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Marmeladow verstummte, als versagte ihm die Stimme. Dann schenkte er sich plötzlich ein Gläschen ein, trank es aus und räusperte sich.

»Seit jener Zeit, mein Herr,« fuhr er nach kurzem Schweigen fort, »seit jener Zeit wurde meine Tochter, Ssonja Ssemjonowna, infolge eines unglücklichen Umstandes und auf Anzeige übelwollender Menschen, wozu Darja Franzewna besonders viel beitrug, weil man ihr angeblich nicht die gebührende Achtung erwiesen hatte, – gezwungen, einen gelben Paß zu nehmen und konnte infolgedessen nicht mehr bei uns bleiben. Denn auch unsere Wirtin, Amalie Fjodorowna wollte es nicht zulassen (vorher hatte sie aber die Darja Franzewna bei ihren Bemühungen unterstützt), und auch der Herr Lebesjatnikow ... hm! ... Nun, der Ssonja wegen kam es eben zu dieser Geschichte zwischen ihm und Katerina Iwanowna. Anfangs hatte er sich selbst um Ssonetschka beworben, plötzlich stieg er aber aufs hohe Roß: ›Wie kann ich, ein gebildeter Mensch, in der gleichen Wohnung mit so einer leben?‹ Katerina Iwanowna wollte es sich aber nicht bieten lassen und trat für Ssonja ein ... So kam die Geschichte ... Ssonjetschka besucht uns aber meistens in der Abenddämmerung, sie hilft Katerina Iwanowna und unterstützt uns nach Kräften mit Geldmitteln ... Sie wohnt beim Schneider Kapernaumow, mietete bei ihm ein Zimmer; dieser Kapernaumow ist aber lahm und stottert, und auch seine ganze zahlreiche Familie stottert. Auch seine Frau stottert. Sie wohnen alle in einem Zimmer, Ssonja hat aber ihr eigenes Zimmer mit einem Alkoven ... Hm! ... ja ... Es sind bettelarme Menschen und stottern alle ... ja ... Also ich stand damals am Morgen auf, zog meine Lumpen an, hob beide Arme gen Himmel und begab mich zu Seiner Exzellenz Iwan Afanassjewitsch. Geruhen Sie Seine Exzellenz Iwan Afanassjewitsch zu kennen? ... Nein? Nun, dann kennen Sie einen göttlichen Mann nicht! Er ist ein Stück Wachs ... Wachs vor dem Antlitz des Herrn; er schmilzt wie Wachs! ... Es traten ihm sogar einige Tränen in die Augen, als er mich anzuhören geruhte. ›Nun,‹ sagte er, ›Marmeladow, du hast schon einmal meine Hoffnungen getäuscht ... Ich stelle dich aber wieder an, auf meine persönliche Verantwortung‹, so sagte er mir. ›Merk es dir und geh!‹ Ich küßte den Staub seiner Füße, in Gedanken natürlich, denn in Wirklichkeit hätte er es mir gar nicht erlaubt, denn er ist doch ein hoher Würdenträger und von der neuen politischen und gebildeten Gesinnung; ich kam nach Hause, und als ich erklärte, daß ich wieder einen Posten habe und Gehalt bekommen werde – mein Gott, was gab es da ...«

Marmeladow hielt wieder in großer Erregung inne. In diesem Augenblick kam von der Straße ein ganzer Trupp schon ohnehin betrunkener Säufer, und vor dem Eingange ertönten die Klänge eines von ihnen gemieteten Leierkastens und die gleichsam gesprungene Stimme eines siebenjährigen Kindes, das einen Gassenhauer sang. Es gab großen Lärm. Der Wirt und die Bedienung widmeten sich den neuen Gästen. Marmeladow schenkte ihnen keine Beachtung und fuhr in seiner Erzählung fort. Er schien sehr schwach, doch je mehr er trank, um so redseliger wurde er. Die Erinnerungen an den Erfolg, den er neulich im Dienste gehabt hatte, belebten ihn gleichsam und spiegelten sich sogar in seinem Gesichte wie ein Leuchten. Raskolnikow hörte ihm aufmerksam zu.

»Das war aber, mein Herr, vor fünf Wochen ... Ja ... Kaum hatten beide, Katerina Iwanowna und Ssonjetschka, es erfahren, da war es mir, mein Gott! – wie wenn ich ins Himmelreich geraten wäre. Früher konnte ich wie ein Vieh daliegen und bekam nichts als Schimpfworte zu hören. Aber jetzt: sie gehen auf den Fußspitzen und rufen die Kinder zur Ruhe. ›Ssemjon Sacharytsch ist im Dienste müde geworden und ruht aus ... Pst!‹ Kaffee gaben sie mir, wenn ich morgens in den Dienst gehe, und kochten Sahne für mich! Richtige Sahne kauften sie für mich, hören Sie?! Und wo sie nur die elf Rubel fünfzig Kopeken für eine anständige Equipierung hergenommen haben? Das weiß ich wirklich nicht! Stiefel, ein prachtvolles Kattunvorhemd, ein Uniformfrack – dies alles richteten sie in vorzüglicher Qualität für elf Rubel fünfzig Kopeken her. Wie ich am ersten Tage des Morgens vom Dienste herkomme, sehe ich: Katerina Iwanowna hat zwei Gerichte gekocht, eine Suppe und Pökelfleisch mit Meerrettich, wovon wir früher keinen Begriff hatten. Sie hat nichts anzuziehen, aber wirklich gar nichts, diesmal aber putzte sie sich aus, als wollte sie Besuche machen; und dabei hatte sie nichts Besonderes an, sie verstand es nur, aus nichts alles zu machen: sie frisiert sich, tut einen sauberen Kragen und Manschetten an, und gleich ist sie ein ganz anderer Mensch, jünger und hübscher. Ssonjetschka, mein Täubchen, hatte nur Geld beigesteuert, doch sie selbst, sagt sie, kann uns jetzt noch nicht besuchen, höchstens in der Abenddämmerung, daß es niemand sieht. Hören Sie es, hören Sie es? Wie ich am Nachmittag komme und etwas schlafen will, was denken Sie sich wohl? – Katerina Iwanowna konnte es sich doch nicht versagen: vor einer Woche noch hatte sie mit der Wirtin Amalie Fjodorowna einen großen Krach gehabt, aber diesmal lud sie sie zu einer Tasse Kaffee ein. Zwei Stunden saß sie mit ihr und flüsterte fortwährend: ›Ssemjon Sacharowitsch‹, sagte sie, ›ist jetzt im Dienste und bekommt Gehalt, und er ist selbst zu Seiner Exzellenz gegangen, und Seine Exzellenz kam selbst heraus, ließ alle warten und führte Ssemjon Sacharytsch an allen vorbei zu sich ins Zimmer.‹ Hören Sie, hören Sie? ›Ich erinnere mich,‹ sagte er, ›Ssemjon Sacharytsch, Ihrer Verdienste. Sie haben zwar diese leichtsinnige Schwäche, da Sie mir es aber versprechen und auch weil es ohne Sie bei uns nicht gut ging (hören Sie, hören Sie!), so verlasse ich mich jetzt‹, sagt er, ›auf Ihr Ehrenwort‹ – ich muß Ihnen sagen, das hat sie alles erfunden, doch nicht aus Leichtsinn, um damit zu prahlen. Nein, sie glaubt es alles selbst und erfreut sich an ihrer eigenen Erfindung, bei Gott! Und ich verurteile es nicht, bei Gott, ich verurteile es nicht! Als ich aber vor sechs Tagen mein erstes Gehalt – dreiundzwanzig Rubel und vierzig Kopeken heimbrachte und ihr vollzählig ablieferte, nannte sie mich Schätzchen: ›Mein Schätzchen!‹ sagte sie mir. Und das unter vier Augen, verstehen Sie? Nun, bin ich denn schön, und was bin ich für ein Gatte? Doch nein, sie kniff mich in die Backe und sagte: ›Du, mein Schätzchen!‹«

Marmeladow hielt inne, wollte lächeln, doch sein Kinn begann plötzlich heftig zu zittern. Er beherrschte sich aber. Diese Schenke, sein liederliches Aussehen, die fünf Nächte auf den Heubarken und die Schnapsflasche, zugleich aber diese krankhafte Liebe zur Frau und Familie hatten seinen Zuhörer ganz wirr gemacht. Raskolnikow hörte ihm gespannt, doch mit schmerzvollem Gefühl zu. Er ärgerte sich, daß er hier eingekehrt war.

»Sehr verehrter Herr, sehr verehrter Herr!« rief Marmeladow aus, als er sich wieder zusammengenommen hatte. »Oh, mein Herr, vielleicht kommt Ihnen das alles lächerlich vor, wie den andern, und ich belästige Sie nur mit der Dummheit dieser elenden Einzelheiten meines Lebens, aber mir ist es wirklich nicht zum Lachen! Denn ich kann das alles fühlen! ... Und im Verlauf jenes paradiesischen Tages meines Lebens und des ganzen Abends gab ich mich auch selbst flüchtigen Träumen hin: wie ich wohl alles einrichten und den Kindern Kleider kaufen werde, wie ich ihr selbst die Ruhe gebe und meine einzige Tochter aus der Schmach in den Schoß der Familie zurückbringe ... Und vieles, vieles andere ... Das durfte ich wohl, mein Herr! Und nun, mein Herr (Marmeladow fuhr plötzlich zusammen, hob den Kopf und blickte seinen Zuhörer aufmerksam an), nun, am nächsten Tage nach diesen Träumen – es werden genau fünf Tage her sein –, gegen Abend, stahl ich auf listige Weise, wie ein Dieb in der Nacht, den Schlüssel von ihrem Koffer, nahm alles, was vom mitgebrachten Gehalt noch übrig blieb, wieviel es war, weiß ich nicht mehr, und nun, sehen Sie mich an, jetzt ist es alle! Den fünften Tag bin ich von zu Hause weg, sie suchen mich dort, und auch die Stelle ist hin, und mein Uniformfrack liegt in der Schenke bei der Egyptischen Brücke, und im Tausch dafür habe ich diese Bekleidung erhalten ... und alles ist zu Ende!«