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»Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll«, hatte Mikael gesagt. »Vanger hat mich angestellt, damit ich seine Autobiografie schreibe. Bisher konnte ich jederzeit aufstehen und weggehen, sobald er versucht hätte, mich zu zwingen, etwas Unwahres zu schreiben, oder mich zu verleiten, einen bestimmten Blickwinkel einzunehmen. Jetzt wird er einer der Teilhaber unserer Zeitschrift und ist zudem der Einzige, der genug Geld hat, sie zu retten. Diese Situation ist mit unserem Berufsethos eigentlich nicht zu vereinbaren.«

»Hast du irgendeine bessere Idee?«, hatte Erika gefragt. »Dann solltest du jetzt damit rausrücken, bevor wir den Vertrag aufsetzen und unterzeichnen.«

»Ricky, Vanger nutzt uns doch nur aus für seinen privaten Rachefeldzug gegen Wennerström.«

»Na und? Wenn überhaupt jemand einen privaten Rachefeldzug gegen Wennerström betreibt, dann ja wohl wir.«

Mikael hatte sich von ihr abgewandt und gereizt eine Zigarette angezündet. Der Wortwechsel war noch eine gute Weile so weitergegangen, bis Erika schließlich ins Schlafzimmer ging, sich auszog und ins Bett kroch. Sie tat so, als würde sie schlafen, als Mikael zwei Stunden später neben sie schlüpfte. Am Abend hatte ein Reporter von Dagens Nyheter ihr genau dieselbe Frage gestellt:

»Wie will sich Millennium jetzt noch glaubwürdig als unabhängige Zeitschrift bezeichnen?«

»Wie meinen Sie das?«

Der Reporter hob die Augenbrauen. Er fand, dass seine Frage deutlich genug gewesen war, aber er verdeutlichte sie trotzdem noch einmal.

»Millennium beschäftigt sich unter anderem damit, Unternehmen auf den Zahn zu fühlen. Wie soll das Magazin jetzt glaubwürdig behaupten können, dass es den Vanger-Konzern kritisch unter die Lupe nimmt?«

Erika hatte ihn so verblüfft angesehen, als käme diese Frage völlig unerwartet.

»Wollen Sie damit sagen, dass Millennium an Glaubwürdigkeit einbüßt, weil ein bekannter Finanzier mit beträchtlichen Mitteln auf den Plan getreten ist?«

»Tja, es ist ja wohl ziemlich offensichtlich, dass Sie dem Vanger-Konzern nicht mehr unvoreingenommen gegenüberstehen.«

»Meinen Sie, dass für Millennium besondere Maßstäbe gelten sollten?«

»Verzeihung?«

»Sie arbeiten doch auch für eine Zeitung, die in höchstem Grad finanziellen Interessen gehorcht. Bedeutet das, dass keine der Zeitungen, die Bonnier herausgibt, glaubwürdig ist? Das Aftonbladet gehört einem norwegischen Großunternehmen, das wiederum eine gewaltige Rolle in der Datenverarbeitungs- und Kommunikationsbranche spielt - bedeutet das, dass das Aftonbladet die Elektronikindustrie nicht mehr glaubwürdig beschreiben kann? Der Zeitungskonzern Metro gehört dem Stenbeck-Unternehmen. Meinen Sie, dass sämtliche Zeitungen in Schweden, hinter denen finanzielle Interessen stecken, nicht glaubwürdig sind?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Warum deuten Sie dann an, dass Millenniums Glaubwürdigkeit abnimmt, nur weil wir auch Finanziers haben?«

Der Reporter hatte die Hand gehoben.

»Okay, ich nehme die Frage zurück.«

»Nein. Tun Sie das nicht. Ich will, dass Sie exakt das wiedergeben, was ich sage. Und Sie können dazuschreiben, wenn Dagens Nyheter ein wachsameres Auge auf den Vanger-Konzern hat, dann konzentrieren wir uns ein bisschen mehr auf Bonnier

Aber es war ein ethisches Dilemma.

Mikael arbeitete für Henrik Vanger, der theoretisch in der Lage war, Millennium mit einem Federstrich zu vernichten. Was würde passieren, wenn Mikael und Henrik Vanger sich wegen irgendetwas entzweiten?

Und vor allem - wie viel kostete ihre eigene Glaubwürdigkeit, und wann wurde aus einem unabhängigen Redakteur ein korrumpierter? Sie mochte weder die Fragen noch die Antworten.

Lisbeth Salander ging wieder aus dem Netz und schaltete ihr PowerBook ab. Sie war arbeitslos und hungrig. Ersteres bekümmerte sie nicht sonderlich, seit sie wieder freien Zugriff auf ihr Konto hatte und Rechtsanwalt Bjurman zu einer vagen Unannehmlichkeit aus ihrer Vergangenheit geworden war. Sie ging in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. Dann machte sie sich drei große belegte Brote mit Käse, Kaviar und Ei - das Erste, was sie seit Stunden aß. Sie mampfte ihre nächtlichen Stullen auf dem Wohnzimmersofa, während sie die eingeholte Information verarbeitete.

Dirch Frode aus Hedestad hatte ihr den Auftrag gegeben, Mikael Blomkvist unter die Lupe zu nehmen, der wegen Verleumdung des Geschäftsmannes Hans-Erik Wennerström zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Dann plötzlich war Vanger, ebenfalls aus Hedestad, in die Führungsspitze von Millennium eingestiegen und behauptete, es gebe eine Verschwörung, die das Magazin in die Knie zwingen wolle. All das am selben Tag, an dem Mikael Blomkvist ins Gefängnis ging. Am faszinierendsten von alldem: ein zwei Jahre alter Hintergrundartikel - Mit leeren Händen - über Hans-Erik Wennerström, den sie auf der Website des Wirtschaftsmagazins Monopol gefunden hatte, in dem erwähnt wurde, dass er seinen finanziellen Aufstieg ausgerechnet im Vanger-Konzern begonnen hatte.

Man brauchte kein Genie zu sein, um zu dem Schluss zu gelangen, dass diese Ereignisse irgendwie miteinander in Verbindung stehen mussten. Irgendwo lag hier der Hund begraben, und Lisbeth Salander liebte es, begrabene Hunde wieder auszubuddeln. Außerdem hatte sie ja gerade nichts Besseres zu tun.

Teil III

Fusionen

16. Mai bis 14. Juli

13% aller schwedischen Frauen sind schon einmal Opfer schwerer sexueller Gewalt außerhalb einer sexuellen Beziehung geworden.

15. Kapitel

Freitag, 16. Mai - Samstag, 31. Mai

Mikael Blomkvist wurde am 16. Mai aus der Rullåker-Vollzugsanstalt entlassen, zwei Monate nachdem er seine Strafe angetreten hatte. Am Tag seines Haftantritts hatte er ohne allzu große Hoffnung einen Antrag auf Verkürzung seiner Freiheitsstrafe gestellt. Die wahren Ursachen für seine Entlassung wurden ihm nie ganz klar, aber er vermutete, es könnte damit zu tun haben, dass er seine freien Wochenenden nie genommen hatte und dass die Anstalt mit zweiundvierzig Insassen belegt war, obwohl sie eigentlich nur einunddreißig Platz bot. Auf jeden Fall schrieb der Direktor der Vollzugsanstalt - ein vierzigjähriger Exilpole namens Peter Sarowsky, mit dem sich Mikael bestens verstand - eine Empfehlung für eine Verkürzung der Strafe.

Die Zeit in Rullåker war ruhig und angenehm verlaufen. Die Anstalt war, wie Sarowsky sich ausdrückte, für Kleinkriminelle und Alkoholsünder, nicht aber für richtige Verbrecher gedacht. Die täglichen Routineabläufe erinnerten an die Gepflogenheiten in einer Jugendherberge. Seine einundvierzig Mithäftlinge, von denen die Hälfte Einwanderer der zweiten Generation waren, betrachteten Mikael als eine Art exotischen Vogel in ihrer Gemeinschaft - was er ja auch war. Er war der einzige Häftling, über den im Fernsehen berichtet wurde, und das verlieh ihm einen gewissen Status, aber keiner der anderen sah ihn als echten Verbrecher an.

Das tat der Direktor der Anstalt auch nicht. Schon am ersten Tag wurde Mikael zu einem Gespräch gebeten, in dem man ihm mehrere Angebote machte: Therapie, Besuch der Abendschule, andere Studienmöglichkeiten oder eine allgemeine Berufsberatung. Mikael lehnte dankend ab, weitere Studienpläne seien schon vor Jahrzehnten begraben worden, und eine Arbeit habe er bereits. Er bat jedoch darum, sein iBook benutzen zu dürfen, um an seinem Buch weiterarbeiten zu können. Sein Wunsch wurde ihm ohne Weiteres bewilligt, und Sarowsky stellte sogar noch einen abschließbaren Schrank zur Verfügung, sodass Mikael den Computer auch unbewacht in der Zelle lassen konnte, ohne dass er gestohlen oder demoliert werden konnte. Nicht dass einer der Mithäftlinge tatsächlich so etwas gemacht hätte - sie hielten eher ihre schützende Hand über Mikael.