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Mikael vergeudete mehrere Tage damit, nach dem Auto mit dem AC-Nummernschild zu suchen. Nach jeder Menge Kopfzerbrechen konsultierte er schließlich einen pensionierten Kfz-Mechaniker in Hedestad und erfuhr, dass das Auto ein Ford Anglia war, ein damals gängiger Autotyp, von dem er noch nie gehört hatte. Danach kontaktierte er einen Mitarbeiter der Kfz-Meldestelle und erkundigte sich, ob er ein Verzeichnis sämtlicher Ford Anglia bekommen könne, die 1966 ein Nummernschild gehabt hatten, das mit AC3 anfing. Nach einigem Hin und Her ließ sich der Mitarbeiter überreden - obgleich es eigentlich nicht rechtens sei und ein wenig dauern könnte, wie er sagte.

Erst ein paar Tage nach Mittsommer setzte Mikael sich in seinen geliehenen Volvo und fuhr auf der E4 gen Norden. Er war noch nie gerne schnell gefahren und steuerte das Auto ganz gemütlich bis kurz vor die Härnsands-Brücke, wo er eine Pause machte und einen Kaffee in Vesterlunds Konditorei trank.

Der nächste Halt war Umeå, wo er eine Raststätte ansteuerte und das Tagesmenü bestellte. Er kaufte sich einen Straßenatlas und fuhr weiter nach Skellefteå, wo er nach links in Richtung Norsjö abbog. Gegen sechs Uhr abends war er angekommen und checkte im Hotel Norsjö ein.

Er begann seine Suche früh am nächsten Morgen. Die Tischlerei Norsjö war nicht im Telefonbuch verzeichnet. Die Dame am Empfang des Polarhotels, eine Frau Mitte zwanzig, hatte noch nie von dieser Firma gehört.

»Wen müsste ich da fragen?«

Sie sah einen Moment verwirrt drein, bis sich ihr Gesicht aufhellte und sie erklärte, sie könne ihren Vater anrufen. Zwei Minuten später kam sie zurück und sagte ihm, die Tischlerei Norsjö habe schon Anfang der achtziger Jahre zugemacht. Wenn Mikael Genaueres wissen wolle, müsse er sich an Eugen Burman wenden, der dort Vorarbeiter gewesen war und nun in einer Straße wohnte, die Solvändan hieß.

Norsjö war ein kleiner Ort mit einer Hauptstraße, passenderweise Storgata, also »große Straße«, genannt, von der rechts und links Geschäfte sowie Nebenstraßen mit Wohnhäusern abzweigten. An der östlichen Einfahrt in den Ort lagen ein kleines Gewerbegebiet und eine alte Scheune, an der Ausfahrt im Westen stand eine ungewöhnlich schöne Holzkirche. Mikael bemerkte, dass es im Ort eine Missionskirche und eine Kirche der Pfingstgemeinde gab. Ein Anschlag an der Bushaltestelle warb für ein Jagd- und ein Skimuseum. Ein veraltetes Plakat verriet, dass Veronika am Mittsommerabend auf dem Festplatz gesungen hatte. Er konnte den Ort in knapp zwanzig Minuten vom einen Ende zum anderen durchqueren.

In der Solvändan-Straße, die ungefähr fünf Minuten vom Hotel entfernt war, standen nur Einfamilienhäuser. Burman öffnete nicht, als Mikael an der Tür klingelte. Es war halb zehn, und er vermutete, dass Burman entweder zur Arbeit gegangen war oder, falls er schon pensioniert war, für irgendeine Erledigung das Haus verlassen hatte.

Die nächste Anlaufstelle war der Eisenwarenladen in der Storgata. Wenn man in Norsjö wohnt, muss man früher oder später auch mal in den Eisenwarenladen, überlegte Mikael. Im Geschäft waren zwei Verkäufer. Mikael wandte sich an den älteren der beiden, der knapp fünfzig Jahre alt sein mochte.

»Guten Tag. Ich suche ein Paar, das in den sechziger Jahren vermutlich hier im Ort gewohnt hat. Der Mann hat eventuell in der Tischlerei Norsjö gearbeitet. Ich weiß nicht, wie sie heißen, aber ich habe zwei Bilder, die 1966 aufgenommen worden sind.«

Die Verkäufer sahen sich die Bilder lange an, schüttelten aber zum Schluss die Köpfe und erklärten, weder den Mann noch die Frau zu kennen.

Zu Mittag aß Mikael eine Frikadelle an einer Würstchenbude. Er war in mehrere Geschäfte gegangen und hatte das Gemeindebüro, die Bibliothek und die Apotheke abgeklappert. Auf dem Polizeirevier traf er niemanden an, und so begann er auf gut Glück, ältere Menschen anzusprechen. Gegen zwei Uhr nachmittags fragte er zwei jüngere Frauen, die das Paar zwar nicht kannten, aber eine gute Idee hatten:

»Wenn das Foto 1966 aufgenommen wurde, dann müssen die beiden heute über sechzig sein. Fragen Sie doch mal im Altenwohnheim nach.«

Dort stellte sich Mikael am Empfang einer ungefähr dreißigjährigen Frau vor und setzte ihr sein Anliegen auseinander. Sie musterte ihn misstrauisch, ließ sich zu guter Letzt aber erweichen. Mikael durfte mit ihr in den Aufenthaltsraum gehen und dort eine halbe Stunde lang den vielen Heimbewohnern seine Bilder zeigen. Die Rentner, im Alter von knapp 70 aufwärts, waren sehr hilfsbereit, aber keiner konnte die Personen identifizieren, die 1966 in Hedestad fotografiert worden waren.

Gegen fünf Uhr fuhr er wieder in die Solvändan-Straße zurück und klopfte bei Eugen Burman. Diesmal hatte er mehr Glück. Herr und Frau Burman waren beide schon pensioniert und tagsüber unterwegs gewesen. Man bat ihn in die Küche, wo Eugens Frau sogleich Kaffee aufsetzte, während Mikael sein Anliegen vorbrachte. Wie all die anderen Versuche an diesem Tag stellte sich auch dieser als Niete heraus. Burman kratzte sich am Kopf, zündete sich eine Pfeife an und stellte nach einer Weile fest, dass er die Personen auf den Bildern nicht kannte. Die Burmans sprachen einen ausgeprägten Norsjöer Dialekt, und Mikael tat sich zuweilen schwer, ihnen zu folgen.

»Sie haben ganz richtig erkannt, dass der Aufkleber von der Tischlerei ist«, sagte Burman. »Sie sind ja ganz schön auf Zack, dass sie den erkannt haben. Aber leider haben wir mit diesen Aufklebern nur so um uns geschmissen. Jeder hat die gekriegt, Fahrer, Kunden, Handwerker und viele andere.«

»Dieses Paar zu finden ist schwieriger, als ich gedacht habe.«

»Warum wollen Sie sie denn finden?«

Mikael hatte sich entschlossen, die Wahrheit zu sagen, wenn die Leute ihn fragen sollten. Jeder Versuch, eine Geschichte zu diesem Paar zu konstruieren, würde nur unwahrscheinlich klingen und Verwirrung hervorrufen.

»Das ist eine lange Geschichte. Ich untersuche ein Verbrechen, das 1966 in Hedestad begangen wurde, und ich glaube, es besteht eine minimale Chance, dass die Personen auf dem Foto gesehen haben, was geschehen ist. Sie sind in keiner Weise verdächtig, und ich glaube, sie wissen nicht einmal selbst, dass sie vielleicht Informationen besitzen, die dieses Verbrechen aufklären könnten.«

»Ein Verbrechen? Was für ein Verbrechen?«

»Tut mir leid, mehr kann ich Ihnen nicht erzählen. Mir ist klar, dass es sehr seltsam aussieht, wenn nach fast vierzig Jahren jemand daherkommt und versucht, diese Personen hier ausfindig zu machen, aber das Verbrechen ist bis heute nicht aufgeklärt worden, und es sind erst vor Kurzem neue Fakten aufgetaucht.«

»Ich verstehe. Tja, da haben Sie ein ganz schön ungewöhnliches Anliegen.«

»Wie viele Personen haben denn in der Tischlerei gearbeitet?«

»Normalerweise waren wir vierzig Personen. Ich war dort seit meinem siebzehnten Lebensjahr angestellt, also seit Mitte der fünfziger Jahre, bis zur Schließung des Betriebs. Dann wurde ich Fahrer.«

Burman dachte kurz nach.

»Ich kann auf jeden Fall versichern, dass der Junge auf diesem Foto nie in der Tischlerei gearbeitet hat. Es könnte sein, dass er Fahrer war, aber ich glaube, dann würde ich ihn auch wiedererkennen. Es gibt natürlich noch eine andere Möglichkeit. Es könnte ja sein, dass sein Vater oder irgendein Verwandter im Betrieb gearbeitet hat und dass das gar nicht sein Auto ist.«

Mikael nickte.

»Ich weiß, es gibt viele Möglichkeiten. Haben Sie noch einen Vorschlag, mit wem ich sprechen könnte?«

»Oh ja«, sagte Burman und nickte. »Kommen Sie morgen Vormittag vorbei, dann fahren wir eine Runde und reden mit ein paar von den Jungs.«

Lisbeth Salander stand vor einem methodischen Problem von gewisser Bedeutung. Sie war eine unbestreitbare Expertin darin, sich Informationen über jede beliebige Person zu beschaffen, aber ihr Ausgangspunkt war dabei immer ein Name oder die Personenkennnummer gewesen. Wenn die Daten zur Person in irgendeinem Register gespeichert waren, was kein Mensch vermeiden konnte, dann landete das Objekt schnell in ihrem Spinnennetz. Wenn die Person über einen Computer mit Internetanschluss verfügte, eine E-Mail-Adresse oder vielleicht sogar eine eigene Homepage, dann konnte sie ihre tiefsten Geheimnisse lüften.