ist geradezu paranoid, wenn es um mich geht. Solange ich noch hier bin, wird er seinen Feldzug fortsetzen. Wir müssen uns auf die dritte Runde vorbereiten. Wenn wir auch nur die geringste Chance gegen ihn haben wollen, sollten wir uns ein bisschen zurückziehen und uns eine neue Strategie zurechtlegen. Wir müssen einen richtigen Hammer finden. Das wird nächstes Jahr mein Job sein.«
»Ich verstehe das ja alles«, antwortete Erika. »Nimm dir Urlaub. Fahr ins Ausland und leg dich einen Monat an den Strand. Recherchier das Liebesleben der spanischen Frauen. Entspann dich. Setz dich in Sandhamn an den Strand und sieh den Wellen zu.«
»Und wenn ich zurückkomme, ist alles wie vorher. Wennerström wird Millennium zermalmen. Das weißt du. Und wir können ihn nur daran hindern, wenn wir etwas finden, das wir gegen ihn verwenden können.«
»Und du glaubst, das findest du in Hedestad.«
»Ich habe die Artikel noch mal durchgesehen. Wennerström hat von 1969 bis 1972 bei Vanger gearbeitet. Er saß im Führungsstab des Konzerns und war für strategische Anlagen verantwortlich. Er hat sehr überstürzt seinen Hut genommen. Wir dürfen die Möglichkeit nicht außer Acht lassen, dass Henrik Vanger tatsächlich etwas gegen ihn in der Hand hat.«