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»Was machst du in der Stadt?«

Mikael war plötzlich verlegen. Da Milton Security nur ein paar Blöcke entfernt lag, war er auf einen spontanen Impuls hin in die Redaktion gekommen. Es schien ihm zu kompliziert, Erika zu erklären, dass er gerade eine private Ermittlerin angeheuert hatte, die sich zuvor in seinen Computer gehackt hatte. Stattdessen zuckte er mit den Schultern und sagte, er müsse im Vanger-Fall etwas erledigen und würde umgehend wieder in Richtung Norden zurückfahren. Er fragte sie, wie es in der Redaktion ginge.

»Abgesehen von der angenehmen Nachricht, dass das Anzeigenvolumen und die Zahl der Abonnenten weiterhin steigen, hätten wir da leider auch eine dunkle Wolke am Himmel.«

»Aha?«

»Janne Dahlman.«

»Natürlich.«

»Ich musste im April ein Einzelgespräch mit ihm führen, direkt nachdem wir bekannt gegeben hatten, dass Henrik Vanger als Teilhaber eingestiegen ist. Ich weiß nicht, ob es einfach in seiner Natur liegt, negativ zu sein, oder ob er eine Art Spiel spielt.«

»Was ist denn passiert?«

»Ich hatte kein Vertrauen mehr zu ihm. Nachdem wir die Vereinbarung mit Vanger unterzeichnet hatten, mussten Christer und ich entscheiden, ob wir sofort die ganze Redaktion darüber informieren, dass wir vorerst weitermachen, oder …«

»Oder ob ihr nur ein paar ausgewählte Mitarbeiter informiert.«

»Genau. Vielleicht bin ich paranoid, aber ich wollte nicht riskieren, dass Dahlman die Story nach draußen durchsickern lässt. Also beschlossen wir, die ganze Redaktion am selben Tag zu informieren, an dem die öffentliche Bekanntmachung erfolgte. Wir haben also über einen Monat dichtgehalten.«

»Und?«

»Tja, das waren die ersten guten Nachrichten seit einem Jahr. Alle jubelten, bis auf Dahlman. Ich meine - wir sind ja nicht gerade die allergrößte Redaktion. Drei Mitarbeiter und ein Praktikant brachen also in wilden Jubel aus, während ein Einziger sich wahnsinnig darüber aufregte, dass wir die Vereinbarung nicht früher bekannt gegeben hatten.«

»Er hat nicht ganz Unrecht …«

»Ich weiß. Aber leider hat er wegen dieser Geschichte noch tagelang rumgezickt, und die Stimmung in der Redaktion ging in den Keller. Als ich mir diesen Mist zwei Wochen lang angesehen hatte, rief ich ihn in mein Büro und erklärte ihm, ich hätte nur deswegen die Redaktion nicht früher informiert, weil ich ihm nicht mehr vertraue und nicht sicher war, ob er den Mund halten würde.«

»Wie hat er es aufgenommen?«

»Er war natürlich furchtbar gekränkt und erregt. Ich gab aber nicht nach, sondern stellte ihm ein Ultimatum - entweder er reißt sich zusammen, oder er sieht sich allmählich nach einem neuen Job um.«

»Und?«

»Er hat sich zusammengerissen. Aber er agiert zurückhaltend, und zwischen ihm und dem Rest der Redaktion ist die Stimmung gespannt. Christer kann ihn nicht mehr ertragen und zeigt das ziemlich deutlich.«

»Was für einen Verdacht hast du gegen Dahlman?«

Erika seufzte.

»Ich weiß nicht. Wir haben ihn vor einem Jahr angestellt, als der Ärger mit Wennerström schon am Laufen war. Ich kann nicht das Geringste beweisen, aber ich habe so ein Gefühl, dass er nicht auf unserer Seite steht.«

Mikael nickte.

»Vertrau deinen Instinkten.«

»Vielleicht ist er auch nur ein Idiot, der schlechte Stimmung verbreitet.«

»Möglich. Aber ich teile deine Meinung, dass wir uns verschätzt haben, als wir ihn damals einstellten.«

Zwanzig Minuten später fuhr Mikael mit dem Auto von Dirch Frodes Frau in Richtung Norden. Es war ein zehn Jahre alter Volvo, den sie nie benutzte. Man hatte Mikael erlaubt, ihn so oft zu fahren, wie er wollte.

Es waren kleine, subtile Details, die Mikael leicht hätte übersehen können, wenn er weniger aufmerksam gewesen wäre. Ein Papierstapel lag schiefer da, als er ihn in Erinnerung hatte. Ein Ordner war nicht richtig ins Regal geschoben. Die Schreibtischschublade war ganz geschlossen - Mikael erinnerte sich deutlich, dass er sie einen Spalt offen gelassen hatte, als er tags zuvor in Richtung Stockholm aufgebrochen war.

Er blieb ein Weilchen unbeweglich sitzen und zweifelte an sich selbst. Dann aber wuchs seine Gewissheit, dass jemand im Haus gewesen war.

Er ging vor die Tür und sah sich um. Er hatte die Tür abgeschlossen, aber das alte Schloss ließ sich gewiss mit einem kleinen Schraubenzieher öffnen. Außerdem wusste er nicht, wie viele Schlüssel überhaupt in Umlauf waren. Er ging wieder hinein und durchsuchte systematisch sein Arbeitszimmer. Nach einer Weile stellte er fest, dass anscheinend noch alles da war.

Doch es blieb eine Tatsache, dass jemand in sein Haus eingedrungen war, in seinem Arbeitszimmer gesessen und seine Papiere und Ordner durchgeblättert hatte. Seinen Computer hatte er zum Glück mitgenommen. Zwei Fragen stellten sich: Wer war der geheimnisvolle Besucher? Und wie viel hatte er herausfinden können?

Die Ordner waren diejenigen aus Henrik Vangers Sammlung, die er ins Gästehäuschen zurückgeholt hatte, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war. In ihnen war kein neues Material enthalten. Die Notizbücher auf dem Schreibtisch waren für Uneingeweihte zu kryptisch - aber war die Person, die den Schreibtisch durchsucht hatte, denn überhaupt uneingeweiht?

Am bedenklichsten war, dass er eine kleine Plastikmappe auf dem Schreibtisch liegen gelassen hatte, die den Zettel mit den Telefonnummern und eine Reinschrift der entsprechenden Bibelzitate enthielt. Wer auch immer das Arbeitszimmer durchsucht hatte, wusste nun, dass er den Bibelcode geknackt hatte.

Wer?

Henrik Vanger war im Krankenhaus. Die Haushälterin Anna verdächtigte er auch nicht. Frode? Aber dem hatte er schon vorher alle Details erzählt. Cecilia hatte die Florida-Reise abgeblasen und war zusammen mit ihrer Schwester aus London zurückgekommen. Er hatte sie seit ihrer Rückkehr noch nicht getroffen, aber er hatte sie gesehen, als sie tags zuvor mit dem Auto über die Brücke gefahren war. Er ging die verschiedenen Familienmitglieder Vanger durch: Harald Vanger. Birger Vanger - er war am Tag nach Henriks Infarkt anlässlich eines Familienrats aufgetaucht, zu dem Mikael nicht eingeladen worden war. Alexander Vanger. Isabella Vanger - sie war alles andere als sympathisch.

Mit wem hatte Frode gesprochen? Was war ihm herausgerutscht? Wer von Henriks nächsten Verwandten hatte womöglich aufgeschnappt, dass Mikael bei seiner Ermittlungsarbeit ein Durchbruch gelungen war?

Es war nach acht Uhr abends. Er rief beim Schlüsseldienst in Hedestad an und bestellte ein neues Schloss für das Gästehaus. Der Mann erklärte sich bereit, am nächsten Tag vorbeizukommen. Mikael versprach ihm doppelte Bezahlung, wenn er sofort käme. Sie einigten sich, dass er um halb elf Uhr abends kommen sollte, um ein Sicherheitsschloss einzubauen.

Während er auf den Mann vom Schlüsseldienst wartete, ging Mikael gegen halb neun zu Frode hinüber und klopfte an die Tür. Frodes Frau führte ihn in den Garten hinter dem Haus und bot ihm ein kaltes Bier an, das Mikael gerne annahm. Er wollte wissen, wie es um Henrik Vanger bestellt war.

Frode schüttelte den Kopf.

»Sie haben ihn operiert. Er hat Ablagerungen in den Herzkranzgefäßen. Der Arzt sagt, die Tatsache, dass er überhaupt noch lebt, macht Hoffnung, aber in den nächsten Tagen wird der Zustand kritisch bleiben.«

Sie dachten eine Weile nach, während sie ihr Bier tranken.

»Haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Nein. Er konnte nicht sprechen. Wie lief es denn in Stockholm?«

»Lisbeth Salander hat den Auftrag angenommen. Hier ist der Vertrag von Dragan Armanskij. Sie müssen ihn nur noch unterzeichnen und in den Briefkasten werfen.«

Frode blätterte die Papiere kurz durch.

»Die nimmt ja ganz schöne Preise«, stellte er fest.

»Henrik kann es sich leisten.«

Frode nickte, zog einen Stift aus der Brusttasche und kritzelte seinen Namen auf das Blatt.