»War ein bisschen hastig da drinnen. Hallo.«
»Cecilia, entschuldigen Sie bitte, dass ich wie ein Elefant da reingeplatzt bin«, sagte Erika zutiefst unglücklich.
»Ach, schon vergessen. Sie konnten doch nichts dafür. Und jetzt trinken wir Kaffee.«
»Hallo«, sagte Mikael und umarmte Erika, bevor er sich hinsetzte. »Wie bist du gekommen?«
»Bin heute Morgen losgefahren. Ich habe um zwei Uhr nachts deine Mitteilung bekommen und hab versucht, dich anzurufen.«
»Ich hatte das Handy ausgeschaltet«, erklärte Mikael und lächelte Cecilia zu.
Nach dem Frühstück ließ Erika Mikael und Cecilia allein, unter dem Vorwand, Henrik Vanger begrüßen zu müssen. Cecilia drehte Mikael den Rücken zu, während sie den Tisch abräumte. Er ging zu ihr und umschlang sie mit den Armen.
»Und was passiert jetzt?«, fragte Cecilia.
»Nichts. So ist es eben, Erika ist meine beste Freundin. Sie und ich sind seit fast zwanzig Jahren befreundet und werden es hoffentlich auch noch die nächsten zwanzig Jahre sein. Aber wir sind niemals ein Paar gewesen, und wir stehen uns bei unseren jeweiligen Romanzen nicht im Weg.«
»Haben wir das? Eine Romanze?«
»Ich weiß nicht, was wir haben, aber offenbar fühlen wir uns gut miteinander.«
»Wo schläft sie heute Nacht?«
»Wir organisieren ihr irgendwo ein Zimmer. Ein Gästezimmer bei Henrik. Sie wird nicht in meinem Bett schlafen.«
Cecilia überlegte kurz.
»Ich weiß nicht, ob ich mit dieser Sache hier klarkomme. Du und sie, ihr könnt das vielleicht, aber ich weiß nicht … Ich habe nie …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich geh jetzt zu mir nach Hause. Ich muss ein bisschen drüber nachdenken.«
»Du hast mich früher schon mal danach gefragt, Cecilia, und ich habe dir von Erikas und meinem Verhältnis erzählt. Ihre Existenz kann nicht wirklich eine Überraschung für dich sein.«
»Das stimmt. Aber solange sie in Stockholm war, konnte ich sie ignorieren.«
Cecilia zog ihre Jacke an.
»Die Situation ist ganz schön komisch«, lächelte sie. »Komm heute Abend zu mir zum Abendessen rüber. Und bring Erika mit. Ich glaube, ich werde sie mögen.«
Erika Berger hatte die Frage des Nachtquartiers schon geklärt. Wenn sie früher in Hedeby gewesen war, um sich mit Henrik Vanger zu treffen, hatte sie in einem seiner Gästezimmer geschlafen, und jetzt bat sie ihn rundheraus, ob sie noch einmal dort übernachten könnte. Henrik Vanger konnte seine Begeisterung kaum verhehlen und versicherte ihr, dass sie ihm mehr als willkommen sei.
Als diese Formalitäten erledigt waren, gingen Mikael und Erika spazieren, überquerten die Brücke und setzten sich auf die Terrasse von Susannes Café, kurz bevor es zumachte.
»Ich bin so richtig mies gelaunt«, sagte Erika. »Ich fahre hier hoch, um dich wieder in der Freiheit willkommen zu heißen, und finde dich im Bett mit der Femme fatale dieser Stadt.«
»Tut mir leid.«
»Also, wie lange hast du schon mit Miss Big Tits …« Erika wackelte mit dem Zeigefinger.
»Ungefähr seit Henrik Teilhaber geworden ist.«
»Aha.«
»Was aha?«
»Reine Neugier.«
»Cecilia ist eine gute Frau. Ich mag sie gern.«
»Ich kritisiere dich doch gar nicht. Ich bin bloß mies gelaunt. Die Süßigkeiten vor der Nase, und dann werde ich auf Diät gesetzt. Wie war’s im Gefängnis?«
»Wie ein anständiger Arbeitsurlaub. Wie läuft’s mit der Zeitschrift?«
»Besser. Wir haben noch nicht wieder alles im Griff und sind immer noch in den roten Zahlen, aber zum ersten Mal seit einem Jahr ist das Anzeigenvolumen gestiegen. Wir liegen immer noch weit unter dem, was wir vor einem Jahr hatten, aber es geht auf jeden Fall wieder bergauf. Das ist Henriks Verdienst. Aber weißt du, was richtig seltsam ist? Die Zahl der Abonnenten steigt ebenfalls.«
»Die geht doch immer rauf und runter.«
»Aber wir haben in den letzten drei Monaten 3000 Abonnenten hinzugewonnen. Die Steigerung war ganz gleichmäßig, 250 pro Woche. Zuerst dachte ich, das ist nur ein Zufall, aber es kommen immer neue dazu. Das ist die größte Auflagensteigerung, die wir jemals gehabt haben. Das bedeutet mehr als die Einkünfte aus den Anzeigen. Gleichzeitig springen uns kaum alte Abonnenten ab.«
»Was meinst du, woran das liegt?«, fragte Mikael.
»Ich weiß nicht. Keiner von uns wird schlau daraus. Wir haben keine Anzeigenkampagne lanciert; Christer hat eine Woche lang stichprobenweise untersucht, was für Abonnenten jetzt neu bei uns auftauchen. 70 Prozent von ihnen sind Frauen. Normalerweise abonnieren uns zu 70 Prozent Männer. Alles in allem Vorortbewohner mit mittlerem Einkommen in qualifizierten Jobs: Lehrer, Angestellte mit bescheidener Leitungsfunktion, Beamte.«
»Die Revolte der Mittelklasse gegen das Großkapital?«
»Ich weiß es nicht. Aber wenn das so weitergeht, dann wird sich der Abonnentenstamm ganz schön verändern. Wir hatten vor zwei Wochen eine Redaktionskonferenz und haben beschlossen, unseren Themenkreis zu erweitern. Ich will mehr Artikel über Fachfragen, die mit der Angestelltengewerkschaft zusammenhängen, und andere Artikel in der Richtung, aber auch mehr kritische Reportagen über Frauenfragen zum Beispiel.«
»Sei nur vorsichtig, dass du nicht zu viel auf einmal veränderst«, meinte Mikael. »Den neuen Abonnenten scheint die bisherige Linie doch zu gefallen.«
Cecilia hatte auch Henrik zum Abendessen eingeladen, vielleicht, um das Risiko unangenehmer Gesprächsthemen zu mindern. Sie hatte Wildragout gekocht, dazu servierte sie Rotwein. Erika und Henrik diskutierten viel über Millenniums Entwicklung und die neuen Abonnenten, aber dann verlagerte sich das Gespräch auf angenehmere Themen. Erika wandte sich plötzlich an Mikael und fragte ihn, wie seine Arbeit für Henrik voranginge.
»Ich rechne damit, dass der Entwurf für die Familienchronik nächsten Monat steht, dann kann Henrik ihn sich anschauen.«
»Eine Chronik im Geiste der Addams Family«, lächelte Cecilia.
»Sie hat gewisse historische Aspekte«, gab Mikael zu.
Cecilia warf Henrik Vanger einen verstohlenen Blick zu.
»Henrik interessiert sich eigentlich gar nicht für die Familienchronik, Mikael. Er will, dass du das Rätsel von Harriets Verschwinden löst.«
Mikael sagte nichts. Er hatte mit Cecilia ziemlich offen über Harriet geredet. Cecilia hatte bereits herausgefunden, dass dies sein eigentlicher Auftrag war, obwohl er es nie zugegeben hatte. Henrik gegenüber hatte er allerdings niemals erwähnt, dass er mit Cecilia über dieses Thema sprach. Henriks buschige Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen. Erika schwieg.
»Ach, komm schon«, sagte Cecilia zu Henrik. »Ich bin doch nicht blöd. Ich weiß zwar nicht genau, wie die Absprache zwischen dir und Mikael aussieht, aber bei seinem Aufenthalt hier in Hedeby geht es doch um Harriet. Oder etwa nicht?«
Henrik nickte und schielte zu Mikael.
»Ich hab Ihnen ja gesagt, sie ist klüger als die meisten.« Er wandte sich an Erika. »Ich nehme an, Mikael hat Ihnen erklärt, womit er sich hier in Hedeby beschäftigt.«
Sie nickte.
»Und ich nehme an, dass Sie das für eine sinnlose Beschäftigung halten. Nein, Sie brauchen mir nicht zu antworten. Es ist eine verrückte und sinnlose Beschäftigung. Aber ich muss es einfach wissen.«
»Ich habe keine Meinung dazu«, sagte Erika diplomatisch.
»Natürlich haben Sie eine Meinung dazu.« Er wandte sich an Mikael. »Ein halbes Jahr ist bald um. Erzählen Sie. Haben Sie überhaupt irgendetwas gefunden, was wir noch nicht untersucht hatten?«
Mikael vermied es, Henrik direkt anzusehen. Er musste sofort an das seltsame Gefühl denken, das ihn beim Durchblättern des Fotoalbums beschlichen hatte. Das Gefühl ließ ihn den ganzen Tag nicht mehr los, aber er hatte noch keine Zeit gefunden, sich noch einmal mit dem Album hinzusetzen. Er war sich nicht sicher, ob er etwas zusammenfantasierte oder nicht, aber er wusste, dass er haarscharf davor gewesen war, einen ganz entscheidenden Gedanken zu fassen. Schließlich blickte er zu Henrik Vanger auf und schüttelte den Kopf.