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»Aber wenn er vor dreißig Jahren etwas gemacht hat, können wir das heute kaum noch beweisen.«

»Henrik Vanger hat versprochen, sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen und zu erzählen, was er weiß. Er ist wie besessen von dem Verschwinden seiner Großnichte - das ist anscheinend das Einzige, was ihn noch interessiert, und wenn er Wennerström ans Messer liefern muss, dann wird er es höchstwahrscheinlich tun. Wir dürfen uns diese Gelegenheit nicht entgehen lassen - er ist der Erste, der bereit wäre, öffentlich eine Aussage über diesen ganzen Wennerström-Filz zu machen.«

»Wir könnten das nicht gegen ihn verwenden. Nicht mal, wenn du Beweise bringen könntest, dass Wennerström das Mädchen eigenhändig erwürgt hat. Nicht nach so langer Zeit. Er würde uns vor Gericht massakrieren.«

»An Erwürgen hatte ich auch schon gedacht. Doch leider war er an der Wirtschaftshochschule und hatte keinerlei Verbindung zum Vanger-Konzern, als sie verschwand.« Mikael legte eine Pause ein. »Erika, ich werde Millennium nicht verlassen, aber es muss so aussehen, als ob. Du und Christer, ihr müsst mit dem Magazin weitermachen. Wenn ihr … wenn ihr die Chance habt, ein Friedensabkommen mit Wennerström zu schließen, dann müsst ihr es tun. Und das könnt ihr nicht, solange ich in der Redaktion sitze.«

»Okay, die Lage ist schlimm, aber ich glaube, du klammerst dich da an einen Strohhalm mit deiner Hedestad-Reise.«

»Hast du etwa eine bessere Idee?«

Erika zuckte mit den Achseln. »Wir sollten uns lieber auf die Jagd nach verlässlichen Informanten machen. Die Story von vorne aufziehen. Aber diesmal richtig.«

»Ricky - die Story ist toter als tot.«

Erika legte resigniert den Kopf in ihre Hände. Sie wollte Mikael zuerst nicht in die Augen sehen, als sie anfing zu sprechen.

»Ich bin so sauwütend auf dich. Nicht, weil du eine falsche Story geschrieben hast - ich habe mich ja genauso drauf gestürzt. Und auch nicht, weil du deinen Posten als verantwortlicher Herausgeber abgibst - das ist in dieser Situation ein weiser Entschluss. Ich kann akzeptieren, dass wir es wie ein Zerwürfnis oder einen Machtkampf zwischen dir und mir aussehen lassen. Ich verstehe, warum es klug ist, Wennerström glauben zu lassen, ich wäre die harmlose dumme Blondine und du die eigentliche Bedrohung für ihn.«

Sie hielt inne und sah ihm verbissen in die Augen.

»Aber ich glaube, dass du dich täuschst. Wennerström wird auf den Bluff nicht reinfallen. Er wird weiterhin versuchen, Millennium zu ruinieren. Der einzige Unterschied wird darin liegen, dass ich ab jetzt alleine mit ihm kämpfen muss. Du weißt genau, dass wir dich in der Redaktion jetzt mehr brauchen als je zuvor. Den Kampf gegen Wennerström nehme ich gerne an, aber was mich so sauer macht, ist, dass du einfach das sinkende Schiff verlässt. Du kneifst im brenzligsten Augenblick.«

Mikael streckte seine Hand aus und strich ihr über das Haar.

»Du bist nicht allein. Du hast Christer und die restliche Redaktion hinter dir.«

»Janne Dahlman nicht. Ich glaube übrigens, es war ein Fehler, ihn einzustellen. Er ist fähig, aber er schadet uns mehr, als dass er uns nützt. Ich traue ihm nicht. Er hat sich den ganzen Herbst seine Schadenfreude anmerken lassen. Ich weiß nicht, ob er auf deinen Platz spekuliert oder ob zwischen ihm und dem Rest der Redaktion ganz einfach die Chemie nicht stimmt.«

»Ich fürchte, du hast recht«, antwortete Mikael.

»Und, was soll ich machen? Ihn rauswerfen?«

»Erika, du bist Chefredakteurin und hast die meisten Anteile bei Millennium. Wenn du ihn rauswerfen willst, dann tu’s.«

»Wir haben noch nie jemand rausgeworfen, Micke. Und jetzt schiebst du diese Entscheidung auch noch mir zu. Es macht keinen großen Spaß mehr, morgens in die Redaktion zu gehen.«

In diesem Moment stand Christer Malm überraschend auf. »Wenn du den Zug erwischen willst, dann müssen wir uns jetzt ein bisschen beeilen.« Erika wollte protestieren, aber er hob die Hand. »Warte, Erika, du hast mich doch gefragt, wie ich über die ganze Geschichte denke. Ich finde die Situation grauenvoll. Aber wenn Mikael wirklich an seine Belastungsgrenze stößt, wie er sagt, dann muss er fahren, um seiner selbst willen. Das sind wir ihm schuldig.«

Mikael und Erika sahen ihren Partner verblüfft an. Der schielte verlegen zu Mikael.

»Ihr wisst, dass ihr beide Millennium seid. Ihr habt nie krumme Spielchen mit mir gemacht, und ich liebe dieses Magazin und alles, aber ihr könntet mich ohne Weiteres gegen jeden x-beliebigen Art Director austauschen. Doch ihr habt mich nach meiner Meinung gefragt. Was Janne Dahlman angeht, gebe ich euch recht. Und wenn du ihn rauswerfen möchtest, Erika, dann kann ich das für dich machen. Wir brauchen nur einen triftigen Grund.«

Er legte eine kurze Pause ein, bevor er fortfuhr: »Ich finde ja auch, dass es ungut ist, wenn Mikael ausgerechnet jetzt verschwindet. Aber ich glaube, wir haben keine andere Wahl.« Er blickte zu Mikael. »Ich fahre dich zum Bahnhof. Erika und ich halten die Stellung, bis du zurück bist.«

Mikael nickte langsam.

»Ich habe Angst, dass Mikael nicht zurückkommt«, sagte Erika leise.

Dragan Armanskij weckte Lisbeth Salander, als er sie nachmittags um halb zwei anrief.

»Was ist?«, fragte sie schlaftrunken. Sie hatte einen Teergeschmack im Mund.

»Es geht um Blomkvist. Ich habe gerade mit Frode, unserem Auftraggeber, gesprochen.«

»Und?«

»Er hat angerufen und mir mitgeteilt, dass wir die Untersuchung zu Wennerström fallen lassen können.«

»Fallen lassen? Ich hab doch gerade erst angefangen.«

»Okay, aber Frode hat kein Interesse mehr.«

»Einfach so?«

»Er trifft die Entscheidungen. Wenn er nicht mehr will, dann will er nicht mehr.«

»Wir haben ein festes Honorar vereinbart.«

»Wie viel Zeit haben Sie denn investiert?«

Lisbeth Salander dachte nach.

»Gut drei Tage.«

»Wir hatten 40 000 Kronen als oberstes Limit vereinbart. Ich stelle eine Rechnung über 10 000 Kronen aus. Sie bekommen die Hälfte, das ist in Ordnung für drei Tage vergeudete Zeit. Das muss er dafür bezahlen, dass er das Ganze angeleiert hat.«

»Was soll ich mit dem Material machen, das ich bereits recherchiert habe?«

»Ist was Dramatisches dabei?«

Sie überlegte nochmals. »Nein.«

»Frode hat keinen Bericht erbeten. Aber behalten Sie das Material eine Weile in Ihrer Ablage, für den Fall, dass er es sich anders überlegt. Ansonsten können Sie es wegwerfen. Ich habe nächste Woche einen neuen Job für Sie.«

Lisbeth Salander behielt den Telefonhörer noch einen Augenblick in der Hand, nachdem Armanskij aufgelegt hatte. Sie ging zu ihrem Arbeitsplatz im Wohnzimmer und sah sich die Notizen an, die sie an die Wand geheftet hatte, sowie die Papiere, die sich auf dem Schreibtisch türmten. Was sie bis jetzt gefunden hatte, waren vor allem Zeitungsausschnitte und Texte aus dem Internet. Sie ließ sämtliche Unterlagen in einer Schreibtischschublade verschwinden.

Sie runzelte die Brauen. Blomkvists seltsames Benehmen im Gerichtssaal hatte nach einer interessanten Herausforderung ausgesehen, und wenn Lisbeth Salander erst einmal etwas angefangen hatte, brach sie es ungern ab. Jeder Mensch hat Geheimnisse. Man muss nur herausfinden, welche.

Teil II

Konsequenzanalyse

3. Januar bis 17. März

46% aller schwedischen Frauen über fünfzehn sind schon einmal Opfer männlicher Gewalt geworden.

8. Kapitel

Freitag, 3. Januar - Sonntag, 5. Januar

Als Mikael Blomkvist zum zweiten Mal in Hedestad aus dem Zug stieg, war der Himmel pastellblau und die Luft eiskalt. Ein Thermometer an der Außenwand des Bahnhofsgebäudes zeigte 18 Grad minus an. Er trug immer noch ungeeignete, dünne Schuhe. Im Gegensatz zum vorigen Besuch wartete diesmal aber kein Rechtsanwalt Frode mit einem warmen Auto auf ihn. Mikael hatte nur angekündigt, an welchem Tag er kommen würde, aber nicht, mit welchem Zug. Er nahm an, dass irgendein Bus nach Hedeby fuhr, hatte jedoch keine Lust, auf der Suche nach der Haltestelle zwei schwere Koffer und eine Schultertasche durch die Gegend zu schleppen. Stattdessen ging er zum Taxistand auf der anderen Seite des Bahnhofsplatzes.