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»Ich weiß. A man’s gotta do what a man’s gotta do and all that crap. Du brauchst mir nichts zu erzählen. Tut mir leid, dass ich so eine Zicke war und nicht rangegangen bin, wenn du angerufen hast. Können wir noch mal von vorne anfangen? Soll ich mich trauen und dich da oben besuchen?«

»Wann immer du willst.«

»Muss ich eine Schrotflinte für die Wölfe mitbringen?«

»Nein. Wir mieten uns ein paar Lappen mit Hundeschlitten. Wann kommst du?«

»Freitagabend. Okay?«

Das Leben schien Mikael plötzlich unendlich viel heller.

Abgesehen von der schmalen geräumten Schneise bis zu seiner Tür lagen ungefähr neunzig Zentimeter Schnee auf dem Grundstück. Mikael musterte eine Weile die Schneeschippe und ging dann zu Gunnar Nilsson, um zu fragen, ob Erika ihren BMW während ihres Besuches bei ihnen parken konnte. Sie hatten genügend Platz in ihrer Doppelgarage und konnten außerdem noch ihren Motorwärmer anbieten.

Erika fuhr am Nachmittag los und kam gegen sechs Uhr abends. Sie sahen sich ein paar Sekunden lang abwartend an und lagen sich dann bedeutend länger in den Armen.

Im Abenddunkel gab es außer der erleuchteten Kirche nicht viel zu sehen. Der Supermarkt und Susannes Brücken-Café schlossen gerade. Sie zogen sich also schnell ins Haus zurück. Mikael kochte Abendessen, während Erika in seinem Haus herumstöberte, die alten Nummern des Rekordmagasinet aus den fünfziger Jahren kommentierte und sich in seine Ordner im Arbeitszimmer vertiefte. Sie aßen Lammkoteletts mit Salzkartoffeln und Sahnesauce - viel zu viele Kalorien - und tranken Rotwein. Mikael versuchte, den Faden ihres Telefongesprächs wieder aufzunehmen, aber Erika war nicht recht in Stimmung, über Millennium zu reden. Stattdessen redeten sie zwei Stunden über Mikaels Situation und ihre Gefühle. Danach testeten sie, ob das Bett breit genug für sie beide war.

Das dritte Treffen mit Nils Bjurman war anberaumt, verschoben und zum Schluss auf fünf Uhr am selben Freitag gelegt worden. Bei früheren Treffen war Lisbeth Salander stets von einer zirka fünfundfünfzigjährigen Dame in Empfang genommen worden, die nach Moschus roch und als Sekretärin in der Kanzlei arbeitete. Diesmal hatte sie schon Feierabend gemacht und Bjurman eine leichte Alkoholfahne. Er bedeutete Salander mit einer wedelnden Geste, auf einem Besucherstuhl Platz zu nehmen, und blätterte geistesabwesend in irgendwelchen Papieren, bis er sich plötzlich ihrer Gegenwart wieder bewusst zu werden schien.

Abermals war sie regelrecht verhört worden. Diesmal hatte er Lisbeth Salander zu ihrem Sexleben ausgefragt - was ihrer Ansicht nach zu ihrer Privatsphäre gehörte und ihn überhaupt nichts anging.

Nach ihrem Besuch wusste sie, dass sie es falsch angepackt hatte. Sie war zunächst still sitzen geblieben und hatte ihm ausweichende Antworten gegeben. Er hatte das vermutlich so interpretiert, als sei sie schüchtern oder geistig zurückgeblieben oder hätte etwas zu verbergen. Salander sah ein, dass er sie nicht in Ruhe lassen würde, bevor er seine Antworten bekommen hatte, und fing an, ihm knappe und harmlose Antworten zu geben, wie sie höchstwahrscheinlich in ihr psychologisches Profil passten. Sie erwähnte Magnus - in ihrer Beschreibung ein gleichaltriger Computerfreak, der sie wie ein Gentleman behandelte, sie ins Kino einlud und zwischendurch mit ihr ins Bett ging. Magnus war reine Fiktion - sie erfand ihn, während sie von ihm erzählte -, aber Bjurman hatte die Neuigkeit zum Anlass genommen, während der nächsten Stunde eingehend ihr Sexleben auszuforschen. Wie oft haben Sie Sex? Ab und zu. Wer ergreift die Initiative - Sie oder er? Ich. Verwenden Sie Kondome? Natürlich - sie habe schon mal von Aids gehört. Welche Stellung mögen Sie am liebsten? Na ja, meistens auf dem Rücken. Mögen Sie Oralsex? Ääääh, Moment … Haben Sie schon einmal Analsex gehabt?

»Nein, ich steh nicht drauf, in den Arsch gefickt zu werden, aber was zum Teufel geht Sie das eigentlich an?«

Das war das einzige Mal, dass Sie vor Bjurman die Beherrschung verloren hatte. Sie wusste, wie man ihren Blick deuten konnte, und hatte auf den Boden gesehen, damit ihre Augen nicht ihre Gefühle verrieten. Als sie ihn wieder anschaute, blinzelte er von der anderen Seite des Schreibtisches herüber. Lisbeth Salander wusste mit einem Mal, dass ihr Leben eine dramatische Wende nehmen würde. Sie verließ Bjurman mit einem Gefühl des Ekels. Auf so etwas war sie nicht vorbereitet gewesen. Palmgren wäre niemals auf den Gedanken gekommen, ihr solche Fragen zu stellen. Er war immer zugänglich gewesen, wenn sie mit ihm über irgendetwas reden wollte. Eine Möglichkeit, die sie selten genutzt hatte.

Bjurman war ein serious pain in the ass oder - wie ihr dämmerte - auf dem besten Wege, sich zu einem major problem zu entwickeln.

11. Kapitel

Samstag, 1. Februar - Dienstag, 18. Februar

In den wenigen Stunden, die es am Samstag hell war, gingen Mikael und Erika am kleinen Hafen vorbei und schlugen den Weg nach Östergården ein. Obwohl Mikael seit einem Monat auf der Insel wohnte, war er bis jetzt noch nie weiter ins Inselinnere vorgedrungen. Kälte und Schneestürme hatten ihn davon abgehalten. Aber am Samstag war es sonnig und angenehm, als hätte Erika einen Hauch von Frühlingswetter mitgebracht. Es waren nur fünf Grad unter null. Rechts und links der Straße hatten die Räumfahrzeuge meterhohe Schneeberge hinterlassen. Sobald sie die Siedlung verlassen hatten, waren sie mitten in dichtem Tannenwald, und Mikael stellte überrascht fest, dass der Söderberg oberhalb der Häuser wesentlich höher und unzugänglicher war, als er vom Ort aus wirkte. Er überlegte kurz, wie oft Harriet hier wohl als Kind gespielt hatte, verscheuchte dann aber den Gedanken an sie. Nach ein paar Kilometern endete der Wald jäh an einem Zaun, hinter dem der Hof Östergården begann, von dem sie ein weißes Holzhaus und einen großen, roten Viehstall sehen konnten. Sie gingen nicht in Richtung Hof weiter, sondern spazierten denselben Weg nach Hedeby zurück.

Als sie an der Auffahrt zum Vangerschen Haus vorbeikamen, klopfte Henrik Vanger kräftig von innen ans Fenster im Obergeschoss und winkte sie energisch heran. Mikael und Erika sahen sich an.

»Möchtest du gerne einen Großindustriellen kennenlernen?«, fragte Mikael.

»Beißt er?«

»Samstags nie.«

Henrik Vanger empfing sie an der Tür zu seinem Arbeitszimmer und schüttelte ihnen die Hand.

»Ich habe Sie gleich erkannt. Sie müssen Frau Berger sein«, begrüßte er sie. »Mikael hat mit keinem Wort erwähnt, dass Sie nach Hedeby kommen wollten.«

Eine von Erikas hervorstechendsten Eigenschaften war ihre Fähigkeit, sofort freundschaftliche Bande zu den unterschiedlichsten Individuen zu knüpfen. Mikael hatte zugesehen, wie sie mit ihrem Charme fünfjährige Jungen um den Finger wickelte, die innerhalb von zehn Minuten bereit gewesen wären, ihre Mütter zu verlassen. Männer über achtzig machten da keine Ausnahme. Erikas Grübchen schienen ihnen Appetit zu machen. Nach zwei Minuten ignorierte er Mikael vollkommen und plauderte mit ihr, als würden sie sich von Kindesbeinen an kennen - na ja, aufgrund des Altersunterschiedes kamen nur Erikas Kindesbeine infrage.

Erika beschwerte sich zunächst ungeniert darüber, dass er ihren verantwortlichen Herausgeber in die Wildnis gelockt hatte. Der alte Mann gab zurück, sie hätte ihn den Pressemitteilungen zufolge ja bereits vor die Tür gesetzt, und wenn sie es noch nicht getan hätte, dann wäre es vielleicht höchste Zeit, den Ballast aus der Redaktion loszuwerden. Erika tat so, als musterte sie Mikael mit kritischem Blick. Und in diesem Fall, fuhr Henrik fort, könne ein Weilchen robustes Landleben dem jungen Herrn Blomkvist nur guttun. Da pflichtete Erika ihm bei.

Fünf Minuten lang diskutierten sie in provokantem Ton seine Unzulänglichkeiten. Mikael lehnte sich zurück und tat beleidigt, aber er hob die Augenbrauen, als Erika ein paar doppelbödige Bemerkungen machte, die eventuell auf seine Mängel als Journalist anspielten, genauso gut aber auf mangelnde sexuelle Fähigkeiten gemünzt sein konnten. Henrik Vanger legte den Kopf in den Nacken und lachte lauthals.